John Neumeier und Hamburg: Johnny und Elphilharmonie

Der informell pädagogische John Neumeier, Foto: Hans Gärtner

Hamburg – die „schönste Stadt der Welt“? Mag sein. Hamburg – die „Musical-Metropole“ der BRD? Mag sein. Hamburg – die Stadt des spektakulärsten Konzertsaals und nicht weniger spektakulären klassischen Balletts Deutschlands! Dies war der Grund eines September-sonntäglichen Saison-Eröffnungs-Abstechers von München aus. Um 11 Uhr an die Hamburgische Staatsoper, um 16 Uhr in die sagenumwobene, am 14. 1. 2017 eröffnete Elbphilharmonie (16 Uhr). Hier das Philharmonische Orchester Hamburg unter der Stabführung seines Star-Gastes Christian Zacharias (mit Pause), dort (ohne Pause) die 223. „Ballett-Werkstatt“ des Hamburg Balletts unter ihrem wunderbaren Chef John Neumeier.

Der informell-pädagogische John Neumeier

In wenigen Monaten feiert Johnny seinen 80. Geburtstag. Die Segel stehen steif: 3 Premieren, darunter Glucks Oper „Orphée et Eurydice“, zahlreiche Wiederaufnahmen, die meisten unter Neumeiers Regie, besonders aber „The World of John Neumeier“, eine viel versprechende 3stündige Benefizgala am 24. Februar zugunsten der Stiftung John Neumeier. Das Hamburger Publikum soll auf ausdrücklichen Wunsch des zu Ehrenden in die Geburtstagsfeierlichkeiten einbezogen werden. Es sollte aber auch einen Eindruck von seinen Leistungen erhalten – die „Werkstatt I“ gab davon so viel umwerfend Schönes und (erwartet) Professionelles, dass man am liebsten nur noch Ballett-„Schüler“ unter „Lehrer“ Neumeiers informeller Führung sein möchte. Als Moderator am Mikrofon gab er sich so bescheiden und liebenswürdig unterkühlt wie gewohnt. Als ob dieser größte derzeit lebende und noch im vollen Vermögen seiner choreografischen und inszenatorischen Inspiration stehende theaterbesessene Kunsttänzer stets hinter all dem, was er 45 Jahren (!) mit seiner hochmotivierten Compagnie erarbeitete, am liebsten verschwände. „Bernstein Dances – weiter!“ – der Werkstatt-Titel hätte sich leicht in „ … – heiter!“ umtaufen lassen. Was der optimistische, ansteckende John Neumeier über sein Verhältnis zum vor 100 Jahren geborenen „Wunder“ Leonard Bernstein und dessen lebendiges musikalisches Erbe erzählte und mit einer Reihe ausgewählter geschaffener Szenen belegte, war von einer solch bezaubernden Verve und solch bestechenden künstlerischen , Kraft tänzerischen Ausdrucksvermögens getragen, dass man beglückt in den Mittag an den Jungfernsteg zog …

Der mozart-weise Christian Zacharias

… um, gestärkt und durchsonnt, sich auf das Abenteuer einer Erstbegehung der Elbphilharmonie einzulassen. Das dreiteilige Orchesterkonzert musste sich, zugegeben, mit halber Aufmerksamkeit des immer wieder vor Erstaunen über die Wunder-Architektur, die sich Hamburg leistete, nach Luft ringenden Erstbesuchers begnügen. Der Start in die neue Saison konnte runder, wohltemperierter nicht ausgefallen sein als es dem dirigierenden Pianisten Christian Zacharias mit seinem großartigen Philharmonischen Staatsorchester Hamburg glückte. Von hinten her erinnert: W. A. Mozarts Klavierkonzert c-Moll, getoppt von einem hinreißend angeschlagenen Sonatensatz des Salzburgers, atmete so gar nicht die „Figaro“-nah erklärbare Erregtheit des musikalischen Geschehens – im Gegenteil: Zacharias, der vom Flügel aus bewundernswert locker agierte, brachte es zu einer beruhigenden Ausgewogenheit selten erlebter Mozart-Interpretation. Im Süden fällt sie zumeist ambitionierter aus als sie, nordisch erfasst, in Wirklichkeit ist, nämlich voll fein durchzuatmender Gelassenheit. Alles Effekthascherische scheint Zacharias ohnehin fern zu sein.

Bei der einstimmenden Wiedergabe der knapp halbstündigen „91er“ in Es-Dur, einer der am wenigsten populären der gut 100 Symphonien Joseph Haydns, atmete man mehr den Mozart-nahen Geist der Abgeklärtheit als das erwartete Aufleuchten so manche kleiner Widerborstigkeiten des Eisenstädter fürstlichen Kapellmeisters. Das Fagott machte eine gute Figur, wie überhaupt das Holz insgesamt sich bestens in Form fand und Zacharias in die Hand spielte, dass es eine wahre Freude, auch bei Mozart, war. Arnold Schönbergs zweite Kammersymphonie op. 38, erstmals 1940 in New York öffentlich gemacht, putzte der weise Zacharias als ein Juwel der Sonderklasse auf. Er ließ ihm seinen eigenen herben Schimmer, den die Zweite Wiener Schule nicht durchgehend der Wiener Klassik entgegenzusetzen vermochte. Dem perfekt/perfide ausgefallenen „Con fuoco“-Satz noch lange nach zu lauschen fiel insofern leicht, als er so plastisch wie kaum je bei Schönberg das „musikalische Gedächtnis“ in Bewegung hielt und dem von „Elphi“ (Etage 15, Bereich J, Reihe 4) erwartungsgemäß akustisch verwöhnten Erstbesucher einen beinahe Wagner-seligen Schönberg von großer Nachhaltigkeit beschert hatte. (Beide Fotos vom Berichterstatter)

Der mozart-weise Christian Zacharias
Quelle: Hans Gärtner

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.