Als eines der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Europa bildet das ifo Institut eine Brücke zwischen akademischer Forschung und praktischer Politik. Ziel des als gemeinnützig anerkannten Vereins ist es, durch angewandte und politikorientierte Wirtschaftsforschung mehr Stabilität, Prosperität und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Europa und der Welt zu erreichen. Dazu trägt auch der monatlich veröffentlichte ifo Geschäftsklimaindex bei – ein viel beachteter Indikator für die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie (www.faces-of-democracy.org), sprach mit dem Präsidenten des ifo Instituts Prof. Dr. Clemens Fuest über das Privileg in einer Demokratie zu leben, den derzeit unrealistischen EU-Beitritt der Türkei und die Hoffnung auf eine längere Übergangsfrist beim EU-Austritt Großbritanniens.
Herr Prof. Dr. Fuest, die erste Frage an die „Gesichter der Demokratie“ lautet stets: Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?
Der demokratische Rechtsstaat ist die einzige Staatsform, die Leben in Freiheit und Wohlstand ermöglicht. Ich bin dankbar, dass ich in einer gut funktionierenden Demokratie leben darf, ich betrachte das als großes Glück und als Privileg. Die Demokratie ist nicht perfekt, aber wir kennen keine bessere staatliche Ordnung, wohl aber viele deutlich schlechtere. Ich würde mich persönlich jederzeit für die Verteidigung unserer Demokratie und die damit verbundenen Werte wie Menschenwürde, Gleichheit vor dem Gesetz, Meinungsfreiheit usw. einsetzen.
Europa ist der weltgrößte Wirtschaftsraum: Ist die EU stark genug, die zunehmenden wirtschafts- und finanzpolitischen Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen? Was passiert, wenn Europa scheitert?
Bei der EU ist es ähnlich wie bei der Demokratie, auch die EU hat sicherlich Schwächen, aber für das friedliche Miteinander der Staaten Europas ist die EU bislang die beste Idee und die einzige, die funktioniert hat. Wir dürfen nicht zulassen, dass die EU zerfällt.
Von Ihnen stammt das Zitat: „Als ich sah, was passiert ist, war mir klar, dass Europa sich in dieser Nacht grundlegend verändert hatte.“ Wie beurteilen Sie den derzeitigen Stand der Brexit-Verhandlungen?
Schlecht. Keine der beiden Seiten scheint bislang eine zündende Idee zu haben, wie ein harter Brexit mit unabsehbaren negativen Folgen für beide Seiten verhindert werden kann. Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es gelingt, durch die Einigung auf eine längere Übergangsfrist zu verhindern, dass im März 2019 Chaos ausbricht.
Stichwort Populismus: Kann man den „typischen“ Populisten anhand seiner wirtschaftspolitischen Forderungen erkennen und wenn ja, was raten Sie Wählern, um nicht in die Falle des Populismus zu tappen?
Populisten behaupten, dass die Gesellschaft aus zwei Gruppen besteht: der großen Mehrheit, die homogene Interessen hat, und einer korrupten Elite, die das Volk ausbeutet. Populisten beanspruchen, diese Ausbeutung zu beenden, wenn sie die Regierung übernehmen. Populisten betreiben gezielt die Ausgrenzung bestimmter Gruppen in der Gesellschaft, die sie diesen Eliten zurechnen. Populisten behaupten außerdem, dass Immigranten, internationaler Handel und internationale Kapitalbewegungen oder auch internationale Organisationen für wirtschaftliche Missstände im Inland verantwortlich sind und dass Abschottung diese Probleme löst. Sie ignorieren staatliche Budgetrestriktionen und versprechen ihren Wählern allerlei Wohltaten, wenn sie nur an die Macht kommen. Populisten bieten einfache Lösungen für komplexe Probleme. Man sollte allerdings nicht übersehen, dass es populistische Elemente im Verhalten vieler Politiker und Parteien gibt, nicht nur bei denen, die üblicherweise als Populisten bezeichnet werden.
Schon jetzt ist der EU-Beitritt der Türkei unter Präsident Erdogan quasi vom Tisch. Welche wirtschaftlichen Folgen hätte der endgültige Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen für alle Beteiligten?
Da ein EU-Beitritt der Türkei derzeit ohnehin unrealistisch ist, würde sich, was eine potentielle Mitgliedschaft angeht, wenig ändern. Im Rahmen der Beitrittsverhandlungen erhält die Türkei von der EU finanzielle Hilfen, die wegfallen würden. Außerdem würden die Fronten sich verhärten – die EU-freundlichen politischen Kräfte hätten es noch schwerer. Dieses Thema wird im deutschen Wahlkampf von den Politikern nicht sonderlich intelligent diskutiert.
Der Wirtschafts- und Finanzausschuss der EU übt einem Medienbericht zufolge deutliche Kritik an der Wirtschaftspolitik von US-Präsident Donald Trump. Ist Trump ein Risiko für die Weltwirtschaft?
Die gegen den Freihandel gerichtete Politik von Trump ist ein erhebliches Risiko für die Weltwirtschaft. Das gilt auch für seinen Ausstieg aus der internationalen Klimapolitik. Trotzdem oder gerade deswegen ist es allerdings wichtig, mit ihm im Gespräch zu bleiben. Viele Politiker überbieten sich in Kritik an Trump, um sich bei den heimischen Wählern zu profilieren. Das kann erheblichen Schaden anrichten, denn die USA sind und bleiben für uns der wichtigste politische und wirtschaftliche Partner.
Herr Prof. Dr. Fuest, unsere siebte Frage ist immer eine Persönliche und über Ihr Privatleben haben wir nur wenig gefunden: Was machen Sie in Ihrer Freizeit am liebsten?
Skifahren. Mit Familie und Freunden.
Vielen Dank für das Interview Herr Prof. Dr. Fuest!
Das Interview führte Sven Lilienström
Quelle: Initiative Gesichter der Demokratie
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