Interview zur Kammeroper „In der Strafkolonie“ am Theater Altenburg Gera – Dramaturgin Jannike Schulte spricht mit Regisseurin Angelika Zacek

Strafkolonie (Foto Ronny Ristok)

Deine letzte Arbeit bei uns am Haus war „Biedermann und die Brandstifter“. Nun inszenierst du zum ersten Mal eine Oper. Ist das eine besondere Herausforderung?

Ja, das ist es und ich bin Kay Kuntze sehr dankbar für diese Chance und sein Vertrauen in mich als Regisseurin und jetzt auch Musiktheaterregisseurin! Und es freut mich sehr, das Feedback zu bekommen, dass sowohl Schauspieler*innen und auch Sänger*innen die Arbeit mit mir großartig finden.

Was ist der große Unterschied zwischen der Arbeit mit Schauspielern*innen und der Arbeit mit Sängern*innen?

Der große Unterschied ist, dass es durch die Musik schon ein Spannungselement im Raum gibt, welches man im Schauspiel erst erzeugen muss. Und auch, dass durch den Gesang die innere Grundhaltung der Figur gelegt wird und die unterschiedliche Betonung den entsprechenden Haltungen und Emotionen im Schauspiel gleich kommt.

Wann hattest du das erste Mal Kontakt mit Kafka? Wie war das?

Ich glaube als Jugendliche. Es war so anders als andere Geschichten, weil sie meiner Meinung nach nichts fertig erzählen, sondern gedankliche Assoziationsräume eröffnen.

1914 schrieb Kafka seine Erzählung In der Strafkolonie, gab 1916 eine erste öffentliche Lesung in München, bei der das Publikum der Reihe nach in Ohnmacht gefallen sein soll und veröffentlichte die Erzählung schließlich fünf Jahre später. Daraufhin wurde der Text als verstörendster Text des Autors beschrieben. Wie war dein erster Kontakt mit dem Stück?

Mein Kopf und meine Seele haben gejubelt. Ich hatte beim Lesen sofort viele unterschiedliche Bilder und Assoziationen im Kopf. Das Spielen mit unterschiedlichen Symbolen, Themen und Ansichten beschreibt mir eine komplexe Welt, die nicht so schnell einzuordnen ist. Und genau das inspiriert mich und hat ganz viel mit unserer komplexen Welt zu tun, in der wir leben.

Wie bei Kafka üblich lassen sich Andeutungen auf unterschiedlichste Dinge in dem Stück lesen; es gibt biografische Parallelen, religiöse Anspielungen etc. Worauf legst du in deiner Inszenierung den Fokus?

Ich versuche dem Stück zu dienen und ihm gerecht zu werden, das bedeutet alle Anspielungen atmen zu lassen und Raum zu geben und unsere zukünftige Welt mitzudenken. Ob man an religiösen Fanatismus, an totalitäre Systeme, an Erlösungsfantasien, an handeln oder nicht handeln, an eine Übermacht der Maschinen denkt etc. – die Zuseher*innen sollen die Freiheit haben, selber ihre Gedanken und Assoziationen entfalten zu können, das ist ja deren Genuss.

Philip Glass gilt, auch wenn er selbst das nicht gern hört, als Pionier der minimal music. Was ist für dich das Besondere an Glass‘ Musik?

Ich finde, er spielt mit unterschiedlichen musikalischen Themen und Assoziationen, genauso wie Kafka mit dem Text. Ich höre die Maschine in den Loops arbeiten. Die Wiederholungen, der Lauf der Zeit. Die Musik zieht einen regelrecht hinein und hat etwas Hypnotisches.

Für Glass ist die Oper die ultimative musikalische Form, in der vier Elemente zusammenfinden: Bewegung, Bild, Text und Musik. Auch du hast unterschiedliche Elemente zusammengebracht.

Ja, das ist sehr reizvoll an einer Operninszenierung. Für mich als Regisseurin war klar, dass ich mit mehreren Elementen spielen werde und je mehr ästhetische Mittel ich zusammenbringe, die inhaltlich stimmig sind, desto offener, assoziativer bleibt die Geschichte – ganz im Sinne Kafkas. Meine große Setzung war, dass ich vom Industriezeitalter weg in das Digitale Zeitalter unserer Zukunft gehe. Daraus ergibt sich das Arbeiten mit dem Mittel Video.

Den Gefangenen als Tänzer und nicht als Schauspieler zu besetzen war mir wichtig, um ein weiteres ästhetisches Mittel zu nutzen, um einen weiteren Assoziationsraum aufzumachen.

Neben dem Offizier und dem Reisenden werden wir in deiner Inszenierung auf eine weitere Figur treffen. Was hat es damit auf sich?

Für die Geschichte finde ich es ganz wichtig, dass es den Gefangenen gibt. Ich suchte nach einem ästhetischen Mittel, einer Form, um auch ihn zu erhöhen und ihm Raum zu geben für gedankliche Weite. Plötzlich fiel mir der Butoh Tanz ein, den ich sehr eindrucksvoll und für diese Figur total passend finde. Butoh (Tanz der Finsternis) ist ein Tanztheater ohne feste Form, das nach dem 2. Weltkrieg in Japan entstand.

Wie schon bei Biedermann und die Brandstifter arbeitest du auch jetzt wieder mit Peter Lehmann (Ausstattung) zusammen. Durch Bühne und Kostüm schafft ihr vor allem eine zeitliche Verortung.

Ja, wir spielen in der Zukunft. Das ist auch eine wichtige gedankliche Freiheit, alte Geschichten in der Zukunft spielen zu lassen. Lernen wir Menschen aus unserer eigenen Geschichte, oder gibt es Wiederholungen in der Menschheitsgeschichte, die nur mit anderen Mitteln vollzogen werden?

Angelika Zacek (Foto Max Claessen
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