Es gibt Bilder, die für die Zeiten stehen, und die Fähigkeiten der Zeitgenossen, ihnen gerecht zu werden.
Das Bild vom 30. 1. 1968, auf dem Ralf Dahrendorf, erst seit einem Vierteljahr FDP-Mitglied, während des FDP-Parteitages in Freiburg mit Rudi Dutschke streitet, markiert einen Aufbruch der liberalen Partei, der drei Jahrzehnte währte, in denen die FDP deutsche Politik mit prägte. Dahrendorf stritt gegen den Willen seiner Parteispitze mit der aufbegehrende Jugend, nahm sie Ernst und liess sich durch manche irren Vorstellungen nicht beirren, die schliesslich die bis dahin grösste Erschütterung der westlichen Welt in der Nachkriegszeit auslösten und einen bis heute nachwirkenden kulturellen und gesellschaftlichen Bruch einleiteten.
Über 50 Jahre später erfährt der Westen eine ungleich grössere Bedrohung durch den Überfall Russlands auf die Ukraine. Der Vormarsch der Aggressoren stabilisiert sich, und noch ist nicht abzusehen, wo und wie er gestoppt werden kann. Deutschland, abhängig von russischem Gas, droht eine schwere Energiekrise, begleitet von einer massiven Inflation, die diejenigen am schärfsten trifft, die am wenigsten verdienen.
In dieser Situation lädt der FDP-Vorsitzende und Finanzminister die Spitzen der deutschen Politik zu einem dreitägigen Hochzeitsevent in die Traditions-Lokale der vermeintlichen oder tatsächlichen Prominenz auf der Insel Sylt. Sein alter Freund, mit dem er einst seinen ersten Konkurs hinlegte, war übrigens nicht eingeladen.
Denn das ist keine privater Feier, sondern ein sorgsam orchestriertes öffentliches Ereignis, begleitet mit Fotos und Filmen. Und natürlich von „Bild“. Dabei erlaubt sich Lindner die Inszenierung einer alten längst vergehenden Welt und verrät damit mehr über sein Verständnis von der Gegenwart als bei jedem politischen Auftritt. Obwohl der liberale Spitzenpolitiker wie seine Frau keiner Kirche angehört, lässt er sich in der angesagten Insel Kirche St. Severin evangelisch trauen. Ein uraltes Gemeinderitual gerät so zu Kulisse.
Anders als Robert Habeck konnte sich Olaf Scholz der Einladung seines Koalitionspartners nach Sylt kaum entziehen. Eben erst hatte der Bundeskanzler das deutsche Volk eindringlich aufgefordert, sich unterzuhaken, weil es dann stark sei. Wenn er und sein Finanzminister demnächst Opfer einfordern, werden sie die starken Bilder des Sylter Hochzeitsevents nicht verdrängen können.
Nach der Trauung fährt Lindner seine Frau im offenen schwarzen Porsche Targa zum Umziehen ins Severin‘s Resort & Spa. Das ist die Bildikone dieser Sylter Tage. Währenddessen lässt Aussenministerin Annalena Baerbock ein wohl inszeniertes Foto von ihrem Besuch der Insel und ehemaligen deutschen Kolonie Palau posten, wo sie auf der Rückreise vom G20-Treffen Station macht, eine Insel, die wohl nicht mehr zu retten ist. Baerbock wollte trotz des Ukraine Krieges an die existenzielle Tatsache erinnern, dass die Menschen mit ihrem ungebremsten CO₂-Ausstoß den Planeten zerstören.
Viele Promis hätten auf Geschenke zugunsten einer Spende für die Ukraine verzichtet. Auf Lindners Wunschgeschenkeliste soll dagegen eine Suppenterrine der Königlich Kopenhagener Porzellan Manufaktur im Wert von über 1.000 Euro stehen. Geht der FDP-Chef immer noch vom Scheitern der Ukraine aus? Am Tage des russischen Einmarsches, behauptet der ukrainische Botschafter, habe Linder ihm erklärt, dass es angesichts der russischen Übermacht sinnlos sei, Waffen zu liefern: „Das war das schlimmste Gespräch in meinem Leben“. Während Lindners Trauung wurde die Abberufung von Andrij Melnyk offiziell verkündet, ein vermutlich nicht geplantes Hochzeitsgeschenk der ukrainischen Regierung.
Abends im „Sansibar“ werden die Champagnerkorken dezent geploppt haben.
Quelle: Franz Sommerfeld