Mitte Januar 2018 genehmigte die Stadt Erfurt der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde den Bau einer Moschee im Erfurter Ortsteil Marbach. Mit Auflagen zwar, doch durch ein acht Meter hohes Zierminarett und eine Kuppel mit dreieinhalb Meter Durchmesser wird das Bauwerk als Moschee gut zu erkennen sein. Das ist neu in Erfurt und Thüringen. Dementsprechend schlagen die Wogen hoch. Der Bau polarisiert und ist Thema im Wahlkampf um das Oberbürgermeisteramt in Erfurt. Zustimmung durch die Kirchen und die Landesregierung steht, befeuert durch die AfD, schroffe Ablehnung bei nicht wenigen Bürgern gegenüber. Unabhängig von der Verortung der Ahmadiyyas in der islamischen Welt und dem Projekt an sich, ist eine Islam-Debatte entbrannt.
Die Befürworter verweisen auf das Grundrecht der Religionsfreiheit, mal mehr, mal weniger eingebettet in eine multikulturelle Rahmenerzählung. Die Gegner argumentieren mit einem Bild des Islam, dem zufolge er mit dem freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat und der politischen Kultur Deutschlands unvereinbar sei. Bis hin zu der These, es handele sich letztlich gar nicht um eine Religion sondern eine politische Ideologie. Knapp die Hälfte der Thüringer ist ausweislich des aktuellsten Thüringen-Monitors von 2017 der Ansicht, „die meisten in Deutschland lebenden Muslime akzeptieren nicht unsere Werte, so wie sie im Grundgesetz festgeschrieben sind.“ Irgendwelche nennenswerte Versuche, einander zu verstehen, sind zumindest öffentlich nicht wahrnehmbar. Die jeweiligen Positionen scheinen den Charakter von Wahrheitsansprüchen und damit politisch-religiöse Züge anzunehmen. Das ist allen Versuchen abträglich, den gesellschaftlichen Frieden zu wahren.
Jene, die eine Moschee unter Verweis auf die Grundwerte Deutschlands lauthals ablehnen, müssen sich sagen lassen: Die Religionsfreiheit gehört genauso wie die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit zum Wesenskern unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, zu den zentralen Gütern des Grundgesetzes. Diese Grundrechte verbürgen das Recht des Menschen, sich kulturell zu entfalten, und zwar nicht im Verborgenen, sondern öffentlich. Ohne dieses Recht wäre die Freiheit keine. Die Religionsfreiheit findet ihre Schranken daher allein in den Grundrechten anderer Menschen und in anderen Verfassungsgütern. Weil der Staat religiös und weltanschaulich neutral ist und sein muss, hat er auch nicht die Möglichkeit, darüber zu entscheiden, ob ein Glauben Religion ist oder nicht. Er kann auch nicht gezielt einer Religionsgemeinschaft verbieten, ihre Sakralbauten mit typischen Baumerkmalen zu versehen, Minaretten etwa. Daher kann der Staat den Bauantrag für eine Moschee grundsätzlich nicht nach anderen Maßstäben als den für eine Kirche beurteilen.
Wer auf der anderen Seite meint, jeder, der ein Erstarken des Islam fürchtet, sei fremdenfeindlich oder Schlimmeres, sollte bedenken: Die diversen Spielarten des Islam vertragen sich durchaus nicht so umstandslos mit unserer Verfassungsordnung und politischen Kultur, wie gelegentlich behauptet wird. Im Christentum ist die Unterscheidung von weltlicher und geistlicher Macht von Anbeginn angelegt, selbst wenn ihr Verhältnis zueinander sehr verschieden verstanden worden ist und werden kann. Die Geschichte des westlichen Europas ist von den damit verbundenen Konflikten durchzogen. Die entsprechenden Fragen sind in Theologie, Philosophie und Recht ebenso lange immer wieder durchdacht worden. Das prägt Gesellschaft, Staat und Kirchen und unsere Verfassungsordnung.
Das Selbstverständnis muslimischer Religionen ist deutlich anders. Der Islam versteht sich als umfassende, alle Lebensbereiche ordnende Religion. Politik und Religion, geistliche und weltliche Macht gehören viel enger zusammen. Vereinfacht könnte man sagen: Christen ist der Gedanke vertraut und akzeptiert, dass der demokratische, säkulare Staat die öffentlichen Geltungsansprüche ihrer Religion begrenzt. In der islamischen Welt hingegen kann man Versuche unterschiedlichster Art schwerlich übersehen, Staaten religiösen Geltungsansprüchen anzupassen oder sie ihnen gar zu unterwerfen. Die Türkei ist dabei zwar nicht das extremste, doch das für Deutschland bedeutsamste Beispiel. Zum einen ist die Aushöhlung einer Demokratie und der schleichende Umbau eines säkularen Staates zu beobachten, zum anderen nimmt die türkische Regierung über die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) Einfluss auf das Glaubensleben türkischer Muslime in Deutschland.
Legt man die beiden Perspektiven nebeneinander, bleibt zunächst festzuhalten: Da die geplante Moschee den baurechtlichen Vorschriften für Sakralbauten nach Prüfung durch die Stadtverwaltung nicht widerspricht, ist es das gute Recht der Ahmadiyya-Gemeinde, ihre Moschee zu errichten. Andernfalls würden die Freiheitsgarantien des Grundgesetzes in einem entscheidenden Punkt verkürzt. Und es gibt einen praktischen Grund: Je vielfältiger ein Land religiös und weltanschaulich ist oder wird, desto weniger kann der Staat es sich leisten, seine diesbezügliche Neutralität aufzugeben. Ergriffe er in Religions- und Weltanschauungsfragen Partei, kann er weder die notwendige Integration leisten, noch den gesellschaftlichen Zusammenhalt organisieren.
Damit ist die Ebene angesprochen, auf der der Staat Kritikern durch eine klare Haltung Sorgen nehmen kann. Jene Grenzen, die Religionen in den Grundrechten anderer Menschen und anderen Verfassungsgütern finden, müssen immer wieder klar markiert werden. Das Bundesverfassungsgericht befand 2006, „die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös und weltanschaulich motivierten `Parallelgesellschaften´ entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren“. Friedfertigkeit, Toleranz, Achtung gegenüber anderen, Rechtsgehorsam oder die Bereitschaft zur Kooperation sind staatsbürgerliche Verhaltensweisen, die akzeptiert und verinnerlicht sein wollen. Das ist Teil der deutschen Leitkultur.
Nach lebensweltlichen Konfliktlinien muss man auch abseits spektakulärer islamistisch motivierter Kriminalfälle nicht lange suchen. Die Religionsfreiheit ist kein andere Grundrechte verdrängendes Supergrundrecht. Rücksichtnahme auf religiöse Empfindlichkeiten darf nicht dazu führen, die Freiheitsrechte anderer einzuschränken. Gläubige müssen es zum Beispiel ertragen, wenn ihre Religion oder Religionsstiftung Gegenstand der Satire, etwa in Karikaturen wird. Die Religionsfreiheit ist auch kein hinlängliches Argument, sich der Schule oder bestimmten Bildungsinhalten zu entziehen, wie etwa der Sexualaufklärung. Die aus religiösen Beweggründen gespeiste Diskriminierung von Frauen, Homophobie oder Antisemitismus ist nicht hinnehmbar.
Es reicht allerdings nicht aus, den freiheitlichen Verfassungsstaat gegen religiös motivierte Geltungsansprüche oder Ablehnung zu behaupten. Fast noch wichtiger ist, mit Muslimen über die Möglichkeiten im Gespräch zu bleiben, ihren Glauben in der pluralistischen deutschen Gesellschaft im Einklang mit der Werteordnung des Landes zu leben. Millionenfach geschieht das ja ohnehin. Man kann nicht einerseits Selbstabschließung und Radikalisierung beklagen und darauf seinerseits mit Ausgrenzung reagieren. Ein Weg ist das Angebot islamischen Religionsunterrichts. Die Arbeit an Lehrplänen und der Unterricht setzen die Auseinandersetzung mit den angeschnittenen Problemen voraus – und weisen die Richtung, wie sie aufzulösen sind. Die zuständigen Länder können zwar nicht die Glaubensinhalte normieren, sehr wohl aber haben sie dafür zu sorgen, dass er auf Basis des Grundgesetzes und der jeweiligen Landesverfassung erteilt wird. So wird ein Raum des Nach- und Weiterdenkens jenseits der Moscheen im Fächerkanon der Schulen eröffnet.
Schließlich wäre es sinnvoll, das Gemeinsame und Verbindende auf den Fundamenten der gewachsenen deutschen Kultur zu betonen, die sich ihrerseits durch eine enorme Vielfalt auszeichnet. Keine Kultur ist historisch voraussetzungslos, aber genauso wenig sind Kulturen statisch. Gefragt ist ein anschlussfähiger Patriotismus, der sich aus den geschichtlichen Überlieferungen und Traditionen des Landes speist und zur Identifikation und Weiterentwicklung einlädt. Wer politisch mit dem Herzen, dem Kopf und am besten mit dem Pass ganz in Deutschland ist, der taugt auch nicht mehr als Fünfte Kolonne von wem auch immer. Die Konservierung von Herkunftsidentitäten in multikulturellen Bahnen ist dafür so wenig hilfreich wie die Rekonstruktion einer exklusiven, ethnisch bestimmten deutschen Identität. Beides folgt letztlich der gleichen Logik. Ein solcher Weg hat freilich nur dann eine Chance, wenn der Staat die Kontrolle darüber wahrt, wer aus welchen Gründen ins Land kommt und das Land vor kultureller und sozialer Überforderung schützt.
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