Im Labyrinth der Liebe – „Tristan und Isolde“ unter der Regie von Wagners Urenkelin Katharina eröffnet die Bayreuther Festspiele 2015

Mit Spannung erwartet wurde die neue Bayreuther Produktion von „Tristan und Isolde“ unter der Regie von Katharina Wagner exakt 150 Jahre nach der Uraufführung am 10. Juni 1865 in München. Nichts war vor der Premiere, die die Festspiele 2015 eröffnen sollte, über Inszenierung und Bühnenbild der bahnbrechenden Oper an die Öffentlichkeit durchgesickert, mit der Wagners Urenkelin – nun als alleinige Festspielleiterin – den neuen Kurs des weltbekannten Festivals prägen sollte. Lebendig war noch die Erinnerung an ihre provokative Meistersinger-Inszenierung vom Jahre 2007, in der sie mit der Geschichte des Wagner-Clans hart ins Gericht ging. Noch am Vorabend der Premiere beteuerte aber Dirigent Christian Thielemann in einem Interview, „kein Skandal zu wollen, sondern eine Oper, die man immer wieder sehen kann und nicht nur einmal…“
Als der Vorhang aufging, katalisierte ein komplexes Konstrukt aus metallenen Pfeilern, Treppen, offenen Türen und sich windenden Geländern die Blicke der Zuschauer, die das Theater bis auf den letzten Sitzplatz füllten. Die düstere Atmosphäre des spärlich, nur punktuell beleuchteten Tragwerks deutete von Anbeginn auf Unheilvolles hin, was unmittelbar bevorstand und die ganze Handlung bestimmen würde. Es wirkte wie ein Labyrinth, das – wie die erste Abbildung im Programmheft suggeriert – an ein bekanntes Werk von Giovan Battista Piranesi angelehnt sein soll. „Ponte levatoio“ – Zugbrücke – nennt sich der Stich des berühmten Künstlers aus der Serie „Carceri d'invenzione“ „Erfundene Kerker“ vom Jahre 1761, der schon manche Dichter und Regisseure inspiriert hat. Labyrinthisch wie die Liebe in all ihren Verstrickungen, Selbsttäuschungen, Liebe wie ein Gefängnis in ihrer verzweifelten Auswegslosigkeit, aussichtslos, wenn sie unerfüllt bleibt. Liebe als Gefahr, Liebe gleich „Verwundbarkeit“ oder in ihren Steigerungen als „Drahtseilakt“ und schließlich als „Tod“. Todesahnung, die auch im zweiten Aufzug in der Luft schwebend bleibt, wo von oben einfallende Scheinwerferstrahlen oder bewegliche Lichtpunkte die Finsternis wie Sterne am schwarzen Himmel erhellen und eine suggestive Kulisse für die verhängnisvolle Umarmung der Liebenden bilden.
Ein an wechselnden Stellen der Bühne in ein gräulich leuchtendes Dreieck – das Dreieck als Erleuchtungssymbol oder als Sinnbild für Vollkommenheit – hinein projiziertes Frauenbildnis dominiert den dritten Aufzug. Eine ephemere, in bläulichem langem Gewand verschleierte Gestalt, die sich verdingt, um sich wenig später in Luft auflösen. Eine Ikone, flüchtig und unerreichbar…Verkörperung jenes „kosmogonischen Mythus, in dem das Sehnsuchtsmotiv die Welt hervorruft“ (Thomas Mann).
Den innerlichen Drang der Oper herauszustellen, war Katharina Wagners Bestreben und dies gelang ihr in diesem von Philipp Schlössmann und Mathhias Lippert realisierten Bühnenbild, das – zwischen kargen Stahlgerüsten und zart-nebligen Lichteffekten – keineswegs mit der Handlung interagiert und wie bei einem abstrakten Bild mehrere Interpretationen zulässt.
Das Publikum schätzte diese Intention und bedankte sich mit lang anhaltendem, begeistertem Applaus, der auch den Interpreten gilt, allen voran dem Amerikaner Stephen Gould, der den Tristan besetzte, Georg Zeppenfeld als König Marke und Evelyn Herlitzius, die – an Stelle von Anja Kampe – die„neue“ Isolde stellte. Applaus, der empfindlich an Intensität gewann, als schließlich Christian Thielemann die Bühne betrat und den Lohn für seine bravoureuse Leitung bescheiden entgegen nahm. Der Berliner Dirigent steht in der Nachfolge von Größen wie Hans von Bülow, Hermann Levi , Felix Mottl, Arturo Toscanini, Peter Schneider, Daniel Barenboim und Horst Stein, die die Geschichte der Bayreuther Festspiele geschrieben haben. Als „Musikdirektor“ besetzt er zudem ab sofort jene Rolle, die bis dato nur einem Familienmitglied (Cosima, Siegfried, Winifred, Wieland und Wolfgang Wagner) vorenthalten wurde. Ein Novum, das sich hoffentlich positiv auf die künftige Entwicklung der Bayreuther Festspiele auswirken wird.

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Dr. Anna Zanco-Prestel, hat Literaturwissenschaften (Deutsch, Französisch und Italienisch) und Kunstgeschichte in Venedig, Heidelberg und München studiert. Publizistin und Herausgeberin mit Schwerpunkt Exilforschung. U.d. Publikationen: Erika Mann, Briefe und Antworten 1922 – 69 (Ellermann/DTV/Mondadori). Seit 1990 auch als Kulturkoordinatorin tätig und ab 2000 Vorsitzende des von ihr in München gegründeten Kulturvereins Pro Arte e.V.

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