Mit Befremden ist zur Kenntnis zu nehmen, dass sich gewisse Politiker und selbsternannte Ökonomen rühmen, die richtigen Entscheidungen zwecks Überwindung der Finanzkrise getroffen zu haben. Dieses betrifft insbesondere die Verfechter des Neoliberalismus, welche immer noch nicht zugeben können, dass dieses Konzept als endgültig gescheitert angesehen werden kann, zumal Deregulierungen der Finanzmärkte als eine der Hauptursachen für das eingetretene Desaster anzusehen sind.
Als besonders merkwürdig kann diese Verhaltensweise angesehen werden, da keineswegs davon auszugehen ist, dass die Finanzkrise überstanden ist. Es fehlen wirksame Maßnahmen zur Eindämmung der Spekulationen, was zu einer neuen Finanzblase führen kann. Eine erneute Krisensituation dürfte dann wohl nur noch mit einer drastischen Währungsreform und den damit verbundenen Abwertungen zu be- wältigen sein.
Politiker, die hier nicht genannt werden, waren es, welche vehement die Thesen von Keynes als Teufelswerk bezeichnet haben, um sich dann plötzlich in der Krisensituation auf diese zu besinnen und dreistellige Milliardenbeträge in das System pumpten, um den Zusammenbruch zu vermeiden. Dass wir es wohl in naher Zukunft mit einer Staatsverschuldung von 2 Billionen Euro zu tun haben werden, wird unter den Tisch gekehrt.
Die Ereignisse dürften Grund genug sein, sich einmal mit Keynes und seinen Erkenntnissen zu befassen.
John Maynard Keynes, der Brite (1883-1946),veröffentlichte 1936 seine Lehre mit dem Titel „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes.“ Bei den meisten Wirtschaftstheoretikern löste das Werk eine Glaubenskrise aus. Der ehemalige Wirtschaftsminister Karl Schiller hatte beim Lesen des Werkes das Gefühl, ein Erdbeben zu erleben. Anfangder siebziger Jahre konnte dieser mittels praktischer Anwendung der Erkenntnisse von Keynes das Nullwachstum in der Deutschen Wirtschaft innerhalb von 3 Monaten auf 7 % Zuwachs bringen.
Verdienst von Keynes war es, die „hochheilige“ Theorie von Adam Smith (1723-1790), die als Grundlage der damaligen klassischen Nationalökonomie galt, einfach auf den Müll zu werfen. Das merkwürdige Dogma von Smith lautete, dass freie Konkurrenz in der Wirtschaft einer natürlichen Ordnung gehorcht, d. h., wie sich das Wetter nach einem Sturm verhält und ohne Zutun wieder beruhigt. Demnach soll der Markt nach einer Störung aus eigner Kraft wieder zu einem Gleichgewicht gelangen, was den sogenannten Liberalen als Vorwand diente, und teilweise immer noch dient, jegliche staatliche Eingriffe abzulehnen. Offenbar ist es diesen bis heute nicht gelungen, den Begriff „Markt“ näher zu durchleuchten, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche Grundlagen für ein erwünschtes Gleichgewicht erforderlich sind.
Keynes bestritt die Theorie von Smith, dass sich ein aus den Fugen geratenes Wirtschaftssystem von selbst ausbalanciert, also eine Automatik gegeben sei. Keynes behauptete vielmehr, das es ein Glücksfall wäre, wenn ein ideales Gleichgewicht, zu dem die Vollbeschäftigung der Menschen und Maschinen gehört, existiert. Deshalb müsse der Staat, also eine außerhalb des Systems vorhandene Kraft, gegebenenfalls genügend Arbeit beschaffen. Die damaligen Ökonomen und „Praktiker“ bezeichnete er kurzerhand als Sklaven eines verblichenen Ökonomen.
Grundsätzliches Ziel der Theorie von Keynes war die Vollbeschäftigung, obwohl sich dieser niemals mit dem Werk „Das Kapital“ von Marx auseinandergesetzt hat. Geleitet wurde dieses Ziel davon, dass Massenarbeitslosigkeit die Demokratie ruiniert. Keynes äußerte einmal, dass er sich im Klassenkampf auf der Seite der „gebildeten Bourgeoisie“ befinden würde, denn die Konservativen würden weder Speise noch Trank und Intellektuelle sowie spirituelle Lösungen bieten, was in der derzeitigen politischen Situation in der BRD wohl nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Demnach konnte man ihn nun wirklich nicht als „linken Ökonom“ bezeichnen.
Keynes wurde 1909 zum Lehrkörper des „Kings College“ ernannt, ohne jemals ordentlicher Professor zu werden. Er las dort über Geld, Kredit und Preise. Er wurde Redakteur der renommierten Zeitschrift „Economic Journal.“ Dieses veröffentlichte 1913 sein erstes Buch „Indian Currency und Finance“. Im gleichen Jahr berief man ihn in die „Königliche Volkswirtschaftliche Gesellschaft“. Vor dieser Komission vertrat er seine teilweise revolutionären Ansichten. Hierbei ging es u. a. um die Abkehr vom Goldstandard im Jahre 1914. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges übernahm er einen Posten im britischen Schatzamt. Dort dachte er trotz seiner pazifistischen Grundhaltung über die Finanzierung des Krieges nach. Beim Auftreiben von Devisen für Waffenkäufe zeigte er erstaunliche Fähigkeiten. Deshalb wurde er von der britischen Regierung im Januar 1919 als Finanzbeauftragter zur Friedenskonferenz nach Paris geschickt.
Drei Wochen vor Abschluss des Versailler Vertrages warf Keynes das Handtuch. Er hatte sich einen Einblick in die Wirtschaftskraft des Deutschen Reiches verschafft, und ging davon aus, dass die Siegermächte das Deutsche Reich rücksichtslos aus- pressen wollen, und die Möglichkeiten des besiegten Landes völlig unbeachtet ließen. Aufgrund seiner Erkenntnisse schrieb er innerhalb von zwei Monaten das Buch: „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages“. In diesem Buch wies er gnadenlos logisch nach, dass durch die Forderungen der Siegermächte die wirtschaftlichen Säulen des Deutschen Reiches ins Wanken geraten würden.
Bekanntermaßen behielt Keynes recht. Die Ausbeutung des Deutschen Reiches schaffte die Voraussetzungen zur Beendigung der Demokratie und somit zum 3. Reich mit allen negativen Folgen. Eine gewisse Aktualität zur Situation in der EU ist erkennbar, wenn man Sparmassnahmen fordert, welche die betroffenen Länder überfordern. Es dürfte davon auszugehen sein, dass sich die Probleme aufgrund der Krise auf den Finanzmärkten nicht auf Griechenland, Portugal und Irland beschränken werden. Eine einheitliche Wirtschafts-, Finanz- und Fiskalpolitik der EU ist bisher nicht erkennbar.
1925 traf Winston Churchill eine Entscheidung, die als eine der katastrophalsten Fehler bezeichnet werden kann, die je einer Regierung in der Geschichte der modernen Wirtschaft unterlaufen ist. Es handelte sich um die Rückkehr zum Gold- standard, wodurch sich die Exportgüter extrem verteuerten, und die Importe sich drastisch verbilligten. Dieses hatte prompt eine Massenarbeitslosigkeit zur Folge, was Churchill veranlasste, per Gesetz die Löhne zu kürzen, um dadurch die Preise zu senken.
Keynes hatte in Vorträgen und Artikeln unermüdlich vor den Folgen der Wiederein- führung des Goldstandards gewarnt. Erst 1931 gestand die britische Regierung ihren Fehler ein und schaffte diesen wieder ab. Keynes glaubte bereits 1929, vor der Welt- wirtschaftskrise, erkannt zu haben, dass der Kapitalismus die Tendenz der Instabili- tät in sich birgt. Mit dieser Auffassung, die nur noch von den Marxisten geteilt wird, hat er sich in den Gegensatz der zu der damaligen Lehrmeinung gestellt aufgrund dessen man auch nicht geneigt war, Rezepte zur Beseitigung akuter Krisen zu entwickeln. Zur langfristigen Selbstheilung der Volkswirtschaften und des Marktes äußerte er einmal ironisch, dass wir alle auf lange Sicht tot sind.
Nach Ansicht der klassischen Theoretiker reguliert das Gesetz von Angebot und Nachfrage nicht nur die Warenpreise, sondern auch den Arbeitsmarkt. Diese machten aber die Einschränkung, dass dieser Mechanismus nur dann funktioniert, wenn die Bewegungen auf dem Warenmarkt möglichst syncron mit den Bewegungen auf dem Arbeitsmarkt verlaufen würden. Deshalb verfolgen die Verfechter liberaler Theorien eine größere Elastizität der Löhne und Gehälter nach oben und nach unten. Zu Recht bezweifelte Keynes derartige, merkwürdige Vorstellungen.
Am 25. Oktober 1929 brach in New York der große Börsenkrach aus. Die damaligen Ökonomen empfahlen den Regierungen abzuwarten, und ihre öffentlichen Ausgaben zu beschneiden, da andernfalls der Staatsbankrott drohe. Keynes hingegen forderte genau das Gegenteil. Der Staat solle sich Geld leihen, und mit diesem Geld sinnvolle Arbeitsplätze schaffen (Deficit Spending). Warum, argumentierte er, solle der Staat nicht Aufträge vergeben, wenn auf Grund ungünstiger Gewinnerwartungen die Unternehmer wenig Neigung verspürten Investitionen vorzunehmen. Das geliehene Geld solle der Staat aber in der folgenden Boomphase zurückzahlen, da dann auch das Steueraufkommen steige.
Eine aktuelle Kernaussage von Keynes lautete, dass der Staat den Marsch in den wirtschaftlichen Niedergang stoppen kann, indem er den Geldumlauf erhöht, und dadurch die Zinsen senkt. Diese Politik kann jedoch keinen Erfolg haben, wenn die Gewinnerwartungen auf dem Wertpapiermarkt höher sind als die zu erwartenden Unternehmergewinne. Dann ist die Situation eingetreten, dass die Pferde zur Tränke getrieben wurden, aber es versäumen zu saufen.
Am 21. April 1946 verstarb Keynes. Die „Times“, die ihn früher sehr scharf kritisierte, schrieb in einem Nachruf: „Das Land hat einen großen Engländer verloren“.
Angekratzt wurde die Lehre Keynes vom „Deficit spending“ auch theoretisch, von den sogenannten Neoklassikern, zu denen auch Milton Friedmann zu zählen ist. Sie behaupten, dass staatliche Mehrausgaben keinen Einfluss auf die Konjunktur nehmen, dass der Multiplikatoreffekt eine Legende, und der Wohlstand der Nachkriegszeit allein auf die Liberalisierung der Weltwirtschaft zurückzuführen sei. Die Neoklassiker schwören jeder aktiven staatlichen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik ab, und setzen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes, die – auf lange Sicht – stark genug seien, eine Volkswirtschaft wieder ins Gleichgewicht zu rücken.
Doch wie sagt der Kurzzeit-Theoretiker Keynes? „Auf lange Sicht sind wir alle tot“.
Literaturhinweise:
Stern Buch, Paul-Heinz Koesters, „Ökonomen verändern die Welt“
Robert Lekachman, „John Maynard Keynes – Revolutionär des Kapitalismus“ Duncker & Humblot.
John Maynard Keynes: „Allgemeine Theorie der Beschäftigung,des Zinses und des Geldes“
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