Im Rausch des geistlichen Frühbarock – John Eliot Gardiners mit Standing Ovationes gefeiertes Salzburger Festival-Gastspiel im Dom

Das schönste „Amen“, das wohl je im Salzburger Dom erklang, war das siebte von acht, die Claudio Montiverdis 8-teilige „Marienvesper“ enthält. Sir John Eliot Gardiner glückte dieses Wunder-„Amen“. Nennen wir es „marvelous“ in der Sprache derer, die es sangen und spielten: „The Monteverdi Choir“ und „The English Baroque Soloists“: erstaunlich, wunderbar, fabelhaft, fantastisch. So wie die ganze Aufführung des gut 400 Jahre alten Hymnus auf Maria in dieser superben Interpretation zu erleben war – als, nach Haydns „Schöpfung“ tags zuvor, zweiter Einstieg in die Salzburger Festspiele 2014.
Selbst die Festspielpräsidentin musste gestehen: Alexander Pereiras Idee der „Ouverture Spirituelle“ erweist sich als Zugnummer. Sie würde, so Rabl-Stadler, als „sein Vermächtnis“, auch nach seinem Weggang aus Salzburg, erhalten bleiben. Zu Monteverdis „Vespro della Beata Vergine“ strömte man scharenweise, freilich auch seines bekannt genialen Ausdeuters wegen, in die Kathedrale. Viele Karteninhaber waren merklich ungeduldig, bis man sie, auch ungehalten darüber, dass man sie erst 14 Minuten vor Konzertbeginn aus der Qual der 33 Grad Celsius starken Domplatz-Hitze erlöste und in die Kühle des zentralen Sakralraums der Festspielstadt ließ. Er füllte sich bis auf den letzten Platz. Und erwies sich als akustisch hoch geeignet für eine spektakulär-theaterhafte, dennoch meditative Aufführung des solitären, mit alten Instrumenten besetzten geistlichen exzeptionellen Werkes, das der ersten Oper, dem „L`Orfeo“, stellenweise sehr nahe kommt. Nach knapp zwei Stunden, während der man eine Stecknadel hätte fallen hören können, war der Dom von einem Jubel bei Standing Ovationes erfüllt, dass es selbst das müdeste Mütterlein von der Kirchenbank riss, um in den lang anhaltenden Applaus einzustimmen.
Der fulminante, im Wechsel von grandiosen Soli und mehrstimmigen Chören auf und nieder wogende Huldigungsrausch an die Gottesmutter erfasste noch den letzten Zauderer unter den Anwesenden. Manche hatten Tränen in den Augen. Sie erlebten ein Konzert, das trotz – oder gerade wegen – seines hohen Anspruchs bewundernd und dankbar für so viel Kompetenz und vokalsolistische und instrumentale Brillanz der weltberühmten britischen Gäste entgegen genommen wurde. Die physische und mentale Größe Gardiners, der Leitfigur bei der Wiederentdeckung Alter Musik paarte sich mit der des tiefgläubigen Christen und Star-Anwalts geistlicher Tonkunst. Wie feinfühlig Gardiner eine (ohnehin selten live zu erlebende) überschwänglich beredte geistliche Komposition von der Gelenkstelle der Spätrenaissance zum Frühbarock für das Show-verwöhnte Publikum von heute „arrangierte“, war allein schon phänomenal. Er nützte Dom-Balkone, schickte bald Solisten, bald Instrumentalisten hoch, ließ sie sich langsamen Schrittes von ihren Plätzen lösen, fügte den von Wolfgang Götz präzise einstudierten Salzburger Festspiel- und Theater-Kinderchor organisch ein, brachte also auch fürs Auge Mobilität ins Spiel.
Der sich bald machtvoll aufschwingende, bald in zarteste Fasern zerrinnende Gardiner-Monteverdi-Klang, die raffiniert eingesetzte Echo-Technik im „Audi coelum“-Teil, die berückenden (Counter-)Tenor-Passagen, die kluge Nutzung von Vorder- und Hintergrund im Wechsel von Tutti und Soli, die Feier der Allmacht Gottes – über der lauretanisch variiert angerufenen Virgo Virginorum – im vorletzten „Gloria Patri“, das den bebenden Höhepunkt der Aufführung bot – alles fügte sich zu einem Ganzen von geradezu überirdischer Ästhetik.
Das 50-jährige Bestehen des Monteverdi-Chores wird von den Englischen Barock-Solisten mit Aufführungen der „Marienvesper“ in Cambridge, Versailles und Barcelona gefeiert, um anschließend mi G. F. Händels „Dixit Dominus“ auf Sommerfestival-Tournee zu gehen. Salzburg war sich wohl der Auszeichnung bewusst, eine der ausersehenen Stationen der Geburtstagsgastspielreise zu sein. Der logistische Aufwand eines solchen Unternehmens ist ja enorm. Doch dürfte schon in der Erhabenheit der Aufführungsstätte ein Quäntchen Entschädigung liegen.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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