Jonathan Bach. Die Spuren der DDR. Von Ostprodukten bis zu den Resten der Berliner Mauer. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ursula Blank-Sangmeister unter Mitarbeit von Anna Raupach und Janet Schüffel. Ditzingen (Reclam) 2019, 272 S., 20 EURO, ISBN 978-3-15-011152-9.
Unter den nach 2000 sich häufenden forschungsintensiven Untersuchungen zur Remythisierung des abgewickelten DDR-Staates nimmt die vorliegende Publikation des amerikanischen Soziologen Jonathan Bach in mehrerer Hinsicht eine besondere Position ein. Ausgehend von der These, dass die nach 1990 hinterlassenen Artefakte der DDR-Gesellschaft sich unvermittelt als „anachronistische Überbleibsel eines gescheiterten Traums von sozialistischer Modernität“ (S. 9) erwiesen, beschäftigt er sich mit den Folgen einer radikalen Diskontinuität. Er will wissen, was abläuft, wenn ein Staat verschwindet und ein materielles Vermächtnis hinterlässt, das im Bewusstsein ihrer in der einstigen DDR verbliebenen Bewohner zwiespältige Reaktionen hervorruft. Deren anfängliche Bevorzugung westlicher Produkte sei häufig einer Nostalgie nach gleichsam umetikettierten Produkten gewichen, die sich im Phänomen einer wachsenden Ostalgie niederschlage, die den Prozess der Demokratisierung nach Ansicht ehemaliger Bürgerrechtler empfindlich bremse. Unter Verweis auf Umfragen unter Ostdeutschen im Jahre 2014, unter denen 59 % meinten, dass das Leben in der ehemaligen DDR mehr gute als schlechte Seiten gehabt habe, stellt sich Bach die Frage nach den Ursachen für diese sich ausbreitende Meinung. Sie beruht auf der Behauptung, dass „die sozialistischen Bestrebungen im Prinzip löblich waren, dass im Osten, trotz der Überwachung durch den Staat, Freundschaften aufrichtiger oder die speziellen sozialen Wohlfahrtsprogramme der DDR wie die Kinderbetreuung progressiver waren als im Westen.“
Wie wichtig eine Untersuchung der Alltagsethik in der ostdeutschen Gesellschaft ist, verdeutlicht Bach an folgenden Überlegungen, die in seine konkreten Betrachtungen Eingang gefunden haben. „Der Alltag überschreitet und übersteigt die Grenzen des Politischen durch seine Formbarkeit – der Alltag als Zuflucht, als falsches Bewusstsein, als Raum für Befreiung und Kollision“ – mit dieser umfassenden, plastischen Beschreibung seines erinnerungsgeschichtlichen Untersuchungsfeldes beschreibt Bach zugleich auch, wie „eine symbolische Bedeutung entsteht und Orten, Dingen und Menschen zugewiesen wird.“ Diese der gegenwärtigen amerikanischen und französischen Forschung zugeschriebenen Erkenntnisse setzt Bach in einer spezifischen Art der Aneignung von materieller Kultur um. Er will zeigen, dass „die materielle Kultur der Vergangenheit in sich überschneidenden Ökonomien der Gegenwart zirkuliert.“ Auf diesem Markt der Ostprodukte, in der symbolischen Ökonomie nationaler Symbole, zirkulieren verwaiste Artefakte aus der früheren DDR, deren Wert nicht im Austausch bestehe, „sondern auf ihrer Fähigkeit zu verstören.“
Es handelt sich dabei um die verstörenden Wirkungen der vom Staat abgekoppelten Artefakte, die Bach in vier umfangreichen Kapiteln bewertet. Einleitend setzt er sich mit Konsumartikeln, sog. „Ostprodukten“, auseinander, die angeblich mit ihrem Verschwinden und Wiederauftauchen „im Kontext des zugehörigen Tropus der Kommunismus-Nostalgie“ stehen würden. Hier operiert Bach mit einem vagen Begriff, der angeblich „Emotionen“ auslöse, die durch die Schwierigkeit entstanden sind, sich dem normalen Leben unter einer Diktatur in einem Land zu stellen, in dem der nationalsozialistische Alltag umstritten bleibt. Diese „Emotionen“, so ist einer solchen Behauptung entgegenzuhalten, beruhen aufgrund der Erfahrungen des Rezensenten in vielen materiellen Lebensbereichen der ehemaligen DDR, nicht auf „nostalgischen“ Erinnerungen an eine stets belächelte Kommunismus-Utopie, sondern auf einer symbolischen Wiederaneignung verloren gegangener, oft privater Artefakte. Unbenommen hingegen bleibt die Behauptung Bachs, dass die zu Objekten einer Nostalgie („Ostalgie“) gewordenen Dinge aus der Ostproduktion nunmehr einer neuen Form der Bewertung ausgesetzt werden müssten. Dabei stellt er die These auf, dass „die Nostalgie, die sich in ihnen verkörpert, als Trickbetrügerin fungiert und das nationale Produkt des kollektiven Gedächtnisses durch Ironie, Wortspiele und symbolische Mehrdeutigkeit subtil untergräbt.“ Und diese Nostalgie als kollektives Phänomen spiele im Kontext der Kommerzialisierung eine wesentliche Rolle, weil sie renommierte Produkte aus einer eben verschwundenen Epoche mit dem Siegel ‚wertvoll’ versieht, und diese in den Umlauf bringt. Aufgrund der ständigen Umetikettierung und der Verwendung von Slogans des eben untergegangenen Regimes gewinnen Objekte der Nostalgie wieder an Modernität.
Konsequenterweise untersucht B. im Kapitel 2 unter dem irritierenden Stichwort ‚Kommunismus-Sammlungen’ „den Weg der sozialistischen Alltagsobjekte vom Ladenregal ins Museum“, also in die nun als Schauobjekte gut gefüllten Regale, im Gegensatz zu den einst realiter meist lückenhaften Warenangebote in der abgewickelten DDR. Im Mittelpunkt des Kapitels stehen nun die „von Amateuren betriebene[n], [meist] privat finanzierten Museen über den Alltag im Sozialismus“, die, so Bach, „staatlich geförderte Darstellungen des Ostens in professionellen historischen Museen herausfordern und ergänzen.“ Auf diese Weise wollten sich private Sammler eine „Amateurmuseumslandschaft“ schaffen und „sich den Mantel der Authentizität umhängen“. Sie würden damit das historische Narrativ und die Erinnerungspolitik in Frage stellen und in den von Amateuren gestalteten Räumen einen „Alltag zu einem integralen Bestandteil der jüngeren sozialistischen Vergangenheit erheben.“
Der Ortswechsel vom musealen Alltag in die raue bauliche Umwelt erweist sich im 3. Kapitel – am Beispiel des Umgangs mit den ererbten Überresten des früheren ostdeutschen Parlaments, des sog. Palastes der Republik, – als ein in vieler Hinsicht mißglückter Paradigmenwechsel. Er symbolisiert das Bestreben aus einer einstigen vieldeutigen Stätte des repräsentativen „Volkswillens“ ein umstrittenes repräsentatives Gebäude zu schaffen, an dessen Gestaltung nationales Selbstbewußtsein geübt und ein architektonisches Experimentierfeld entstehen soll.
Das letzte Kapitel ist nach Bach „einem internationalen Symbol für staatliche Repression, dem Kalten Krieg und dem Überwinden von Grenzen: der Berliner Mauer“ gewidmet. Es folgt dem methodisch überzeugenden Prinzip, den materiell aus der Zeit genommenen aufgelösten Raum der Mauer „in den Narrativen von Trauma, Konsum und Politik“ durch drei Erinnerungsstätten: in der Bernauer Straße, dem Checkpoint Charlie und East Side Gallery wieder in die Zeit zurückzuholen. Auf diese Weise sei durch den Zusammenfluß von Bewusstsein, ‚coolness’ und Kommerzialisierung“ der Charakter der einstigen Mauer verändert worden. Aus einer Quelle der Scham sei „ein positives Symbol für die kulturelle Regenerationsfähigkeit der Stadt“ geworden.
Die Umsetzung des theoretisch und konzeptionell ambitionierten Vorhabens gelingt Bach nicht zuletzt aufgrund der konkreten Beschreibung der einzelnen Projekte, der zahlreichen eingefügten O-Texte mit Aussagen der Akteure und den rund fünfzig – leider da und dort unzureichend gerasterten – fotografischen Abbildungen, die den materiellen und ideellen Prozess der vergangenen knapp dreißig Jahre begleiten. Der umfangreiche wissenschaftliche Nachweisapparat und die lange Liste der Danksagung an Personen und Institutionen, die dem Band beigegeben sind, zeugt von der tiefschürfenden Auseinandersetzung mit einem turbulenten mentalen Wandlungsprozess, der eben erst eingesetzt hat. Nicht zuletzt deshalb verweist der Autor in seinem Epilog an das unveröffentlichte Stück Exit Ghost, in dem das doppelte Erbe der Vergangenheit „die Anerkennung des Erbes des anderen mit sich bringt“ und damit die Erfahrungen aus Ost und West thematisiert und vermischt. Und deshalb „auf performative Weise das Erbe des anderen zu seinem eigenen macht.“
Eine kluge, in sich stimmige Auseinandersetzung mit den leidvollen Spuren, die die DDR hinterlassen hat, und die viele ehemalige Bewohner-innen dieser Diktatur immer noch mit den Verlockungen in den nach 1990 gegründeten Alltagsmuseen verwechseln.