Das Dorf Burträsk hat nur 1575 Einwohner und liegt im waldreichen Norden Schwedens nahe der Ostseeküste. Dort wohnte seit 1995 der 1944 in Wien geborene Alexander Radler , der früher in der DDR gelebt und als „inoffizieller Mitarbeiter“ in Diensten des „Ministeriums für Staatssicherheit“ in Berlin-Lichtenberg gestanden hatte. Getarnt als Seelsorger hatte er gehofft, unentdeckt zu bleiben, wenn eines Tages ruchbar werden sollte, dass er ein Vierteljahrhundert lang für Erich Mielke gearbeitet hat. Angeworben worden war er 1965 von den immer wachsamen DDR-Tschekisten, als er an der Humboldt-Universität in Ostberlin Theologie studierte. Bis zum Mauerfall am 9. November 1989 hatte er Kontakt mit der „Staatssicherheit“, was jetzt in seiner Täterakte von 1000 Seiten, die auch seine Observierungsberichte enthält, nachweisbar ist.
In Schweden wäre er wohl bis zu seinem Tode unentdeckt geblieben, wenn seine Akte nicht in der Berliner Gauck-Behörde, die heute von Roland Jahn geleitet wird, gefunden worden wäre. Die schwedischen Behörden nämlich gehen mit ehemaligen Agenten der DDR-Staatssicherheit behutsam und nachsichtig um. Da ihre Verbrechen inzwischen verjährt sind, scheint niemand daran interessiert zu sein, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, welchen Gefahren der neutrale Staat Schweden während des Kalten Krieges ausgesetzt war. Die 1943 geborene Historikerin Birgitta Almgren in Stockholm, die 2011 das Buch veröffentlichte „Inte bara spioner…Stasi-infiltration i Sverige under kalla kriget“ (Nicht nur Spione…Stasi-Infiltration in Schweden während des Kalten Krieges), hat das selbst erfahren müssen. Ihr Gesuch, die Akten der schwedischen Sicherheitspolizei einsehen zu dürfen, wurde zunächst abschlägig beschieden, bis sie sich den Zugang durch einen Gerichtsprozess erstritt. Die Auflagen, denen sie sich unterziehen musste, waren: Keinen Kontakt zu den betroffenen Ex-Agenten aufzunehmen; während der Arbeit im Archiv keine Notizen anzufertigen; in ihrem Buch die Namen der Betroffenen zu anonymisieren. Unter diesen Prämissen scheint die Enttarnung Alexander Radlers wie ein Türöffner zu den Geheimakten der schwedischen Polizei!
Nach einem Gutachten des Berliner DDR-Forschers Prof. Dr. Helmut Müller-Enbergs, der 2011 an der Universität Visby auf der Insel Gotland Vorlesungen über DDR-Spionage hielt, war der einstige DDR-Bürger mit österreichischem Pass nicht nur als einfacher „Aufklärer“ für die Genossen in der Normannenstraße tätig, sondern er gehörte einer MfS-Elite an und brachte es zudem auf immerhin 25 „Dienstjahre“, was höchst selten war. Von den 189 000 Zuträgern der Staatssicherheit hatten nur 3900 diesen elitären Status. Den Fall aufgedeckt und den Pfarrer gestellt hatte die Stockholmer Wochenzeitung „Expressen“, die den Ex-Agenten im Frühjahr 2012 im nordschwedischen Burträsk mi belastenden Dokumenten konfrontierte. Die Antwort des beschuldigten Pfarrers war: „Ich bin nicht Spion, ich war nie Spion und habe meines Wissens nie etwas mit der Stasi zu tun gehabt…Ich habe nichts zu bekennen und zu bereuen.“ Auch die in den Akten geleisteten Unterschriften wären nicht seine. Trotz dieser Aussage trat er als Pfarrer von seinem Amt zurück! Später aber bekannte er gegenüber der schwedischen Tageszeitung „Dagens Nyheter“ in Stockholm : „Ich bedaure den ganzen Handlungsverlauf zutiefst und werde in der kommenden Zeit meine Lebensgeschichte bearbeiten.“, während seine Frau gegenüber der Zeitung bestätigte, ihr Mann wäre tatsächlich der „inoffizielle Mitarbeiter Thomas“ gewesen.
Bevor Alexander Radler 1968 nach Schweden gekommen war, um an der Universität Lund Theologie zu studieren, war er schon tief in MfS-Aktivitäten verstrickt. Schon im ersten Jahr nach der Anwerbung hatte er 121 Kontakte mit seinen Führungsoffizieren. Er beobachtete, welchen Einfluss die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im Sommer 1968 auf das Denken der DDR-Studenten hatte und lieferte der Staatssicherheit die Namen von sechs Jenaer Studenten, die ihre „Republikflucht“ planten und dann zu Gefängnisstrafen von anderthalb bis vier Jahren verurteilt wurden; zwei von ihnen nahmen sich während der Haft das Leben. Als die Staatssicherheit befürchtete, seine Identität als „inoffizieller Mitarbeiter“ könnte im bevorstehenden Prozess gegen die „Republikflüchtlinge“ aufgedeckt werden, beschloss die MfS-Führung, im Einverständnis mit dem „Genossen Minister“, dass er „aus operativen Gründen ins kapitalistische Ausland“ reisen sollte. Wenn aber die Schweden Verdacht schöpften, sollte er die Fähre von Trelleborg nach Polen nehmen, das Ministerium würde dann „für alles Nötige sorgen“.
Alexander Radler gehört zu den DDR-Theologen, die nicht gerade von christlicher Nächstenliebe erfüllt waren! Nicht Gott, sondern Erich Mielke waren sie untertan und verrieten ihre Mitbürger reihenweise. Es gab aber nicht nur Pfarrer und Bischöfe im Dienste der deutschen Tschekisten, sondern auch MfS-Offiziere, die im Auftrag Erich Mielkes Theologie studierten, um die Evangelische Kirche zielsicherer zersetzen zu können. Ein weites Arbeitsfeld für DDR-Forscher!