In den letzten Monaten hatten viele den EU-Kommissionspräsiden Jean-Claude Juncker bereits abgeschrieben, Gerüchte über den angeschlagenen Gesundheitszustand des ehemaligen Premiers von Luxemburg kursierten, Videos verbrämten den Strategen der europäischen Einheit bis hin zur Lächerlichkeit. Doch durch seine Schlichtung im Handelsstreit mit den USA strahlt Juncker nun im Glanz als Retter Europas.
Die letzten Monate stand es nicht gut um die Reputation des EU-Präsidenten, die Sonne über Europa verfinsterte sich, das alte Raubein wirkte müde und amtsverdrossen, die beschworene Einheit des Abendlandes wollte einfach nicht zünden und Europa glich einem Bummelnachtzug, der sich permanent verfuhr, stockte und für den fast jeder europäische Bahnhof zur Endstation wurde. Europa hatte sich im Frontenkrieg aufgerieben und Osteuropa sich immer wieder von der Lokomotive abgekoppelt. Jenseits des Atlantiks holte Donald Trump seinerseits zum globalen Vernichtungsschlag aus und schrieb die Verhängung von Strafzöllen auf seine politische Agenda. Nach Jahren der Harmonie zwischen Amerika und Europa drohte ein Zollkrieg sondergleichen, der nicht zur den transatlantischen Diskurs bis ins Mark hin erschütterte, sondern der die Weltwirtschaft an den Rande eines Kollaps gebracht hätte.
Nicht Merkel, sondern Juncker
Während Angela Merkel auf dem Grünen Hügel in Bayreuth Richard Wagner frönte und ausnahmsweise nicht – im Lehrerdiktus und per Bevormundungsdiktion – europäische Politik machte, hat ihr ausgerechnet Jean-Claude Juncker die politische Show gestohlen und ein Stück weit Welt- und Europapolitik geschrieben. Nicht Merkel, die selbsterwählte Architektin der europäischen Einheit, die wie kein anderer Politiker als Patronin Europas in die Geschichtsbücher eingehen will, hat Trump zur Räson gebracht, sondern das politische Raubein Juncker. Er hat den Handelsstreit mit den USA vorerst geschlichtet und die Aufhebung von Strafzöllen durchgeboxt.
Europa hatte Donald Trump nie ernst genommen
Europa hatte Donald Trump nie ernst genommen, ihn als fatalen Fehler der Geschichte behandelt und so das Ego es halbstarken Poltergeistes erst Fahrt aufnehmen lassen. Trump ist ja bekanntlich kein Freund des ausgewogenen Diskurses; Charmeoffensive und Verbindlichkeit sind ihm fremd. In seiner Rüpelhaftigkeit brüskiert er alle, die sein Gottesgnadentum anzweifeln oder es gar in Frage stellen.
Doch Junckers liebenswerte Mischung aus Schnoddrigkeit und Kumpelhaftigkeit haben Trump wohl imponiert. Der EU-Präsident betritt nicht als Weltgewissen à la Angela Merkel die politische Bühne der Weltpolitik, auch der konformistisch-aggressive Kurs eines Emmanuel Macron liegt ihm fern. Juncker ist nicht der gespreizte Apparatschik, der formbare Politiker. Er hat vielmehr etwas Liebenswertes und Menschliches, Allzumenschliches, das ihn umflankt. Und dieser Authentizität konnte Trump etwas abgewinnen und hat ihn für Zugeständnisse fügig gemacht, wo er im Idealfall sonst nur die kalte Schulter zeigt.
Doch auch der US-Präsident war innenpolitisch nicht ganz unangefochten, was seinen harten Kurs in Sachen Handelskrieg betraf. Kritik kam beim eskalierendem Zollstreit nicht nur aus dem Kreis der Demokraten, sondern unter Druck geriet Trump insbesondere auch durch die eigene Partei. So rief seine Willkür im Wildwest Zoll- und Handelskrieg namhafte Mitglieder des Partei-Establishments auf den Plan – zuletzt Paul Ryan, den Sprecher des Repräsentantenhauses sowie mehrere einflussreiche Senatoren. Selbst Donald Trump also kann keineswegs schalten und walten wie es hierzulande immer nahegelegt und medial verkauft wird.
Die neue Pistolenpolitik Trumps
Doch die Beilegung des Handelsstreites, der Verzicht auf die Verhängung weiterer Zölle hat auch seine Nacht- und Schattenseite. Trump, so wird ganz deutlich, regiert und diktiert, Europa reagiert. Zwar können die internationale Wirtschaft, Unternehmen, Verbraucher und Finanzmärkte erst einmal wieder aufatmen, allein der fade Beigeschmack der Erpressbarkeit bleibt. Im Poker um die Macht konnte Trump wieder Punkte kassieren gerade wenn es um das Heiligtum der Europäer, um ihre sensible Automobilwirtschaft geht. Mit seiner Pistolenpolitik hat Trump Europa an den Verhandlungstisch gezwungen – eine Methode, die für den Pokerkönig einer Trumpfkarte gleichkommt, und die er nun immer wieder ausspielen kann – und wird.
„Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch“ – das hat zumindest Junckers Besuch in Washington gezeigt. Aber auch, dass man Trump als tobenden Vulkan nur befrieden vermag, wenn man auf Augenhöhe mit ihm spricht. Vielleicht sollte nicht die Kanzlerin künftig die Gespräche über den transatlantischen Handel führen, sondern der dem amerikanischen Präsidenten weitaus sympathischer scheinende Juncker.
Quelle: The European