Für eine wirkliche Überraschung haben die Berliner Wähler nicht gesorgt: Die beiden so genannten Großen, also SPD und CDU, mussten starke Einbußen hinnehmen, die AfD ist in das zehnte Landesparlament eingezogen – und die Republik rückt weiter nach links. Denn dank des AfD-Erfolges gibt es in Berlin nur eine einzige realistische Koalitions-Option: SPD, Linke und Grüne.
Die SPD ist mit einem Verlust von rund 7 Punkten nicht gerade ein strahlender Wahlsieger. Aber der Absturz der CDU auf knapp 18 Prozent ist nicht weniger dramatisch. Ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl seit der Wiedervereinigung erzielte die CDU Anfang 2015 in Hamburg mit 15,9 Prozent. Mit 17,6 Prozent liegt die Berliner CDU nun in der „Loser-Tabelle“ auf Platz 2. Man muss schon in die 1950er-Jahre zurückgehen, um noch schlechtere CDU-Zahlen zu finden, etwa die 9 Prozent im Jahr 1951 oder die 14,8 Prozent 1959 in Bremen.
Nun ist es nicht außergewöhnlich, dass die Kanzlerpartei bei Landtagswahlen Stimmen und Regierungsbeteiligungen einbüßt. Das war schon bei Helmut Kohl (CDU) so und bei Gerhard Schröder nicht anders. Doch dieses Mal ist der Abstieg der einstigen „strukturellen Mehrheitspartei“ CDU jetzt noch deutlicher als in der Ära Kohl. Als Angela Merkel im Herbst 2005 als Kanzlerin vereidigt wurde, stellten CDU/CSU 11 von 16 Ministerpräsidenten und war an insgesamt 13 Landesregierungen beteiligt. Jetzt stellt die Union noch 5 Ministerpräsidenten und wird nach Bildung der neuen Berliner Koalition nur noch in 2 weiteren Regierung vertreten sein. So schwach wie nach 11 Jahren Merkel war die CDU nicht einmal nach 16 Jahren Kohl. Zum Vergleich: Wenn die Grünen in den Berliner Senat einziehen, wird die einstige Ökopartei in 11 Ländern mitregieren.
Wie gesagt: In der Bundeshauptstadt stehen die Zeichen auf „r2g“. Rechnerisch gäbe es noch andere Koalitionsmöglichkeiten: „Kenia“ mit SPD, CDU und Grünen, eine „Deutschlandkoalition“ mit SPD, CDU und FDP oder eine „Ampel“ aus SPD, Grüne und FDP. Das ist aber angesichts der wenig produktiven Zusammenarbeit von SPD und CDU in den vergangenen fünf Jahren nicht realistisch. Man darf also getrost davon ausgehen, dass den Sozialdemokraten dieses Ergebnis ganz recht ist, um die CDU endlich loszuwerden. Und da es weder für Rot-Schwarz noch für Schwarz-Grün reicht, kann die SPD die umbenannte und gehäutete SED freudig mit ins Boot nehmen – sozusagen aus staatsbürgerlicher Verantwortung.
Rot-Rot-Grün im Berliner Abgeordnetenhaus kann man damit nur schwer als bewusste Vorentscheidung für Rot-Rot-Grün nach der Bundestagswahl 2017 interpretieren. Es hat sich – dank der AfD – halt so ergeben. Gleichwohl wird Sigmar Gabriel darüber sehr glücklich sein. Berlin wird nach Thüringen und Brandenburg das dritte Land, in dem SPD und Linke gemeinsam regieren. Und jede rot-rote oder rot-rot-grüne Landesregierung ist natürlich eine Vorbereitung auf das große Ziel: eine SPD-geführte Bundesregierung.
Auch wenn es grotesk erscheinen mag: SPD und Grüne verlieren bei fast allen Landtagswahlen und stehen – machttechnisch gesehen – hinterher stärker da. Erreicht hat das die AfD, die sich als sechste Partei auf absehbare Zeit etabliert hat und den anderen Parteien so viele Stimmen wegnimmt, dass die klassischen Koalitionsmodelle Schwarz-Gelb oder Rot-Grün zahlenmäßig nicht mehr funktionieren. Selbst der Glaubenssatz der alten Bonner Republik, „für eine Große Koalition reicht es immer“, wurde bereits im Frühjahr in Baden-Württemberg und in Sachsen-Anhalt widerlegt – und jetzt auch in Berlin.
Die AfD wollte das Land nach rechts rücken. Tatsächlich hat sie seit der Bundestagswahl 2013 schwarz-gelbe Bündnisse nahezu unmöglich gemacht und damit SPD, Grüne und Linke gestärkt. Und das ist die Erfolgsliste der AfD bei der Linksverschiebung der Republik:
–In Berlin dürfen jetzt die Linken wieder mitregieren.
–In Sachsen-Anhalt schafften es die Grünen in eine „Kenia“-Koalition.
–In Baden-Württemberg schwächten sie die CDU so sehr, dass die Grünen den Ministerpräsidenten stellen können.
–In Sachsen rückten statt der abgewählten FDP die Sozialdemokraten in die Regierung ein.
–In Hessen und Hamburg schafften es die Grünen ebenfalls – mit indirekter AfD-Unterstützung – zurück an den Kabinettstisch.
Die AfD macht Wutbürger mit Erfolg zu Wutwählern. Wer es in erster Linie „denen da oben“ zeigen will, der schert sich nicht um die Wirkung seiner Stimmabgabe. Das führt zu einer grotesken politischen Arithmetik: Je stärker die AfD, umso wahrscheinlicher wird Rot-Rot-Grün. Anders ausgedrückt: Die Rechtspopulisten von der AfD und ihre Wähler rücken die Republik immer weiter nach links. Quod erat demonstrandum.
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