Mit seiner beeindruckenden Buchreportage „Autobahn – ein Jahr zwischen Mythos und Alptraum“ hat sich Drehbuchautor Michael Kröchert dem wohl geliebtesten Hassobjekt der Deutschen gewidmet – und darin auch ausführlich die Kirchen zu Wort kommen lassen. Von Benedikt Vallendar.
Jeder kennt sie, fast jeder nutzt sie. Und wohl viele haben dort schon die eine oder andere skurrile Situation erlebt. Die Rede ist von dem der Deutschen nach dem Auto wohl liebsten Kinde: der Autobahn. Rund 13.000 Kilometer durchkreuzen derer die Bundesrepublik, von Norden nach Süden und von Westen nach Osten. Im Land der Autobauer gelten die drei bis sechsspurigen Asphaltkolosse als Lebens- und Konjunkturadern, auf denen täglich Waren im Werte mehrerer Milliarden Euro transportiert werden. Der Hildesheimer Drehbuchautor Michael Kröchert hat dort ein knappes Jahr verbracht und über seine Erlebnisse ein Buch geschrieben. Das Besondere: Kröchert hat sich dem Medium Autobahn völlig unvoreingenommen genähert, auf zahlreiche Details bis hin zu den Unkrautblümchen am Straßenrand geachtet und Menschen interviewt, die regelmäßig dort zugegen sind.
Was auffällt: Schnell merkt der Leser, dass die Anwohner abseits der Spur eine Art „Privatkrieg“ gegen sich selbst und ihr Gegenüber führen. Ob termingenervte Geschäftsleute, gestresste Berufspendler oder Ökoaktivisten im Braunkohletagebau, die ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, um den weiteren Ausbau zu verhindern: Sie alle eint ihre Hassliebe zu jenem Betonmythos, der den Deutschen einst Fortschritt und Wohlstand versprach. Was es heißt, das Monstrum Autobahn buchstäblich vor der Nase zu haben, erfuhr Kröchert in Gesprächen mit Hausbesitzern, Leuten vom Straßenbau und Gartenfreunden, die ihn bereitwillig zu Tee und Kuchen einluden und sich längst damit abgefunden hatten, dass zwischen ihnen und dem asphaltierten Gegenüber nur eine dünne Lärmschutzwand steht, die allenfalls mildernd wirkt und kaum vor permanentem Gebrumme und sich überall festsetzenden Abgasen schützt.
Kröchert, bekennender Atheist und einst Student in Potsdam-Babelsberg, suchte bei seinen Recherchen auch den Kontakt zu christlichen Kirchen, die bundesweit rund 44 „Autobahnkirchen“ unterhalten und angeblich eine höhere Besucherzahl aufweisen als normale Gottesdienste. „Oasen der Stille“, abseits von Verkehrslärm, Dreck und Unfällen, so wirken die Gotteshäuser im Windschatten der Autobahn, die laut Definition höchstens einen Kilometer von ihr entfernt sein dürfen, um die Bezeichnung „Autobahnkirche“ zu tragen. Erstaunlich neugierig und offen zeigt sich Atheist Kröchert gegenüber dem, was sich in den Kirchen jenseits der Piste abspielt, wie dort gedacht, gefühlt und gehandelt wird. Dass die Kirchen im Kosmos der Autobahnen weiterhin einen Platz haben, ja von vielen, auch ungläubigen Menschen als „notwendig“ erachtet werden, erstaunt dabei ebenso sehr wie die Tatsache, dass auch Angehörige anderer Religionen dort Zuflucht und Momente der Stille genießen. Nicht zu vergessen die Mitarbeiter von Polizei, Feuerwehr und Zoll, die tagtäglich mit Straftaten, Unfällen und großem Leid konfrontiert werden und sich wahrscheinlich eher mehr als weniger Autobahnkirchen in Deutschland wünschen würden, auch wenn Michael Kröchert damit wohl seine Probleme hätte, und dies wahrscheinlich auch eine ganz andere Geschichte wäre.