„Marx ist tot, Jesus lebt!“ dies sagte der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm kurz nach der Wende. Und tatsächlich schien er lange Zeit Recht zu behalten. Die allerorts vorhandenen dicken Wälzer von Karl Marx und seinem Freund Friedrich Engels wurden zuhauf in Papiercontainern, auf dem – wie Marx selbst einmal geunkt hatte – „Schutthaufen“ der Geschichte, versenkt. Öffentlich über Marx reden? Fehlanzeige! Nur die wenigsten „trauten“ es sich noch. Sein opulentes Monument in Chemnitz, dem ehemaligen Karl-Marx-Stadt, der riesige Kopf – von den Einwohnern liebevoll „Nischel“ genannt – ist immer noch umstritten. Doch Totgesagte leben offensichtlich länger. Der bärtige Kommunismustheoretiker ist wieder in aller Munde. Seine kritischen Blicke auf den Kapitalismus erscheinen erstaunlich modern. Warum also nicht auch die jüngsten Leser mit seinen Gedanken vertraut machen.
Und wie dies der französische Wissenschaftsphilosoph Ronan de Calan bewerkstelligt, davor kann man nur den Hut ziehen. Mit einfachen Worten – von Heinz Jatho kindgerecht ins Deutsche übertragen – und anschaulichen Vergleichen, gelingt es ihm, den Geist von Marx, den er selbst als den »Propheten von Soho« bezeichnet, wieder lebendig werden zu lassen. Dazu stülpt er ihm ein großes Tuch über den Kopf, lässt ihn als furchteinflößendes Gespenst (des Kommunismus) durch die Seiten flattern und die Geschichte des Klassenkampfes erzählen. So beobachtet er die schlesischen Bauern, die aufgrund der „Gesetze“ des Marktes zu ausgebeuteten Webern werden, sich letztendlich als Proletariat gegen ihre Peiniger erheben und vernichtend niedergeknüppelt werden. „Man weiß nie genau, gegen wen man kämpfen soll, und oft hält man den Falschen für den Feind.“ Karl Marx, der als junger Student der Philosophie den blutigen Aufstand der Tuchmacher miterlebte, beschloss fortan, den teuflischen Zauberer mit dem diffusen Begriff „Markt“ zu finden. Was ist eigentlich ein Preis? Was steckt hinter dem Wort Geld? Warum kostet ein Kilo Kartoffeln ein Geldstück und ein Strohstuhl fünfzig? Und wie arbeitet der seriös wirkende Herr mit dem Zylinder auf dem Kopf und der dicken Zigarre im Mund? Herrn Kapital, wie er sich nennt, gilt es einen genaueren Besuch abzustatten. Irgendwie scheint er gleichfalls mit einem Geiste unter einem Tuch zu stecken…
Nicht nur der Text erläutert auf faszinierend simple Art und Weise die revolutionären Ideen von Karl Marx und die Ursachen des Klassenkampfes, sondern auch die Illustrationen von Donatien Mary tragen nicht unwesentlich zum Gelingen dieses sehr zu empfehlenden Kinderbuches (Altersempfehlung 7 bis 14 Jahre) bei. Seine flächigen, auf wenige Farben beschränkten (schwarz, rot und blau sind explizite Dominanzfarben) Grafiken erzielen ihre Wirkung gerade durch ein Weniger als ein Zuviel. Als äußerst wirkungsvolles Stilmittel setzt er zudem wuselige Zahlenwolken ein, die aus Mündern und Schornsteinen quellen oder in diffus-bedrohlichen Nebelschleiern wabern. Das Gesicht des Herrn Kapital besteht gar komplett aus ihnen. Donatien Marys Abbildungen stehen dem Text von Ronan de Calan absolut ebenbürtig gegenüber und ergänzen diesen kongenial.
Fazit: Ein weiteres wunderbares Buch der in Frankreich bereits begeistert aufgenommen Reihe „Platon & Co“, die Kinder und Philosophie zusammenbringen möchte.
Ronan de Calan, Donatien Mary
Das Gespenst des Karl Marx
Aus dem Französischen von Heinz Jatho
Titel der Originalausgabe: Le fantôme de Karl Marx
diaphanes Verlag (März 2014)
64 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3037344326
ISBN-13: 978-3037344323
Preis: 14,95 EUR
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.