In Stein gemeißelt. Skulpturen von Fabio Viale in der Glyptothek

Fabio Viale, Door Release, Marmor C) Galleria Poggiali

„Verspielt“ und auch etwas „frech“ nannte die Bayerische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst Prof. Dr. med. Marion Kiechle die Werke des italienischen Künstlers Fabio Viale bei Eröffnung der Sonderausstellung „In Stein gemeißelt“, die bis zum 30. September in der Münchner Glyptothek bewundert werden können. Der Blick, mit dem sie sich den Skulpturen nähert, ist – wie sie in ihrer Begrüßungsrede unterstreicht- ein ganz besonderer. Es ist nämlich der Blick der Medizinerin, die sich von den Linien und Formen des menschlichen Körpers besonders hingezogen fühlt. Ein Blick, der sich als lohnend erweist, denn die Figuren des piemontesischen Meisters beweisen in ihren technisch vollendeten Konturen ein solches Können, dass sie vor einer Präsentation inmitten antiker Meisterwerke an einem historisch so relevanten Ort wie dem Königplatz nichts zu befürchten haben. Die Gegenüberstellung Antike und Moderne, Hellenistische Kunst und Postmoderne lässt in dem unvergleichlichen Ambiente der Glyptothek, Münchens ältestem Museum, die von König Ludwig I. initiierte Skulpturen-Sammlung zu neuem Leben erwecken. Es sind Oeuvres, die den Betrachter ins Staunen versetzen und zur Reflexion einladen, indem sie Rätsel aufgeben.

Fabio Viale, Earth, Marmor, Glyptothek Saal 6

(C) Staatliche Antikensammlung und Glyptothek München.

Fotografiert von Renate Kühling

 

Das Kriterium der technisch-handwerklichen Vollendung war – wie aus der Laudatio des Direktors der Glyptothek zu entnehmen – zwar ausschlaggebend bei der Entscheidungsfindung, ausgerechnet diese Werke in einem so anspruchsvollen Kontext zu zeigen, und dies in Zeiten, in denen dem Marmor nicht mehr – wie in der Antike – die führende Rolle unter den Künsten zugeteilt wird. Nicht weniger entscheidend war es jedoch jene „reizvolle Verbindungslinie“, die der Künstler zum Ausstellungsort dank der „illusionistischen Gestaltungskraft“ seiner Skulpturen herzustellen weiß.

Überarbeitete Repliken klassischer Originale gesellen sich unter den Exponaten der Dauerausstellung zu Objekten des täglichen Gebrauchs, die ihrer gewöhnlichen Funktion entledigt wurden. Eine ästhetisch ansprechende Tätowierung aus Farbpigmenten umhüllt wie eine Arabesque den marmornen Rücken der Kopie der „Venus Italica“ und verwandelt die Göttin der Liebe in eine hochmoderne, beinah witzige Frauengestalt. Eine andere Tätowierung reproduziert ein Detail aus dem vor einiger Zeit in Italien in die Schlagzeilen geratenen, von Dantes „Höllensphären“ inspirierten Fresko „Inferno“ von Giovanni da Modena, das seit dem 15. Jht. in Bologna in der Basilika San Petronio zu sehen ist. Die farbige Tätowierung ist eine Darstellung des in der Hölle von Dämonen gequälten und von Flammen umzingelten Propheten Mohamed. Die Tätowierung dehnt sich um den schmerzhaft verkrampften Körper der zentralen Figur aus der berühmten Laokoon-Gruppe aus, die aus göttlichem Befehl dem Würgegriff der Schlangen ausgesetzt ist. Die Skulptur, die die Besucher der Schau vor dem Hauptportal empfängt, ist wohl eine mutige Provokation des Künstlers, der sich mit dem Thema des blinden Hasses auseinandersetzt, der aus einem giftigen Mix aus Vorurteilen und Verdächtigungen seit Jahrhunderten das friedliche Zusammenleben der Völker aufs Spiel setzt.

Fabio Viale, Venere Italica a, Marmor u. Pigmente

(C) Galleria Poggiali

 

Vor Rätsel steht der Betrachter immer wieder auch bei der Identifizierung der Materialien, woraus die Skulpturen geschaffen sind. Weißer und schwarzer Marmorstein wird in weitaus ärmeren Materialen optisch umgewandelt und vollzieht eine vorbildhafte Täuschung, die die Wahrnehmung verändert. „La Suprema“ als Remake einer vergilbten Obsttransportkiste aus Holz, „Aereo“ ein eleganter Riesenpapierflieger, „Stragate“, eine in ihrer Verzierung orientalisch anmutende, überdimensionierte Plastikkiste, „Door Release“, eine Nachbildung in Styroporoptik von „Konstantins Hand“ sind vollwertige Nachahmungen von Objekten, die aus schlichteren, vor allem leichteren Materialien bestanden, welche sich vom edlen Marmor an erster Stelle durch ihr Gewicht – oder ihre Gewichtung! – unterscheiden. Die Ähnlichkeit zwischen Original und Nachahmung verblüfft, verwirrt, zwingt dazu, alles in Frage zu stellen. Es geht schlussendlich nur um den Bedeutungswechsel an sich, der die Vieldeutigkeit der Werke, deren komplexe Ambiguität in den Mittelpunkt rücken lässt. All die rigoros aus Marmor realisierten Exponate sind nicht nur faszinierende Blickfänge, sondern vordergründig einzelne, phantastische Elemente einer Inszenierung, die in der Glyptothek ihre perfekte Bühne gefunden hat. Wie die vollkommen imitierten, mal neuen, mal gebrauchten, übergroßen Reifen aus schwarzem Marmor, die sich einfühlsam in die Architektur des Bauwerks inmitten von Isar-Athen einfügen und ein harmonisches Ganze mit ihr bilden.

In Stein gemeißelt. Skulpturen von Fabio Viale in der Glyptothek.

Sonderausstellung in Zusammenarbeit mit

Consolato Generale d’Italia di Monaco di Baviera

Istituto Italiano di Cultura Monaco di Baviera

Galleria Poggiale/Firenze Milano Pietrasanta

Bis zum 30.09.2018 – Täglich außer Montag 10-17 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr.

Zur Ausstellung ist ein Katalog mit zahlreichen Abbildungen von Renate Kühling und Texten u.a. von Florian Knauß (Direktor der Glyptothek), Renato Cianfarani (Italienischer Generalkonsul), Christian Gliwitzky und Sergio Risaliti. Verantwortlich für Planung und Gestaltung waren der Künstler, sein Galerist Lorenzo Poggiali und Christian Gliwitzky.

 

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Über Anna Zanco-Prestel 178 Artikel
Dr. Anna Zanco-Prestel, hat Literaturwissenschaften (Deutsch, Französisch und Italienisch) und Kunstgeschichte in Venedig, Heidelberg und München studiert. Publizistin und Herausgeberin mit Schwerpunkt Exilforschung. U.d. Publikationen: Erika Mann, Briefe und Antworten 1922 – 69 (Ellermann/DTV/Mondadori). Seit 1990 auch als Kulturkoordinatorin tätig und ab 2000 Vorsitzende des von ihr in München gegründeten Kulturvereins Pro Arte e.V.