Von „Oper bio“ hält Christian Stückl als Opernregisseur offenbar ebenso wenig wie Dirigent Ainars Rubikis, der Stückls packende, am Premierenabend umjubelte Version von Richard Wagners Oper „Der Fliegende Holländer“ am Pult vor der Neuen Philharmonie München nicht ohne diverse Schmisse in fast allen Instrumentalgruppen gut durchwachsen dirigierte. „Oper bio“ wäre: Gesang und Musizieren ohne Verstärkertechnik. Dem „bio“-gewohnten Ohr tat es weh, dass alles knallte und hallte, was Wagner an romantisch aufschäumender und lyrisch flauschiger Musik in seine Geschichte vom todessüchtigen Ahasver hineingeschrieben hat. Dem Auge, das nah an der breit ausladenden Passionstheater-Bühne war, taten die an den Kopf geklebten Minimikros richtig weh. Sei`s drum: Zu erleben war ein spannungsgeladener „Holländer“ randvoll mit super originellen Regie-Einfällen fast ohne Mätzchen, endlich mal wieder gekonnter Personenführung, bewundernswert prächtig interagierenden Chören von enormer Stärke hochgestimmter, energiegeladener, von Markus Zwink haarscharf einstudierter 180 Laien, dazu ein mehr als solides Solisten-Sextett.
Johohoe, da steht ein ranker Riese als Titelheld im Yeti-Look um Hals und Schultern auf der in Grau und Nebel getunkten Bühne von Stefan Hageneier! Gábor Bretz gibt einen sterbenskranken, über die „Meere aller Zonen“ getriebenen, Erlösung durch die Treue eines Weibes suchenden Geister-Kapo, dem der Ungar seinen tintig gefärbten Abgrund-Bariton leiht. Diesem Prachtkerl einen heißen, nicht eben kurzen Kuss zu verpassen – wie das die einfältige, in ihn als Projektions-Typen verknallte Senta der herrlich frei und forsch und die heikle dreiteilige Ballade grandios meisternden Lettin Liene Kinca schaffte – muss eine Lust gewesen sein, die sich so manche Zuseherin insgeheim wünschte.
Meister Stückl zeigte einmal mehr, wieviel er für Ironie in der Opernromantik übrig hat. Da führt er einen farbigen „Cherubino“ ein, den der verzweifelte Holländer als seinen Engel anbeten darf und der gegen Ende, wenn Senta – sich nicht etwa in die gemalten Wasserfluten stürzt, sondern – in den Schiffsrumpf des von ihr erlösten Geliebten verschwindet, an den Stufen des Geisterschiffes versonnen Blütenblätter zupft: „Er kriegt sie – er kriegt sie nicht …“. Dort erspart er der kauzigen Crew der trockenen Mary (pfiffig, altjüngferlich-resolut: die junge Niederländerin Iris van Wijnen) die ollen Spinnräder und lässt sie stattdessen den Chorsatz „Summ und brumm, du gutes Rädchen“ liedertafel-parodierend einstudieren. Dem Damenchor einen Extra-Schmatz für diese umwerfend komische Einlage zu Beginn des 2. Aktes, nach der (völlig unüblichen) Pause.
Der Hausherr erklärte vorneweg seine Unterbrechungs-Entscheidung, ob nun mit Blick auf die Labungsbedürftigkeit des Publikums oder die heimatliche Gastronomie. Oberammergau als neuer Opernspielort, nach dem „Nabucco“ 2015? Wenn nicht „bio“ (was sich ändern lässt), dann doch mit attraktiven Künstlern. So erwies sich der junge Däne David Danholt als ebenso ausdrucksstarker wie eigenwilliger Erik, der Belgier Denzil Delaere als verzärteltes Weichei eines Steuermannes und Guido Jentjens als durchaus profilgebender Daland.
Stückls „Fliegender Holländer“ wird noch viermal aufgeführt, am 14., 16., 21. und 23. Juli jeweils um 2o Uhr. Tickets gibt`s in fünf Preisklassen (von 29 bis 94 Euro), auch ein Programmheft mit guten Fotos und, gratis, den Charme eines touristisch geschönten, dabei liebenswerten oberbayerischen Theaterdorfes mit Passion, auch für das Wunder-Werk Richard Wagners.
Foto (Hans Gärtner)
Den todfrohen „Holländer“ (Gábor Bretz) hat Senta endlich (Liene Kinca) erlöst, und ein vom Regisseur erfundener „Cherubino“ schaut versonnen zu.
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