Eines der härtesten Zuchthäuser: Geschunden im Zuchthaus Cottbus

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Am 10. Mai 1974 wurde der oppositionelle DDR-Schriftsteller Siegmar Faust in der Papierfabrik von Heidenau bei Dresden von der „Staatssicherheit“ verhaftet und am 24.September vom Bezirksgericht Dresden wegen „staatsfeindlicher Hetze“ zu viereinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Mit dem „Grotewohl-Express“, wie die DDR-Häftlinge die Gefangenentransporte nannten, wurde er über Bautzen und Görlitz ins Zuchthaus Cottbus gebracht, wo er über 400 Tage im Keller im „Tigerkäfig“ eingesperrt war. Dort unten, wo niemand seine Schmerzensschreie hören konnte, wurde er von seinem „Erzieher“, VP-Leutnant Günter Hoffrichter, mit einer Stahlrute gezüchtigt, bis er wimmernd am Boden lag.

Da die Briefe, die er an seine Frau Martina nach Heidenau gerichtet hatte, nicht abgeschickt wurden, schrieb er seiner sechsjährigen Tochter Norico einen Brief zum Schulbeginn. Auf die freie Rückseite aber schrieb er mit Zuckerwasser einen Hilferuf. Als seine Frau zu Besuch kam, konnte sie auf seinem linken Handrücken lesen: „Brief bügeln!“ Zuhause konnte sie dann entziffern, was ihr da mitgeteilt wurde, und fuhr sofort zu Wolf Biermann nach Ostberlin, der seinen Freund Robert Havemann verständigte. Der wiederum schrieb, am 16. März 1976, an den SED-Generalsekretär Erich Honecker, den er aus gemeinsamer Haft vor 1945 im Zuchthaus Brandenburg kannte, und bat darum, Siegmar Faust freizulassen.

Wenige Tage später, am 21. März, wurde Siegmar Faust aus seinem Verlies im Keller nach oben in ein Dienstzimmer gebracht, wo ihn ein Staatsanwalt aus Ostberlin erwartete. Von ihm erfuhr er, dass er umgehend wegen „guter Führung“ aus der Strafhaft entlassen werde. Der so plötzlich Begnadigte war fassungslos über den Sinneswandel der Staatsmacht. Nun wurde er, da er in Arbeitskleidung verhaftet worden war, auf Staatskosten neu eingekleidet, bekam eine Fahrkarte nach Heidenau zugesteckt und fünf Mark Zehrgeld.

Was Siegmar Faust hier vorlegt, ist ein unerhört aufregendes und spannendes Buch, nicht nur für ehemalige Häftlinge. Die Umrisse seines Lebens kannte man schon mehr oder weniger, hier erfährt man die Einzelheiten. Er gehörte zur kleinen Minderheit der DDR-Bürger, die den ungeliebten Staat, auch wenn ihnen Verfolgung und Verhaftung drohte, mit überzeugenden Argumenten bekämpften. Diese Erziehungsdiktatur, die in 40 DDR-Jahren nie durch demokratische Wahlen legimitiert wurde, war aber Argumenten nicht zugänglich. Markus Wolf, der Leiter der DDR-Auslandsspionage, hat das 1990, im Interview mit Günter Gaus, auf den Punkt gebracht: „Jeder, der anders dachte als die Führung, konnte kriminalisiert werden.“ Im fernen Chile, wohin sie auswandern durfte, ohne vor einem deutschen Gericht für ihre Straftaten wie die Zwangsadoptionen belangt worden zu sein, äußerte Margot Honecker: „Wer sich ruhig verhalten hat, dem ist nichts passiert!“ Das bedeutete freilich auch, zu allen Verbrechen, die die herrschenden Kommunisten in vier Jahrzehnten begingen, zu schweigen.

Siegmar Faust konnte aber, bei allem Unrecht, das er mitansehen musste, nicht schweigen und hatte die Konsequenzen zu tragen. Als der SED-Staat am 7. Oktober 1949 gegründet wurde, war er knapp fünf Jahre alt und war seitdem der staatlich verordneten „Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit“ unterworfen. Auch deshalb ist dieses Buch so wertvoll, weil darin alle Schritte dieser „Unterwerfung durch Erziehung“ (Buchtitel von Gerhard Möbus 1965) nachgezeichnet sind und auch das Aufbegehren dagegen.

Wer einmal der „Staatssicherheit“ unangenehm aufgefallen ist, konnte dem Teufelskreis ständiger Observierung, tagsüber und nachts, kaum noch entrinnen, es sei denn, er wurde als „inoffizieller Mitarbeiter“ verpflichtet. Am 9. Oktober 1967 nahm Siegmar Faust ein Studium am Leipziger Literaturinstitut auf. Schon drei Wochen danach wurde das Studium durch einen Arbeitseinsatz im Braunkohlenkombinat „Otto Grotewohl“ in Böhlen unterbrochen. Dort schrieb er ein Gedicht, worin der 17. Juni 1953 erwähnt wurde, das war der Tag des Arbeiteraufstands, der damals dem noch jungen SED-Staat fast ein jähes Ende bereitet hätte. Allein die Nennung dieses Datums sorgte für gewaltige Aufregung!

Wer als DDR-Gegner durch Diskussionen nicht zur Einsicht gebracht werden konnte, galt als verstockt und wurde schließlich zum „Staatsfeind“ erklärt. Siegmar Faust hatte im Juni 1966 in öffentlicher  Lesung „unzensierte Lyrik“ vortragen lassen, wurde deshalb der Leipziger Universität verwiesen und musste sich in der Kreisstadt Pirna „in der Produktion bewähren“.

Wer den Kommunisten bei ihrer Politik der Menschheitsbeglückung im Wege stand, wurde erbarmungslos vernichtet! Die vier DDR-Jahrzehnte 1949/89 mit der Massenflucht nach Westberlin bis 1961 und dem Abschießen Hunderter von Flüchtlingen an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze sind ein warnendes Beispiel dieser unmenschlichen Machtpolitik. Nur die Existenz des Nachbarstaates Bundesrepublik Deutschland verhinderte schlimmere Exzesse.

Unter diesen Prämissen erscheint das DDR-Leben Siegmar Fausts bis zur Ausbürgerung 1976 dem Leser wie ein ständiger Versuch auf einem Drahtseil einen Abgrund zu überqueren. Nach der Exmatrikulation durch das Literaturinstitut am 1. April 1968 hätte er eigentlich Leipzig verlassen müssen, konnte dem aber entgehen, weil er einen Vertrag mit der Stadtverwaltung unterschrieb, als Motorbootfahrer auf zwei Stauseen zu arbeiten. Hier veranstaltete er mit noch unbekannten Dichtern, darunter Wolfgang Hilbig (1941-2007), der 1985 nach Westdeutschland ausreisen und berühmt werden sollte, wiederum Lesungen mit „unzensierter Lyrik“, was von der „Staatssicherheit“ aufmerksam beobachtet wurde.

Am 3. September 1968 wurde er aus Leipzig ausgewiesen und am 27. November 1971 verhaftet, aber noch während der Untersuchungshaft freigelassen, weil am 7.Oktober 1972, dem DDR-Geburtstag, eine Amnestie verkündet wurde, die 32 000 Häftlinge betraf. Im Herbst 1972 wurde Siegmar Faust Hilfsarbeiter in der Papierfabrik Heidenau, wo auch aus Westpaketen beschlagnahmte Literatur zu Wellpappe verarbeitet wurde. Die zwei Verhaftung erfolgte am 10. Mai 1974, die Verurteilung zu viereinhalb Jahren wegen „staatsfeindlicher Hetze“ am 24. September. Nach der vorzeitigen Entlassung am 27. März 1976 wohnte er einige Wochen bei Wolf Biermann in der Chausseestraße 131 und durfte am 1. September mit dem Interzonenzug von Dresden nach Frankfurt/Main ausreisen.

Siegmar Faust „Verdoppeltes Leben“, Autobiografie, Verlag Inspiration Unlimited, Berlin 2025, 572 Seiten, 24.90 Euro

Über Jörg Bernhard Bilke 270 Artikel
Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.