Am 23. August 2023 veröffentlicht der Münchner Wissenschafts-Journalist Joseph Scheppach sein Buch Das Universum in einem Staubkorn. Eine kurze Geschichte des Staubs vom Wohnzimmer bis ins Weltall im Goldmann Verlag. Das Interview zum Buch mit dem Autor führt Julia Meyn:
„Lieber Joseph Scheppach, haben Sie heute schon Staub gewischt?
Ja, ich habe die Blätter meiner Zimmerpflanze entstaubt. Ich habe dazu ein weiches Staubtuch benutzt, um die Pflanze nicht zu verletzen.
Sie sind Wissenschaftsjournalist und Autor zahlreicher Bücher im Bereich Natur und Technik. – Was interessiert Sie speziell an Staub?
Mich haben verschiedene Phänomene interessiert. Da ist zum einen die schier unglaubliche Tonnage an Staub, die um den Globus wirbelt. Wo kommt dieser Staub her? Staub findet man überall – und wird ihn nie los; egal wie gründlich man wischt. Wie schafft der Staub das? Auch hat mich die bislang unterschätzte Rolle des Staubs fürs Klima beschäftigt. Und wie Forscher um eine Antwort ringen, ob Staub nun ein Klimakiller ist oder ein Klimaretter. Erschrocken war ich über die Auswirkungen eines besonderen Staubs: des Feinstaubs. Nicht zuletzt fasziniert mich die kosmische Dimension des Staub. Ohne Staub nämlich wären wir nichts.
Und wie sind Sie darauf gekommen, sich mit Staub zu beschäftigen?
Ausgangspunkt war der Vulkanausbruch auf La Palma im Jahr 2021, bei dem Bekannte von mir ihr zu Hause verloren haben. Hier zeigte sich für mich die zerstörerische Wirkung von Staub, aber auch seine schöpferische Kraft, denn aus Vulkanasche entsteht fruchtbarer Boden, sprich: neues Leben.
Vielen Menschen ist Staub ein Ärgernis. Könnten Sie uns bitte Superkräfte von Staub verraten, die auch die letzten Zweifler:innen überzeugen?
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Staub kann fester kleben als der beste Klebstoff.
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Staub schafft Wolken. Ohne Staub wäre unsere Welt unerträglich feucht-heiß.
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Es gibt Staub in jedem erdenklichen Zustand; sogar ´lebendig´.
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Wenn sich winzige Staubkugeln zu Wollmäusen zusammenballen, geschieht das nach denselben Gesetzen, die auch im Weltall gelten, wenn sich riesige Galaxien bilden. Im Allerkleinsten spiegelt sich das Allergrößte wider.
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Staub hat uns Menschen geholfen, Rechnen zu lernen. Der Staub auf den Rechenbrettern diente unseren Vorfahren als Gedächtnisstütze.
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Wir Menschen sind Sternenstaub. Die chemischen Elemente in unserem Körper wurden aus kosmischem Staub „gebacken“. Staub verbindet die Sterne mit allem anderen, mit allen Planeten, mit allen Lebewesen auf der Erde.
Woher kommt nun all der Staub, der sich jeden Tag auf’s Neue auf unseren Möbel und in den Zimmerecken ausbreitet?
Es gibt so gut wie nichts, das keinen Staub produziert. Sei es die Kaffeemaschine am Morgen, das Kochen am Mittag oder das Blättern in der Zeitung am Abend. Jede Bewegung und fast jeder Gegenstand produziert Staub.
Was ist eine „Personal Cloud“?
„Persönliche Wolke“ oder personal cloud wird jene Wolke genannt, die aus Partikeln, Tröpfchen, Sporen, Bakterien und Viren besteht – und uns stets umgibt. Dieses individuelle Partikelgemisch ist unser `Stallgeruch´. Sind sie Bäcker oder Koch? Dann tragen Sie eine `Mehl-Wolke` mit sich herum. Sind Sie Förster oder Gärtner? Dann werden Sie von einer `Holz-Wolke´ umhüllt. Und sollten Sie gerade Wäsche gewaschen haben, dann ist Ihre personal cloud mit Waschpulver gespickt.
Und was ist „Sport-Schweiß-Staub“?
Fitnessstudios wollen das Quietschen bei Übungen an Geräten verhindern. Hersteller von speziellen Stäuben haben einen „Sport-Schweiß-Staub“ einwickelt; eine Mischung, mit dem man die Geräte besprüht – und Abhilfe schafft. Diverse Unternehmen produzieren Spezial-Staub; vor allem genormten Prüfstaub für Tests von Staubsaugern, Handys, Autoteilen und auch von Krematorien und Geldautomaten.
Ist es mancherorts besonders staubig?
Eine der trostlosesten Gegenden der Welt, die Bodélé-Depression am südlichen Rand der Sahara zählt zu den staubigsten Regionen der Erde. Dort gibt es auch das größte Staubgebläse der Welt. Der Wind pfeift durch zwei Gebirgszüge und wird wie in einer Düse beschleunigt.
Warum ist es im Winter staubiger als im Sommer?
Schuld daran ist die trockene Luft. Staub wird länger in der Schwebe gehalten und wirbelt herum. Er kommt u.a. von der flauschigeren Kleidung und Decken. Zudem halten wir uns mehr in den Räumen auf, produzieren also mehr Staub .
Was hat Staub mit unserem Klima zu tun?
Staub, der z.B. auf Gletschern liegt, sorgt dafür, dass mehr Sonnenenergie absorbiert wird, also weniger Sonnenlicht ins All zurückreflektiert. Auf diese Weise heizt Staub unseren Planeten auf. Wenn er aber in großer Höhe schwebt, trübt er das Sonnenlicht. Die einfallenden Strahlen werden reflektiert, bevor sie den Erdboden erreichen. Dies trägt zu einem kleinen Wärmeverlust für die Erde bei. Staub wirkt also auch kühlend. Ist Staub ein Klimakiller oder Klimaretter? Klimatologen bereitet die Antwort Kopfzerbrechen.
Kann Staub auch gefährlich sein?
Die Vielzahl sogenannter Staubverpuffungen hat mich überrascht. Mehlstaub z.B. ist so explosiv, dass früher Mühlen vor die Stadtmauern verbannt wurden. In Verbindung mit Sauerstoff können aber auch viele andere Stäube brandgefährlich werden. Das Spektrum reicht von Tabak, Kunststoffen, Holz, Papier, Zellstoff, Gummi und Pestiziden bis hin zu Pharmazeutika, Farbstoffen, Kohle und Metallen.
Welche Bedeutung hat Feinstaub sogar für die Fußball-Bundesliga?
Feinstaub verschlechtert die Leistung. Diesen Zusammenhang enthüllten Forscher am Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) bei Untersuchungen von Fußballspielen. Nach Messungen an mehr als 1700 Spieler bei rund 3000 Bundesliga-Begegnungen in zwölf Jahren kamen sie zu dem Ergebnis: Fußballspieler schlagen umso weniger Pässe je höher die Feinstaub-Belastung am Spielort ist.
In Ihrem Buch schreiben Sie: Staub ernährt die Welt. Was steckt dahinter?
Wo auch immer Staub herabfällt, sorgt er für Leben. Er schafft reichere Böden und bringt Nahrung für winzige Lebensformen an Land und im Meer. Er düngt den Boden mit wichtigen Mineralien. Staub hat den Löss geschaffen, einen der ertragreichsten Böden der Welt.
Ohne Staub kein Leben?
Wir sind Wesen, die zum größten Teil aus ganz normalem Wasser bestehen, H2O. Wasser setzt sich aus in Sternen erzeugtem Sauerstoff und Wasserstoff aus dem Urknall zusammen. Wir sind selbst ein Teil des Urknalls in dem Sinne, dass der Wasserstoff in uns aus den ersten Minuten nach dem Urknall stammt. Jemand, der 75 Kilogramm wiegt, trägt also ca. sechs Kilogramm ›Urknall-Wasserstoff‹ mit sich herum. Dieses Element konsumieren wir zum Beispiel jedes Mal, wenn wir einen Schluck Wasser trinken.
Viele Menschen glauben, dass die Atemluft nach einem Regenschauer besonders klar und gesund ist. Was stimmt nicht an dieser Aussage?
Forscher der Universität Mainz haben den landläufigen Glauben korrigiert, die Luft sei nach einem Regen sehr sauber. Das Gegenteil ist der Fall: Dann ist sie mit Abertausenden von Sporen gefüllt. Die Sporen-Konzentration in der Luft ist deutlich höher als bisher angenommen, haben die Forscher herausgefunden. Bis zu zehn Sporen inhaliert der Mensch bei jedem Atemzug. Das hat u.a. damit zu tun, dass viele Pilze sich mit Feuchtigkeit so lange vollpumpen, bis sie derart anschwellen, dass der wachsende Druck die Fortpflanzungssporen wegkatapultiert.
Was erzählt uns Staub über unsere kosmische Vergangenheit?
Das kommt darauf an, wie weit sie in die Vergangenheit zurückgehen wollen. Staub hat uns beim Erlernen des Lesens und Rechnens geholfen. Ohne Staub gäbe es auch keine Höhlenmalerei. Besonders eng mit Staub ist die Welt der Schrift verbunden. Die ersten Zeichen wurden mit Staub gemalt. Aufs engste auch ist Staub mit dem Rechenbrett verbunden – und der Erfindung der Null.
Schauen wir zurück in unsere kosmische Vergangenheit, dann erkennt man: Wir bestehen aus Elementen, die in Sternen aus kosmischem Staub gebacken wurden. Wenn Sie 75 Kilo wiegen, haben Sie genug Kohlenstoff, um 25 Pfund Holzkohle herzustellen, genug Salz, um einen Salzstreuer zu füllen, genug Chlor, um mehrere Schwimmbäder zu desinfizieren, und genug Eisen, um einen 7,5 Zentimeter langen Nagel zu schmieden. Jedes der chemischen Elemente, die diese Moleküle aufbauen, ist viele Milliarden Jahre alt.
Was haben die Schwarzen Löcher mit dem Leben auf der Erde zu tun?
Theoretisch könnten sich schon innerhalb der ersten Sekunde nach dem Urknall Unmengen an Schwarzen Löchern gebildet haben, Winzlinge von der Dimension eines Atomkerns, jedoch mit einer Masse von einer Milliarde Tonnen. Möglicherweise sind sie
der Motor gewesen, aus denen die ersten Sterne und Galaxien hervorgegangen sind. Mithin letztlich die Erde. Nun sucht das neue James-Webb-Weltraumteleskop diese primordialen Brandbeschleuniger für die Bildung der Gestirne. Sollten welche gefunden werden, wäre es der Beginn einer neuen Ära der Himmelsforschung. Dann nämlich standen am Anfang nicht die Sterne und Galaxien: Zuerst waren es die Schwarzen Löcher.
Und last but not least für alle, die noch immer nicht überzeugt sind: Gibt es Möglichkeiten, Staub effektiv zu beseitigen oder zu reduzieren?
Ob in Computerchip-Labors, Rechenzentren, Serverfarmen, Operationssälen oder Biolaboratorien: In Reinräumen darf sich in zehn Litern Raumluft höchstens ein Staubteilchen befinden. Schon dieses Ergebnis verschlingt ungeheuer viel Energie. 100 Prozent staubfrei – das ist wohl nur theoretisch zu erreichen.
Danke für das spannende Gespräch, Joseph Scheppach!“
Joseph Scheppach
geboren 1952, ist Wissenschafts-Journalist und Autor zahlreicher Bücher im Bereich Natur und Technik. Er schreibt unter anderem für die Magazine Natur, mare und Technology Review. 2020 erschien sein Buch über die Menschenrechts-Aktivistin Asia Bibi. 2009 veröffentlichte er, noch vor dem Nature Writing-Trend, das in mehrere Sprachen übersetzte Sachbuch Das geheime Bewusstsein der Pflanzen: Botschaften aus einer unbekannten Welt. Joseph Scheppach lebt in Schäftlarn bei München.