Kaum andere Worte kennzeichnen momentan den sogenannten offiziellen sozialen Diskurs treffender als die des Forderns, Förderns und hinreichend der Zumutbarkeit. Es ist ausgemachte Weisheit der Großen Koalition, dass alles Erdenkliche für zumutbar erklärt werden kann, dass diese Weisheit über die Rädchen und Schräubchen eines Systems bis in die geistig depravierten Zonen rückgratloser Bürokratie fortgepflanzt werden kann. Wer in den Schaltzentralen sitzt, hat sich damit ein wohlfeiles System zum Einknüppeln auf Volk geschaffen, ohne selbst den Knüppel in die Hand nehmen zu müssen. Das haben wir lernen dürfen: Demokratie geht auch ohne Demokratie, es ist nur eine Frage, wie die Begriffe der Herrschaft und des Volkes aufeinandertreffen, und was für ein Effekt sich daraus ergibt. Der Effekt ist für die Sozial- und Arbeitswelt weit weniger als ernüchternd. Die offizielle Propaganda der Sozialbürokratie will uns zwar jubelnd machen (siehe unter anderem: Die Welt, 31. Mai 2016, Arbeitslosenquote so niedrig wie seit Jahren nicht mehr), doch haben sich die Taktiken der Manipulation bereits herumgesprochen. Denkwürdig treten jedoch Studien an derlei Erfolgsmeldungen heran, die den integrativen Sinn des Beschäftigungszwanges infrage stellen (Tages Anzeiger, Strehle / Graeber, Jeder dritte Job ist sinnlos: »Vieles gehört in die Kategorie der Bullshit Jobs … Die Bürokratie geht von der Utopie eines perfekten Regelwerks aus, an das sich die Menschen halten. Davon träumen die Bürokratien in allen Systemen. Aber die Menschen verhalten sich nicht freiwillig so, deshalb wird die Durchsetzung der Regeln mittels Repression erzwungen«). Man leistet sich den überflüssigen Luxus, das Durchstreichen der Grundrechte als zumutbar zu markieren.
Verlagerung vom äußeren zum inneren Schauplatz
Griechenland war nur ein weiterer Testlauf für das, was die bundesdeutsche Republik sich selbst inzwischen anzutun bereit ist. Während der Fall Griechenland aus deutscher Perspektive zuerst mit Geld, vor allem über das Ressort Finanzen plus Europäische Union, verbunden ist (FAZ, Gutschker, Griechenland-Krise – Grexit? Kein Thema mehr), bezieht sich das Szenario im Inland auf die Ressorts Soziales, Arbeit und Inneres. Das sah bei den Griechenland-Programmen für den inländischen (also griechischen) Bereich der Umsetzung mindestens ähnlich aus. Seit dieser Zeit ist jedoch die Formel, dass es kein unbedingtes Fördern geben könne, populärer. Im Gegenzug des Forderns wurde das Wort der Sanktionen aufgebracht (Die Welt, AP, EU-Sanktionen gegen Griechenland: »Als erstes Mitglied der Eurozone gerät Griechenland unter eine verschärfte Haushaltsüberwachung und rückt Sanktionen damit so nahe wie kein anderes Land zuvor«). Das Werkzeug der Sanktionspolitik ist inzwischen gegenüber ausländischen Formationen langjährig eingeübt. Dem Wort nach medial uns nähergebracht, inzwischen eingebürgert, verlangt Sanktionspolitik nun nach Betätigung im Inneren. Und dabei ginge es in erster Linie nicht mehr um Geld (FAZ, Göbel, Gewichtsverlagerung: »Neue Schulden muss der Bund also auch weiterhin nicht machen, obwohl er nicht spart«). Es geht um die Hegemonie, um die Etablierung einer (sozialdarwinistischen) Weltanschauung über die Geltung der verfassungsrechtlichen Grundordnung, um den offen ausgetragenen Zynismus, die Leute unter Vorhaltung des Wortes von Solidarität zur Preisgabe ihrer eigenen Grundwerte und Grundrechte zu veranlassen. Das ist heute nicht nur die hegemoniale Absicht einer vage gefügten großen Koalition von Parteien, die früher einmal eine breitere Mitte der Bevölkerung repräsentierten, sondern kann inzwischen angemessen das Wort sozialdemokratisch in die Neuzeit übersetzen. Und die Leute (das Wahlvolk, systemische Helfer) willfahren diesem Anliegen: aus Angst, eventuell sogar aus eigenen Gewinnabschätzungen. Angst gestaltet sich als die Furcht davor, das erleiden zu müssen, was man anderen, seinen Landsleuten und Mitbürgern anzutun bereit war oder ist, und zwar unter anderem durch politisch installierten Terror der sozialchauvinistischen Behörden. Wer wehrlosen Menschen ihre grundsichernden Leistungen streitig macht, vorenthält oder wegnimmt, verhält sich auf soziale Weise chauvinistisch und schlimmer. Rechtlich hätte der Fall Griechenland auf das Problem einer fehlenden wirksamen Grundordnung aufmerksam machen können, die das europäische Individuum auf eine gemeinsame Ebene stellt; zwar gibt es die Charta der Europäischen Union, doch wird sie selten als verbindlicher Maßstab herangezogen. Dieses Problem bestand, beschränkt auf nationalen Rechtskreis, jedoch weit weniger. Noch frühere Generationen von Staatstheoretikern, Politikern und Juristen konnten ausgezeichnet, wenn auch kontrovers, mit der Literatur zum Sozialstaat und seiner Verbindung zum Rechtsstaat, unter besonderer Berücksichtigung der Grundrechte, umgehen. Und das ist der erwähnte innere Schauplatz. Es geht nun nicht um die griechische Schuldfrage, sowenig wie um die Exit-Vision. Es geht um die peinliche Notwendigkeit und Unzulänglichkeit hiesiger Innen-, Sozial- und Arbeitspolitik.
Helden ganz oben und Helden ganz unten
Bundesfinanzminister Schäuble, Held der Schwarzen Zahlen, hat keinen Grund, missgünstig auf die Welt, schon gar nicht auf die deutsche, zu schauen. Im Gegenteil, kaum gäbe es mehr Anlass, Geld in die unterschiedlichsten Kanäle der Gesellschaft zu pumpen, um auch dieses Land wieder aufleben zu lassen: die Mittel stehen bereit. Stattdessen geschieht auf dem Sozial- und Arbeitssektor teilweise das schiere Gegenteil, mit entsprechender Wirkung (Die Welt, Linke, Jobcenter haben vergangenes Jahr 170 Millionen Euro wegen Sanktionen einbehalten – Seit 2007 insgesamt 1,7 Milliarden Euro nicht ausgezahlt). Das Einsparen, Nicht-Auszahlen von Sozialleistungen, welche zur Bewältigung des absolut errechneten Minimums veranschlagt werden (SGB), ist verbrecherisch inhuman, ist von der anderen Seite, nicht nur was den Sinn betrifft, wieder statistisch strittig. Das Einfahren von Geld in den Staatshaushalt mittels Sanktionen dürfte dem Ressort Finanzen wenig Freude bereiten, denn es basiert auf keinerlei wirtschaftlicher Leistung, einzig und allein auf Machtgebrauch, vor allem wider die sittliche Grundordnung. Anders formuliert: erst rückwirkend kann das sozusagen veruntreute Geld wieder als wirtschaftliche Leistung auftauchen. Die wahren Helden auf der unteren Seite dieser politischen Fehlleistungen ertragen dies wie Schildkröten im Bombenhagel. Die politische und ergo rechtliche Fehlentwicklung ist nicht nur Schauspiel, kein Als-Ob-Modus, abgesehen davon, dass man das Schandgesetz SGB quasi regelmäßig durch neue Elemente der Schändung erweitert sieht. Man täuscht diesbezüglich eine ständige dynamische Anpassung an Gegebenheiten vor, die im Wesen doch oft kaum anderes darstellen als die Umgehung demokratischer Willensfindung. Nur eines von vielen Beispielen wäre der weitere Ausbau und die Etablierung von der Fiktion der Vormundschaft (Haufe, Sozialwesen, Betreuer ist auch für Rentenantrag des Betreuten verantwortlich). Der immer häufiger sozial anzutreffende Gedanke der Fremdbestimmung wurde zumindest durch eine relativ konkrete Schauspielleistung abgesprochener Akteure, das ist zu vermuten, weiter initiiert.
Integration als theatralisches Tribunal über Unfolgsame
Jenes Schauspiel ist alles, was zu dem Stichwort Integrationsgesetz abgeliefert wurde, und als erste Protagonisten sind Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) zu nennen (Deutschlandfunk, Guether, Integrationsgesetz – Es bleibt noch sehr viel zu tun). Man spricht hierzu von »Paradigmenwechsel«, doch das Paradigma ist ausgemacht, hausgemacht und seit langem klar: es heißt Fordern und Fördern, und ist beileibe nicht nur für die Anwendung auf erst kürzlich in Deutschland eingetroffene Menschen zu verstehen. Paradigmatisch ist dabei eher, dass es auf alles und jeden angewendet werden könnte, ungeachtet bisheriger Rechtsstaatlichkeit. Albern ist, wie sehr sich die beiden beteiligten Ministerien wirklich Mühe gaben, die Echtheit eines Prinzips zu beteuern, plus Zugabe: es erscheint als authentisch diskursiv gewonnener politischer Wert im Ringen um die Oberhoheit des Forderns oder des Förderns (Tagesspiegel, Eubel, Andrea Nahles legt sich mit Thomas de Maizière an: »«Fordern ohne Fördern ist mit mir nicht zu machen», stellte die Ministerin klar«; Hamburger Abendblatt, Kranz / Sanches, Nahles und de Maizière beim Integrationsgesetz noch uneins: »«Fördern ohne Fordern wäre zu wenig», mahnt de Maizière«). Dabei ist der Grundtenor unlängst klar (Der Tagesspiegel, Eubel / Haselberger, Andrea Nahles – Ich will keine Mogelpackung: »Arbeit ist der Schlüssel zur Integration«). Zuschauer dieses Schauspiels könnten ahnen, dass dieses Hickhack von Fordern oder Fördern nur darauf abgestellt sein kann, mit dem Erweis des einen zugleich das damit notwendig und prinzipiell verkoppelte Gegenstück des anderen zu erhalten. Am Ende der Aufführung wird doch das Oder durch das Und ersetzt, man wird wieder wissen, was man zuvor schon wusste, der politische Streich ist geglückt, die einen glauben an das soziale Wesen, die anderen an das sittlich-moralische der Abmachung. Der Grundwiderspruch (des falschen Prinzips) des Förderns und Forderns zur unbedingten Geltung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung wird durch ein Mäntelchen der Verschwiegenheit und Impertinenz weiter bedeckt. Das Schauspiel im Kleinen perpetuiert das Missglücken im Großen, die inzwischen unerträgliche Fehlbildung des Durchherrschens top – down. Die Impertinenz besteht in dem Akt, auf alles angeblich Unfolgsame, Unwillige mit Sanktionen einzuprügeln. Es ist unlängst evident, dass das Fördern zur Not nur eine marginale Größe gegenüber dem Fordern darstellt, dass soziale Bürokraten verzweifelt Sinn im Kontrollwahn suchen.
Mehr Macht bedingt inzwischen zivilen Terror
Dem Integrationsgesetz ging andere Entscheidung zur Integration voraus. Der Innenminister hatte die Bewältigung der Asyl-Frage kurzentschlossen der Bundesagentur für Arbeit zugeschoben. Oder anders formuliert: durch die rechtliche, thematische Einheit, die sich unter anderem in der Person Frank-Jürgen Weise zeigte, und sich in (rationale und differenzierte) Zuständigkeit fortsetzte, wurde ein Macht-Zuwachs von Behörden initiiert, auf deren Hausschild das Wort Integration quasi als Stichwort stünde (Die Welt, Füller, Scheitert Deutschlands Flüchtlingsmanager an Überlast? Frank Jürgen Weise ist Deutschlands wichtigster Flüchtlingshelfer. Neben dem Bundesamt für Flüchtlinge leitet er auch noch die Bundesagentur für Arbeit und die Hertie-Stiftung). Damit verknüpfte sich die Sozialpolitik unselig mit der Innenpolitik (und letztlich mit Außenpolitik). Die Asylpolitik ist, wo nicht Kompetenzbereich des Kanzleramtes im engeren Sinn, ein Cluster, thematische Schnittmenge und Ideen-Pool mehrerer Ressorts. Diese Ressorts bündeln sich zunehmend durch Integrationsauflagen, die fortwährend beziehungsweise zunehmend unter der Losung Fordern als Fördern oder Fördern als Fordern firmieren, und schonungslos diverse Sanktionen verhängen lassen. Dieser Behördenapparat ist ein Instrument des (immer möglichen) Terrors gegen Individuen, welches angebliche Träger/innen von Verantwortung für diverse Zwecke einspannen und gebrauchen. Amtsmissbrauch mutiert zum Kavaliersdelikt. Ein Zweck wäre inszenierte Schutzunterwerfung des Volkes und seiner Gäste unter staatliche Regierungsmacht. Die Bundesebene der Ministerien wird ergänzt durch die Landes- und Kommunalebene. Das zeigt, dass die Länder, auch wo sie zur relativ autonomen Sozialpolitik und Integration berechtigt sind, auf ihren eigenständigen Charakter verzichten oder beflissentlich die Machtstrukturen übernehmen. Sofern Sanktionspolitik von niederer Verwaltungsebene ausginge, hört man jedoch erstaunlich wenig Widerspruch von leitenden Stellen. Der Sozialstaat ist nicht nur von globaleren Akteuren bedroht, sondern von subversiven Netzwerken Bediensteter, welche die Intention (GG, Art. 1; 20; 28) im Geiste nicht mehr fassen können oder bewusst ablehnen.
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