Interview mit Hubert Barth, Vorsitzender der Geschäftsführung von EY Deutschland: „Diversity ist jeden Tag harte Arbeit“

Hubert Barth, Vorsitzender der Geschäftsführung von Ernst & Young Deutschland | © Monika Baumann

Ernst & Young (EY) ist eine der großen deutschen Prüfungs- und Beratungsorganisationen. EY beschäftigt bundesweit rund 10.700 Mitarbeiter an 20 Standorten und erzielte im Geschäftsjahr 2017/2018 eine Gesamtleistung von zwei Milliarden Euro. Gemeinsam mit den mehr als 260.000 Mitarbeitern der internationalen EY-Organisation betreut EY Mandanten überall auf der Welt. Seit 2016 ist Hubert Barth Vorsitzender der Geschäftsführung von Ernst & Young (EY)  Deutschland. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit Hubert Barth über Maßnahmen zur Reduzierung von Handels- und Investitionshindernissen, das Spannungsfeld von Unternehmenslenkern und die Frage, warum Diversity jeden Tag harte Arbeit ist.

Das Interview finden Sie hier oder nachfolgend. Ein Pressefoto finden Sie hier. Credit: Monika Baumann. Bitte beachten Sie, dass das Interview in Gänze oder in Teilen ausschließlich mit Hinweis und Verlinkung auf die Quelle verwendet werden darf: Initiative Gesichter der Demokratie.

Herr Barth, unsere Demokratie lebt vom Wertepluralismus. Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?

Für mich persönlich gibt es keine bessere Staatsform, als die Demokratie. Ich bin freiheitlich aufgewachsen. Demokratische Werte sind für mich unglaublich wichtig und ich stehe für eine pluralistische Gesellschaft. Darüber hinaus bin ich der festen Überzeugung, dass sowohl die Gesellschaft, als auch jeder einzelne von uns von der Demokratie profitiert. Denn: Neben freiem Warenverkehr und freiem Handel, obliegt es jedem Individuum, eigene Entscheidungen zu treffen und eigene Wege zu gehen, um glücklich zu sein. Deswegen betone ich: Demokratie ist für mich persönlich die Staatsform, die ich gegenüber allen anderen Staatsformen bevorzuge!

Vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern haben Sie Ihre 10.700 Mitarbeiter davor gewarnt, die „demokratischen Errungenschaften“ in Deutschland infrage zu stellen. Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Ich möchte so darauf antworten: Es gab sicherlich einfachere Zeiten für die Demokratie – es gab aber auch bereits deutlich schwierigere. Wenn die demokratisch gesonnene Mehrheit ihre Stimme nicht erhebt, dann stellt sich die Frage: Wie handlungsfähig ist die Demokratie?

Die populistische Grundstimmung, die ich derzeit in der Welt erlebe, bereitet mir Sorge. Insbesondere wir in Deutschland haben in der Vergangenheit miterleben müssen, wohin uns der Populismus führt. In eine Zeit, die ich selbst nicht erleben möchte.

Vor diesem Hintergrund haben wir aufgerufen: „Geht bitte zur Wahl und informiert Euch, wen Ihr wählt“. Die Entscheidung ob liberal, konservativ, links oder rechts hingegen ist die persönliche Freiheit jedes einzelnen. Diese gilt es zu respektieren.

Mit Standorten in 150 Ländern ist EYG eine globale Gesellschaft. Wie gefährlich ist der Handelskonflikt zwischen den USA und China für die Weltwirtschaft und insbesondere für die deutsche Wirtschaft?

Wirtschaftlich betrachtet haben wir einen Konflikt zwischen den beiden größten Handelsnationen der Welt. Für Deutschland als Industrienation ohne natürliche Ressourcen kann dieser Handelsstreit nicht förderlich sein. Wir verkaufen jedes dritte Auto nach Asien und insbesondere nach China. Deutschland ist wie keine andere Nation abhängig vom Außenhandel.

Wenn dieser Außenhandel in seiner Freiheit blockiert, eingeschränkt, oder mit Zöllen belegt wird – wie zwischen USA und China – belastet das zwangsläufig das deutsche Exportgeschäft und schlussendlich den gesamten Welthandel. Die Gefahr: Das globale Wirtschaftswachstum wird gehemmt!

Helfen würde eine schnelle Lösung des Konfliktes. Die Ursachen und Auslöser des Handelsstreits können selbstverständlich kritisch hinterfragt werden. Aber es ist etwas anderes, solche Konflikte mit Zöllen oder Handelsbarrieren eskalieren zu lassen, anstatt sie in einem fairen Wettbewerb auszutragen.

Welche Maßnahmen zur Reduzierung von Handels- und Investitionshindernissen innerhalb der Europäischen Union erwarten Sie von der künftigen EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen?

Europa hat nur geeint eine Chance. Vor diesem Hintergrund erwarte ich von der EU-Kommission Akzente für ein Europa, welches sich einig ist, künftig mit einer Stimme sprechen zu wollen. Darüber hinaus erwarte ich bestehende Handelshemmnisse innerhalb Europas abzubauen und Regularien zu vereinheitlichen.

Als Beispiel möchte ich die Telekommunikation aufgreifen. Wir haben etwa 28 verschiedene Telekommunikationsstandards in Europa. Wenn die Welt auf den 5G-Mobilfunkstandard umstellt, haben wir in den USA und in China jeweils einen Standard. Wenn Europa dann 28 verschiedene Standards anbietet, ist das gegenüber 1:1 äußerst ineffizient.

Also nochmal: Europa muss mit einer Stimme sprechen! Dazu gehört auch das Abgeben gewisser staatlicher Hoheiten der EU-Mitglieder an die Europäische Union. Diese Bereitschaft muss gegeben sein. Andernfalls sprechen wir nicht mit einer Stimme, und jedes einzelne Land in Europa ist für sich gesehen zu klein, um mit den USA oder China schritthalten zu können. Vereint jedoch sind wir ein wahrzunehmender Markt mit einer gewichtigen Stimme!

Siemens-Chef Joe Kaeser erregte Aufsehen, weil er politisch Stellung bezog – eine Ausnahme. Warum behalten so viele Top-Manager ihre Meinung zu politischen und gesellschaftlichen Themen lieber für sich?

Unternehmen sind Teil der Gesellschaft und haben diesbezüglich auch Verantwortung zu übernehmen. Brechen wir diese Verantwortung hingegen auf einzelne Unternehmenslenker herunter, stellt sich immer die Frage, für wen diese sprechen: Für sich persönlich oder für das Unternehmen? Im Fall Siemens hat Joe Kaeser auch für das Unternehmen gesprochen. Unternehmen haben auf der einen Seite fest definierte Werte, auf der anderen Seite aber auch Organe, die gewisse Erwartungen an das Management dieser Unternehmen haben. Diesem Spannungsfeld muss Rechnung getragen werden.

Als globales Unternehmen hat Siemens natürlich Interesse am Freihandel unter Berücksichtigung demokratischer Werte. Vor diesem Hintergrund begrüße ich das mutige Statement von Joe Kaeser sehr. Die Einzelperson des Unternehmenslenkers befindet sich aber immer in einem Spannungsfeld und muss für sich die Frage beantworten: Wie weit kann ich gehen? Das ist die Herausforderung!

Auf der anderen Seite: Jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Also warum nicht auch einmal ein klares Statement von einem Unternehmenslenker? So wie der Politiker der Vertreter der Bürgerinnen und Bürger ist, so ist ein Unternehmenslenker letztendlich der Vertreter der Werte, für die das Unternehmen steht. Und wenn alle Stakeholder des Unternehmens diese Werte vertreten und man sich diesbezüglich äußert – warum denn nicht?

Bei EY Deutschland arbeiten über 80 Nationen. Das Engagement Ihrer Gesellschaft im Bereich „Diversity & Inclusiveness“ wurde mehrfach ausgezeichnet. Wie gelingt ein erfolgreiches Diversity Management?

Bei uns arbeiten viele verschiedene Nationen, und jeder Einzelne hat eine andere Prägung, die er mitbringt. Wir haben das Thema Diversity ganz oben auf die Agenda gesetzt. Warum? Weil die Summe vielfältiger Sichtweisen und Perspektiven meist die besten Lösungen ergibt. Themen, die ganz oben auf der Agenda stehen und die volle Unterstützung des Managements haben, werden meistens auch beachtet – mit dem Resultat einer wahrnehmbaren Verhaltensänderung des Einzelnen und im Team. Und so wiederum findet Integration und Teambildung statt. Wie gelingt Diversity? Meine Antwort: Es ist jeden Tag harte Arbeit!

Herr Barth, Sie sind Skifahrer und Hobbytriathlet. Hilft Ihnen der Sport dabei, den Kopf wieder frei zu bekommen und welche Ziele haben Sie sich für die nächsten Jahre gesteckt – sowohl beruflich als auch privat?

Sport ist für mich Teil des Lebens, so wie Familie und Arbeit Teil des Lebens sind. Durch Sport bekomme ich Abstand zu dem, was ich tue. Im vergangenen Jahr bin ich zum zweiten Mal einen Skimarathon mitgelaufen. Meine Freunde waren etwas schneller als ich. Der Wettbewerb ist hiermit eröffnet. Ich freue mich schon darauf, mich sportlich zu verbessern. Natürlich alles in Maßen!

Beruflich habe ich ein einfaches Credo: Obwohl ich in einer Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft viel mit Zahlen zu tun habe, steht für mich der Mensch immer im Vordergrund – ganz egal ob als Kollege oder als Kunde. Es soll Freude machen, mit und bei uns zu arbeiten. Wenn das sichergestellt ist, dann kommt der Erfolg von ganz alleine. Und Erfolg – das gebe ich gerne zu – macht auch Spaß!

Vielen Dank für das Interview Herr Barth!

Web: www.faces-of-democracy.org

Die Fragen stellte Sven Lilienström