„Sie dürfen sich fallen lassen!“ Nein, ohne Schmarrn! „Ins Blaue!“ – das ist eine Ausstellung, in der ein Himmelbett steht, in das man sich hineinfallen lassen darf. Täte man`s wirklich, fiele man weich. Nämlich auf eine Matratze, so grün und so sanft wie eine gemähte Wiese. Die ist ebenso wenig echt wie die Wolken, die man von seinem überdachten Lager aus am Himmel dahinfegen sieht. Die werden dem Liegenden per Videoprojektion zugespielt. Die Vögel, die man von seinem Himmelbett aus zwitschern hört und flattern, singen und schnattern – oder doch nicht? – sind auch nicht wirklich anwesend. Die einen oder anderen sind von Brigitte Stenzel auf runde Täfelchen gemalt. Von ihr ist auch das Bild beim Himmelbett: eine auf einem Maiwiesenhang ruhende schöne Blondine, den Kopf hügelabwärts, die Beine ausgestreckt, die Arme ausgebreitet. Über ihr der stahlblaue Himmel. Neben ihr noch Platz genug, um sich dort ins Grüne fallen zu lassen …
„Ins Blaue!“ – und nicht „Ins Grüne!“ heißt aber die Ausstellung, für welche Literaturhauschefin Tanja Graf die Kulturstiftung des Bundes als Sponsorin und Heike Gfrereis als Kuratorin gewann und zu der sie einen schönen Katalog mit vielen Abbildungen, Künstler- und Autoren-Viten und Zitaten machen ließ. Allein schon wegen der Texte von Ovid bis Durs Grünbein, von Walther von der Vogelweide bis Thomas Mann oder Jan Weiler lohnt sich das Buch.
Den Textleser fordert die Ausstellung ganz schön. Wer nicht gern liest, geht wohl eh in eine solche Präsentation nicht rein. Wie auf wippenden Blütenstengeln liegen viele kurze Texte in jeweils wechselnden Schriftgrößen aus. Sie versuchen, die Vielfalt der uns umgebenden Natur einzufangen – aus der Sicht der Dichter. „Die Natur ist nützlich und gut, keineswegs entzückend“, erfährt man von Robert Walser, dem so ein Satz auf einem seiner Spaziergänge einfiel. Schon kriegt man ein bisschen Wind um die Ohren, die sich gerade am Entzückenden erfreuten. Hörten sie nicht ein Käuzchen rufen? Und erst die Augen: Sahen sie nicht gerade, dass es (künstlich!) Blumen an Schnüren vom Himmel regnet? Wie eines der hohen Fenster des Schauraumes mit einer leuchtend violetten Orchidee bemalt ist? Von oben bis unten. Gute Anregung für daheim …
Aber, bitte, erst mal hier bleiben, nicht schon an Rückkehr denken. Rein in die Natur! Und sich ergötzen an so manchem Dichterwort, das die Ausstellungsmacher auswählten. Thomas Mann lässt München leuchten. Paul Celan ergänzt mit eigener Hand sein „Kleines (Insel-)Blumenbuch“ und notiert die vielen Gänseblümchen-Synonyme. Rudolf Borchardt singt in seinem Buch vom „Leidenschaftlichen Gärtner“ das Loblied auf die Blume: „Sie entfesselt die Freiheit der menschlichen Fantasie von den Gefängnissen des Raumes“ – wie wahr! Und wie seltsam wird einem, wenn man all die kuriosen Natur-Relikte betrachtet, die, nicht gekünstelt, sondern natürlich in Schaukästen liegen, als Leihgaben zeitgenössischer Skribenten – Anita Albus` Gehäuse der Geografischen Kegelschnecke, Raoul Schrotts Gneisbrocken, 4,2 Millionen Jahre alt, Jan Wagners Häufchen Torf. Es soll just aus dem irischen Moor stammen, in den sich der Lyriker mal auf Kneipen-Suche verirrte. Oh, da vergeht einem der Zuruf: „Ins Blaue!“ Robert Walser kriegt Recht mit seiner Warnung. Die jedenfalls nahmen sich die klugen Ausstellungsmacher zu Herzen; denn sie hüteten sich, die Natur – ob Wiese oder Wüste, Meer oder Moor, Garten oder Grünanlage dem Besucher dieser wunderlichen Schau zu verklären.
„Ins Blaue!“ kann man sich noch bis zum 7. Oktober begeben, da hat die Galerie des Münchner Literaturhauses am Salvatorplatz, die im Erdgeschoß liegt, täglich von 10 bis 18 Uhr auf.
Foto (Hans Gärtner)
Kunst-Blumen regnet es an Schnüren vom Himmel – auf Texte von Dichtern, die die Kunst beherrschen, die Natur zu besingen und gerne ihre echten Natur-Fundstücke ausliehen.