Josef Schuster: Die jüdische Kultur und Tradition werden zu wenig vermittelt!

Siebenarmiger Kerzenleuchter, Foto: Stefan Groß

Herr Dr. Schuster, die Bundesrepublik Deutschland hat einen langen Weg zu einer stabilen Demokratie hinter sich. Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?

Als Kind von Eltern, die nur mit viel Glück den Nazis entkommen sind, und Enkel von Großeltern, die in Auschwitz ermordet wurden, kann ich die Demokratie und die Werte unseres Grundgesetzes gar nicht hoch genug schätzen. Die Achtung und der Schutz der Menschenwürde, die verbrieften Grundrechte bis hin zur Religionsfreiheit – all dies sind kostbare Errungenschaften, die wir bewahren müssen.

Die USA unter Präsident Donald Trump haben entschieden, Jerusalem als die Hauptstadt Israels anzuerkennen – ein historischer Schritt mit reichlich Konfliktpotential. Wie beurteilen Sie die Entscheidung?

Was hat Herr Trump gesagt? Er hat gesagt, was im Grunde längst Fakt ist: Israels Regierung sitzt in Jerusalem, das Parlament ist in Jerusalem, jeder Staatsbesuch und alle politischen Gespräche finden in Jerusalem statt. Das ist international von allen auch so akzeptiert. Trump hat nicht von Ost-Jerusalem, nicht von West-Jerusalem und auch nicht von ganz Jerusalem gesprochen. Ob bewusst oder nicht, das war eine diplomatische Aussage. Deswegen habe ich die ganze Aufregung auch nicht verstanden. Ich habe den Eindruck, dass israelfeindliche Kreise seine Aussage instrumentalisiert haben, was man zum Beispiel bei den Protesten in Berlin sehen konnte.

Wie erklären Sie sich den scheinbar neu aufkommenden Antisemitismus in Deutschland? Welche Einflüsse spielen Ihrer Meinung nach eine Rolle und welche Forderungen haben Sie an Politik und Gesellschaft?

Von einem neu aufkommenden Antisemitismus würde ich nicht sprechen. Seit Jahrzehnten wird in Umfragen festgestellt, dass etwa 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung antijüdische Ressentiments haben. Seit einiger Zeit werden diese Einstellungen jedoch offener artikuliert. Dabei spielt das Internet eine große Rolle. In den sozialen Netzwerken finden wir vor allem im ganz rechten politischen Spektrum eine verbale Enthemmung vor, die gefährlich ist. Daher ist es gut, dass es jetzt mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz ein Instrument gibt, um „Hate Speech“ besser verhindern zu können. Leider macht sich aber auch eine israelfeindliche Haltung in der Gesellschaft breit. Es handelt sich dann nicht mehr um eine sachliche Kritik an Israel, sondern Israels Existenzrecht wird in Frage gestellt oder Juden generell werden für die Politik der israelischen Regierung in Haftung genommen. Das ist Antisemitismus.

Kopftuch und Kippa: Ist ein glaubens- und kulturübergreifendes gemeinsames Wertefundament realistisch oder reine Illusion? Findet Ihrer Meinung nach ausreichende Aufklärungsarbeit statt?

Ein übergreifendes Wertefundament haben wir in unserem Grundgesetz. Es hat sich über Jahrzehnte bewährt. Was das Wissen betrifft, das über die verschiedenen Religionen vorhanden ist, haben wir Nachholbedarf. So werden Juden in der Schule häufig nur als Opfer thematisiert. Die jüdische Kultur und Tradition werden zu wenig vermittelt. Daher haben wir gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz eine Erklärung verabschiedet, um das Judentum künftig breiter zu vermitteln. Derzeit werden dafür Materialien erarbeitet.

Das Landgericht Berlin sah Ihre Äußerung über den AfD-Politiker Wolfgang Gedeon, den Sie als „Holocaust-Leugner“ bezeichneten, vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Haben Sie mit dieser Entscheidung gerechnet?

Das ist nicht die entscheidende Frage. Entscheidend ist das Urteil selbst, das wir angesichts eines immer aggressiveren Antisemitismus sehr begrüßen.

Erst kürzlich filmte der Inhaber des israelischen Restaurants Feinberg in Berlin einen antisemitischen Angriff. Sind verbale oder körperliche Angriffe auf Juden in Deutschland Einzelfälle oder Alltag?

Bei verbalen Attacken können wir leider nicht mehr von Einzelfällen sprechen, körperliche Angriffe kommen zum Glück seltener vor. Es gehört allerdings zum jüdischen Alltag, dass unsere Einrichtungen unter Polizeischutz stehen, sich jüdische Schüler unter Polizeischutz bewegen und wir immer häufiger zögern, uns in der Öffentlichkeit als Juden zu erkennen zu geben.

Herr Dr. Schuster, unsere siebte Frage ist immer eine persönliche: Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten Jahre gesteckt – sowohl beruflich als auch privat?

Ich möchte mit dem Zentralrat der Juden einen Beitrag dazu leisten, Antisemitismus abzubauen. Daran arbeiten wir auf verschiedenen Ebenen, über Seminare und Konferenzen, über ein neues Schüler-Begegnungsprojekt, in intensiver Zusammenarbeit mit der Kultusministerkonferenz und auf politischer Ebene zum Beispiel durch unser Bemühen für die Einsetzung eines Antisemitismus-Beauftragten. Außerdem möchten wir gerne mehr jüngere Menschen an unsere Gemeinden binden. Persönlich habe ich mir vorgenommen, mehr Zeit mit der Familie, insbesondere mit den Enkelkindern, zu verbringen.

Vielen Dank für das Interview Herr Dr. Schuster!

Das Gespräch führte Jens Lilienström.

Quelle: Initiative Gesicher der Demokratie

 

 

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