Er ist ein Freund der Symmetrie, der Ordnung und Klarheit. Sein Büro ist aufgeräumt wie ein norddeutsches Kontor. Als er vom engsten Wirtschaftsberater der Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Bundesbankpräsidenten aufstieg dachten viele, Jens Weidmann werde mit der Bravheit eines Ordnungsliebenden die Kraftfelder der Geldpolitik nicht stören. Sein Sinn für Symmetrie sah man in Bezug zur Kanzlerin wie mit Blick auf die EZB: „Der wird die Formation halten“, hieß es aus dem politischen Berlin.
So kann sich die Hauptstadt irren. Wer glaubte, mit Weidmann sei ein Opportunist in eines der wichtigsten Ämter der deutschen Bankenlandschaft gekommen, sieht sich getäuscht. Er zeigt Haltung, Überzeugung und Kante, auch gegen die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik und zugleich gegenüber der Europäischen Zentralbank und ihrem Chef Mario Draghi.
Bereits in seiner Antrittsrede bemerke er: „In der Geldpolitik geht es um den Ausstieg aus den krisenbedingten Sondermaßnahmen sowie um eine klare Trennung der Verantwortlichkeiten von Geld- und Fiskalpolitik.“ Auch international hat sich Weidmann in kurzer Zeit als mutiger Mann profiliert, beispielsweise als er 2012 die Forderung des damaligen italienischen Premiers Mario Monti zurückwies, Italien Milliarden aus den Eurorettungsschirmen EFSF und ESM zukommen zu lassen, ohne dass vorgesehene Auflagen erfüllt werden. Kritisch blickt der Banker auf den Ankauf von Staatsanleihen durch den europäischen Rettungsfonds, distanziert sich von der Krisenpolitik der EZB – im Blick hat er dabei auch den deutschen Steuerzahler, der für die Rettungsaktionen geradestehen muss. Seine ablehnende Haltung zu Staatsanleihen-Käufen durch die EZB hat der Bundesbankchef erst Mitte Juni 2013 vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erneut bekräftigt, denn für bedenklich hält er, staatliche Risiken zu vergemeinschaften. Für ihn bleibt es dabei: Es geht um Geldstabilität und um solide Finanzen.
Der 1968 in Solingen geborene promovierte Volkswirt wurde am 1. Mai 2011, ausgerechnet am Tag der Arbeiterklasse, zum jüngsten Präsidenten der Deutschen Bundesbank ernannt und sitzt in dieser Funktion zugleich im Vorstand der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel. Weidmann ist ein Globetrotter, jobbte als Student im Wirtschaftsministerium, in der Banque de France und in der Zentralbank von Ruanda. 2004 arbeitete er als Abteilungsleiter für Geldpolitik unter dem damaligen Bundesbankchef Axel Weber, und Weidmann war auch bei der strategischen Vorbereitung der G20-Runde mitverantwortlich und fungierte 2009 als G8-Chefunterhändler.
Weidmann gilt in der Szene als Teamplayer, er ist nicht der Autokrat, der von oben herab geldpolitische Parolen verkündet. Dem Global Player ist der vernünftige Diskurs wichtig, ebenso der unmittelbare Kontakt zu den Mitarbeitern im Haus, mit vielen ist er per Du. Seine offene Art kommt gut an. Er will keineswegs als der Zögling seines Ex-Chefs Weber gesehen werden. Weidmann ist Weidmann und sein Charisma hat die Leitetage der Bundesbank verändert. Schon im Jahr 2012 hieß es vom neuen Chef: „Der ist ruhig, weiß aber, was er will.“
Sein Führungsstil unterscheidet sich deutlich von seinem Vorgänger. Bescheidenes Auftreten und doch energischer Kämpfergeist, soft und doch bestimmend, elegant und fachlich versiert, so brilliert Weidmann auch vor den Kameras. Der Chef der Bundesbank steht nicht nur für eine neue Generation innerhalb dieser Institution, sondern auch für eine neue Ästhetik. Und ihm geht es um Transparenz, gerade in Zeiten finanzieller Unsicherheiten. Ein Blick in sein Arbeitszimmer verrät: Hier herrscht Ordnung pur, alle Arbeitsutensilien sind fein säuberlich aneinandergereiht, Funktionalität im reinsten Sinn, sein Blick geht ruhig in
den Raum auf sein Gegenüber. Weidmann vermittelt Wärme und einen scharfen Beobachtungsgeist, wirkt aufgeschlossen und interessiert.
Das lichtdurchflutete Zimmer im 12. Stock, im vorletzten, der Bundesbank, spiegelt die Klarheit eines Rationalisten wider; der große Glastisch in der Mitte wirkt transparent, die Videoanlage im Hintergrund verrät eine Leidenschaft. Der 45-Jährige liebt Jazz, sein Musikgeschmack entspricht dem Zeitgeist, und schon zu seiner Einstandsfeier wünschte er sich das Stück „O Solitude“ des norwegischen Komponisten Ketil Bjørnstad.
Die Dynamik, die Weidmanns Arbeit verkörpert, spiegelt sich auch im Bild an der Bürowand. Zu Beginn seiner Amtszeit hing dort das rotgrundige Opus „Netzewerfen“ des 1999 verstorbenen deutschen Malers des Informel, Aquarellisten und Grafikers Hans Trier. Wie einst der Maler, der sich einen Namen auf der dokumenta machte, liebt Weidmann die Musik, ist für fremde Kulturen begeisterungsfähig.
Netzwerke der Transparenz
1955 hatte Trier sein Bild, Eitempera auf Leinwand, 64 mal 125 Zentimeter, fertiggestellt. Dabei handelt es sich um ein leuchtstarkes und farbintensives Malmittel – bestehend zum Teil aus Eigelb, Leinöl und einem Teil Wasser. Triers Bild ist nicht statisch, sondern vermittelt Bewegung als dynamisches Zwischengespräch zwischen dem Maler und seiner Leinwand. Ein Gespräch, das auch Jens Weidmann sucht, mit Politikern, mit Bürgern, mit seinen Bankern. Und wie einst Trier betonte, dass es ihm beim „Netzewerfen“ darum geht, aufzubrechen, den Malakt zu beschleunigen, ein dichtes netzartiges Lineament zu verwenden, das zu seinen wichtigsten strukturellen Kunstelementen geworden ist und die Bildoberfläche zum Vibrieren bringt, will Weidmann Netzwerke schaffen, Netzwerke der Transparenz, die auch dem Steuerzahler eingängig sind. Schon 2012 forderte er daher eine öffentliche Debatte über den Ankauf von Staatsanleihen. Gewag-te Rettungsaktionen, Eurobonds und Spekulationen über Zinsentscheidungen bleiben Weidmann fremd, ihm geht es nachdrücklich um die Bekämpfung der Ursachen der Finanzkrise.
Nun hängt ein neues Bild in Weidmanns Büro: „Ohne Titel“, 2009, von Sebastian Dacey. Auch für diese Bildwahl scheint es gute Gründe bei der Auswahl gegeben zu haben. Die Bilder Daceys, geboren 1982 in London, zeichnen sich durch ihre Symmetrie aus; sie nähern sich immer wieder der Mittelachse an, dem Kern oder – wie Weidmann sagen würde – der Kernbotschaft. Symmetrische Formen kommen der Wahrnehmung entgegen, sie ordnen das Denken auf der Suche nach Strukturen und Mustern. Sie geben Halt in der neuen Unübersichtlichkeit – sind Fixpunkte. Durch die Doppelung der Symmetrie werden Daceys Werke, insbesondere „Ohne Titel“, dem Betrachter fassbar, durch die expressive und vielschichtige Malerei leuchtet eine klare Orientierung hindurch. Fülle und Reduktion, Entropie und Ordnung – das Changieren, das Arbeiten zwischen diesen Polen, darum geht es auch Weidmann, der mit seiner denkerisch-jugendlichen Agilität keineswegs abgezirkelte Modelle, eingefahrene Denkweisen und trockene Konstruktionen bevorzugt, sondern verstanden werden und verstehen will.
Kein Wunder also, dass Jens Weidmann dieses Bild im Arbeitszimmer – nicht nur bei schwierigen Entscheidungen – immer wieder inspirieren wird. Es steht symbolisch auch für den Geist des kreativen Machers.
Dr. Dr. Stefan Groß
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