Thüringens Ex-Ministerpräsident zu Besuch in Coburg: Vieles, was Bodo Ramelow beim Kamingespräch sage, war bedenkenswert

Der damalige Ministerpräsident Bodo Ramelow in der Staatskanzlei in Erfurt, Foto: Stefan Groß-Lobkowicz

Das Wortgefecht am Kamin über die politische Situation Deutschlands nach der Bundestagswahl vom 23. Februar verlief eindeutig zugunsten des aus Erfurt angereisten Ex-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (geboren 1956), der alle Gesprächsrunden für sich entschied. Der Begriff „Wortgefecht“ ist aber insofern falsch, weil der Coburger Altbürgermeister Norbert Kastner (geboren 1959) buchstäblich nichts zu sagen hatte: Einmal deshalb, weil er kaum DDR-Kenntnisse vorweisen konnte, und einmal deshalb, weil er nicht zu Wort kam. Wenn er zwei, drei Sätze ausgesprochen hatte, fiel ihm sein redegewandter Kontrahent, der jetzt für seine Partei „Die Linke“ im Bundestag sitzt, vehement ins Wort, dann nämlich, wenn ein Stichwort fiel, womit er in einem Redeschwall über alle möglichen Themen zur Geschichte Thüringens vor und nach dem Mauerfall vom 9. November 1989 referieren konnte. Für sein breites und in vorzüglicher Rhetorik vorgetragenes DDR-Wissen gab es mehrmals Beifall auf offener Szene. Der Rentner Norbert Kastner, zum Stichwortgeber degradiert, konnte da nicht mithalten: Wie er da, mit verkrampften Beinen, auf seinem Sessel saß und vergebens versuchte, zu Wort zu kommen, konnte er einem nur noch leidtun. Sein Gesicht war immer seinem Erfurter Gegenpart zugewandt, während der aufgeklärte Kommunist aus Gregor Gysis Gefolgschaft mit dem Gesicht zum Publikum saß und die Beifallsstürme einsammelte!

Dass Bodo Ramelow in Niedersachsen geboren wurde und als hessischer Gewerkschafter 1990 nach Thüringen gezogen ist, wurde nur beiläufig erwähnt, war aber eminent wichtig für seinen Coburger Auftritt. Denn es ist von Bedeutung, dass man weiß, dass er kein gelernter DDR-Bürger ist. Alles, was er über den untergegangenen SED-Staat weiß, hat er nachträglich erfahren in Gesprächen mit seinen Genossen aus der schon totgesagten Partei „Die Linke“. Und die waren, wie Parteigründer Dr. Gregor Gysi, bis 1989 SED-Mitglieder, die ihm die DDR-Realität aus der Sicht der vier Jahrzehnte gnadenlos herrschenden Kommunisten erklärten und nicht aus der der unterdrückten Bevölkerung. Bei diesem verunglückten „Kamingespräch“, war vieles, was Bodo Ramelow sagte, wichtig und bedenkenswert, viel wichtiger aber war, was er nicht sagte.

Nicht erwähnt wurde beispielsweise, dass es in den 40 DDR-Jahren 1949/89 nie demokratische Wahlen gegeben hat, sondern, dass die Staatspartei SED mit den „Blockparteien“ immer mit 99 Prozent als Sieger aus diesen Scheinwahlen hervorging. Nicht erwähnt wurde, dass es am 17. Juni 1953 einen Arbeiteraufstand gab, der die „Arbeiterregierung“ in Berlin-Pankow fast hinweggefegt hätte, wäre er nicht von Sowjetpanzern niedergeschlagen worden. Ich selbst habe 1962 im Zuchthaus Waldheim in Sachsen, wo ich als Mainzer Student drei Jahre einsaß, noch Verurteilte des 17. Juni angetroffen wie den Bitterfelder Streikführer Paul Othma (1905-1959), der zu zwölf Jahren verurteilt war. Die SED-Führung und ihre ideologischen Nachbeter nach dem Mauerfall 1989 haben von 1953 bis zum 70. Jahrestag 2023 den Arbeiteraufstand als „konterrevolutionären Putschversuch“ gebrandmarkt, dann erst wurde zugegeben, dass es doch ein Arbeiteraufstand gegen Walter Ulbricht und Genossen war. Nicht erwähnt wurde auch, dass sich die SED-Führung am 11. Dezember 1957 mit dem „Strafrechtsergänzungsgesetz“ ein juristisches Instrumentarium geschaffen hat, mit der sie die anwachsende Opposition ausschalten konnte. In demokratischen Staaten gelten Mord, Totschlag, Raub, Diebstahl als Verbrechen, die geahndet werden. Bei den DDR-Kommunisten galten zusätzlich „Staatsfeindliche Hetze“, „Republikflucht“, „Staatsverleumdung“, „Staatsfeindliche Verbindungsaufnahme“ als Verbrechen, für die Tausende bestraft wurden.

Nach der Diskussion, als Leute auf die Bühne stürmten, um Bodo Ramelow zu sprechen, hatte Norbert Kastner, dessen DDR-Kenntnisse sich darauf beschränkten, Erfurt schön zu finden, längst das Weite gesucht!

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Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.