Harmut Rosa ist einer der bekanntesten deutschen Soziologen und Politikwissenschaftler. Der „The European“ sprach mit dem Jenaer Professor über den Neoliberalismus, über die Entschleunigung und darüber, wie man wieder glücklich sein kann.
Herr Rosa, soziologisch gesehen, in welchem Zeitalter leben wir, im Postfaktischen?
Dieses ‚Postfaktische‘ scheint mir eher etwas Politisches oder eine politikwissenschaftliche Kategorie zu sein als eine soziologische. Wir leben nach wie vor im Zeitalter der Moderne, welches durch die Tatsache gekennzeichnet ist, dass sich moderne kapitalistische Gesellschaften nur durch Steigerung erhalten können. Dass wir also zur Aufrechterhaltung der Institution, die wir haben, permanente Steigerungsleistungen erbringen müssen.
Die virtuelle Welt suggeriert Nähe, liefert aber im Umkehrschluss in den sozialen Netzwerken eine abstrakte Anonymität. Was bedeutet dies aus Sicht des Soziologen?
Ich glaube, dass wir tatsächlich fast suchtförmig in virtuelle Welten getrieben werden, vor allen Dingen in soziale Medien, weil wir das Verlangen haben – und ich glaube das dies ein zutiefst menschliches Grundverlangen ist – nach Resonanz, nach Antwort, nach Beziehung. Wir wollen gehört, gesehen, wahrgenommen werden und wir wollen auch eine Spur hinterlassen im Internet. Aber diese Resonanz, die wir in der virtuellen Welt erfahren, scheint irgendwie nicht nachhaltig zu sein. Wir sind permanent darauf angewiesen, auch in schneller Folge gestaltete Rückmeldung zu kriegen, sonst führen wir uns einsam und verloren.
Hat der Kommunitarismus in Zeiten des Neoliberalismus überhaupt noch eine Chance?
Ich bin vom Begriff etwas abgerückt, weil Kommunitarismus erstens aus der Mode geraten ist und zweitens vielleicht auch von falschen Kreisen aufgegriffen worden ist. Ich glaube aber, dass die Sehnsucht nach Gemeinschaft im Sinne von wechselseitiger Verbundenheit, durchaus stark ist. Ich glaube, dass man das tatsächlich auch bei den gegenwärtigen populistischen Bewegungen sieht –also von Trump über Brexit bis hin zu Pegida. Die Menschen haben nicht mehr das Gefühl, dass die politische Welt mit ihnen lebendig verbunden ist. Das kommt auch immer wieder zum Ausdruck, wenn Menschen sagen, die Politik hört mich nicht, sie sieht mich nicht, sie geht mich nichts an, sie scheint mir fremd und steht sogar feindlich gegenüber. Ich denke diese Erfahrung, die man bei Pegida hören kann oder bei den Leuten, die für Brexit auf die Straße gegangen sind, dies kann durchaus eine reale Erfahrung sein, nämlich eine Entfremdungserfahrung. Allerdings glaube ich, dass dafür nicht die paar Ausländer oder Immigranten schuld sind – die Attribuierung scheint mir völlig falsch zu sein. Aber das Verlangen, sich Welt wieder anzuverwandeln, als gemeinsam gestaltete politische Welt, sehe ich deutlich und es scheint wichtiger denn je zu sein. Dies müsste aber als republikanische Idee umgesetzt werden, bei dem man sich nicht gegen andere durchsetzt und alles was nicht passt ausschließt oder beseitigt, sondern als eine Art in-Beziehung-setzen zu Anderem und Anderen im Modus des Hörens und Antwortens, welches immer eine Verwandlung ins Gemeinsame hin meint und nicht einfach eine Durchsetzung des Althergebrachten.
Wir leben in beschleunigten Zeiten, Paul Virilio entwarf dafür das Kunstwort Dromologie. Geschwindigkeit ist der entscheidende Faktor, der die Gesellschaft bestimmt, transportiert im Umkehrschluss aber, quasi als Dialektik, einen Effekt der Selbstblockade und damit Stillstand. Was bringt uns Ihre Entschleunigung in Zeiten, wo sich diese keiner mehr leisten kann?
Mir ist bewusst, dass ich in den Medien oft als Entschleunigungs-Papst oder Entschleunigungs-Guru oder Entschleunigungs-Prophet bezeichnet wurde, sie werden aber kaum etwas von mir finden, bei dem ich jemals etwas gesagt hätte ‚Ich stehe für Entschleunigung‘. Ich glaube nicht, dass wir einfach langsam tun können. Wir bewegen uns im Prinzip in einem kollektiven Hamsterrad, wenn wir da als Einzelne langsam tun, dann werden wir untergetrampelt oder wir fallen heraus. Wir können vielleicht rausspringen, allerdings zu dem unbestimmten Preis, da wir nicht wissen können, ob und wie wir jemals wieder zurückkommen. Und wenn wir das Kollektiv tun wollen, ist das eine Lüge. Denn man kann nicht sagen, dass wir langsamer machen können und damit den Rest dabei aufhalten.
Also wer sagt, dass wir mehr Wettbewerb brauchen, um das Wachstum wieder anzukurbeln, der muss sich bewusst sein, dass er mit den Mechanismen Wachstumskreation oder Wachstumserzeugung und Wettbewerbsverschärfung immer schon an der Zeitschraube dreht. Also wir können nicht langsamer machen und den Rest lassen, wie er ist. Und ich glaube übrigens auch gar nicht, dass Entschleunigung oder Langsamkeit ein besonders attraktives Ziel ist. Wir haben nichts davon, wenn die Dinge einfach langsamer gehen – langsame Internetverbindungen sind tödlich, und eine langsame Schlange im Supermarkt macht auch niemanden glücklich, ein langsames Feuerwehrauto wäre auch ziemlich schlecht. Also Langsamkeit ist nur zu einer Chiffre für eine andere Form des in-der-Welt-Seins geworden. Und dies brauchen wir schon, also eine Idee davon, wie wir auf andere Weise mit Menschen und Dingen verbunden sein könnten. Allerdings hält die Weise unserer Weltbeziehung – deshalb heißt mein Buch im Untertitel „Die Soziologie der Weltbeziehung“ – die Art unserer Weltbeziehung nicht nur von uns ab, sondern auch von dem institutionellen Kontext, in dem wir uns bewegen. Wenn wir also von einem anderen Leben träumen, können wir bei uns anfangen, müssen aber auch auf die Welt, in der wir leben, selbst achten und uns dort Alternativen ausdenken.
Ataraxie , die Seelenruhe des Gemütes und Apathie empfahlen schon die Griechen als Voraussetzung der Einkehr in das Ich. Wie gewinnen wir uns als autonome Wesen zurück?
Ich bin der Meinung, dass möglicherweise dieser Versuch, uns als autonome Wesen zu konzeptualisieren und das anzustreben, ein Teil des Problems und gar nicht der Lösung ist. Man sieht es auch bei der Achtsamkeitsbewegung, die uns ja eigentlich suggeriert, wenn du nur die richtige innere Seelenruhe hast, die nötige Gelassenheit, die richtige Achtsamkeit, dann wird dein Leben in Ordnung sein, völlig unabhängig von der Frage, in welcher Welt du dich bewegst. Ich glaube aber, dass die wirklichen Momente gelingenden Lebens und die gelingende Form des in-der-Welt-Seins nicht die ist, in der wir vollständig selbstbestimmt sind und eigentlich von gar nichts berührt oder bewegt werden da draußen, sondern es sind Momente, in denen wir Autonomie verlieren, weil wir von etwas überwältigt werden. Denn danach sehnen wir uns. Auch die Liebe wird natürlich so wahrgenommen. Wenn wir uns in jemanden verlieben, dann werden wir von einem anderen so überwältigt, dass wir sagen, da konnte ich gar nicht mehr anders. Da verwandelt sich alles, unsere ganze Art des in-der-Welt-Seins. Solche Erfahrungen machen wir aber auch in anderen Kontexten, wenn wir von einer Idee berührt werden, dass wir sagen „und dann habe ich dieses Buch gelesen und dann musste ich etwas anderes machen“ oder „ich war in dieser Landschaft und als ich zurückkam war ich ein anderer“.
Alles das sind Momente – oder „ich habe mich von einer Melodie berühren lassen –, in denen wir Autonomie verlieren. Deshalb steht bei mir im Mittelpunkt meiner Überlegungen die Idee von Resonanz. Und das ist nicht ein emotionaler Zustand der Seelenruhe, sondern das ist eine Form der Beziehung, des in-Beziehung-Tretens zu einem Anderen. Ich denke, dass es heute mindestens so sehr, wie an der Fähigkeit zu Autonomie, daran fehlt, dass wir nicht mehr in der Lage sind, da draußen etwas zu hören, uns wirklich berühren und bewegen zu lassen. Und ich glaube Autonomie, das freie Schwingen des Subjekts, ist ein wesentlicher Bestandteil von Resonanz. Genauso wichtig ist aber die Fähigkeit, offen genug zu sein für etwas Anderes und auch in einer Welt sich bewegen zu können, in der es erkennbare und andere Stimmen gibt. Solange wir immer nur auf Autonomie und Seelenruhe setzen, fehlt uns womöglich diese andere Seite.
Sie haben es schon einmal angedeutet, ich wiederhole die Frage doch noch einmal: Sie sprechen immer wieder vom Begriff „Weltenbeziehungen“ und gründen darauf eine ganze, Ihre Soziologie. Ist dies Heideggers „In der Welt sein“?
Es gibt in der Tat eine gewisse Nähe in der Fragestellung, ja es gibt eine phänomenologisch gemeinsame Basis. Wie erfahren wir uns als in die Welt gestellte Subjekte. Und die Frage der Weltbeziehung, des in-der-Welt-seins, ist eine Frage, die tatsächlich Heidegger auch motiviert hat. Mein eigenes Denken ist nicht sonderlich stark von Heidegger beeinflusst, mein Ausgangspunkt sind eher Leute wie Merleau-Ponty beispielsweise und natürlich auch Charles Taylor, der eine Rolle spielt. Also es gibt eine gewissen Gemeinsamkeit in der Fragestellung und in der phänomenologischen Herangehensweise, es ist aber nicht eine Heidegger’sche Philosophie, die dabei herauskommt.
In Ihrem Buch „Resonanz“ ziehen Sie einen Bogen auch zur Pädagogik, zur Erziehung. Welche Rolle kommt dem Begriff in diesem Kontext zu?
Ich glaube, dass Bildung tatsächlich ein zentraler Vorgang für den Prozess der Weltbeziehung oder für das Ausbilden einer Weltbeziehung ist. Bildung ist eigentlich Weltbeziehungs-Bildung. Bildung stiftet, wenn sie gelingt, vibrierende Beziehungen zwischen dem Subjekt und bestimmten Weltausschnitten. Politische Bildung bedeutet, dass ich ein Subjekt werde, das sich zur Welt der Politik in Beziehung setzen kann, das eine eigene Stimme entwickelt, eine Position und Überzeugung, die sich aber immer wieder in Beziehung setzt zu anderen Stimmen, zu anderen Menschen, sich von diesen berühren und bewegen lässt, über alle Felder hinweg. Das gilt auch für die Naturwissenschaften oder für die Geschichtserfahrungen zum Beispiel. Bildung bedeutet das in Beziehung-Setzen zu einem bestimmten Weltausschnitt, der dadurch sprechend gemacht oder zum Klingen gebracht wird. Und wenn Bildung misslingt, dann scheinen uns alle Sinn-Provinzen des Lebens irgendwie tot und gleichgültig nebeneinander zu stehen. „Literatur sagt mir irgendwie gar nichts“ und „Ach, Politik geht mir am Allerwertesten vorbei“ – , das sind lauter solche Alltagssprüche, die wir immer wieder hören. Wo Bildung misslingt ist das Ergebnis, dass uns der entsprechende Weltausschnitt stumm gegenübersteht.
Soziale Netzwerke schüren Neid, Missgunst und Selbstgefälligkeit, es weht der Hauch des Banalen und die Suche nach Sinn und Anerkennung bleibt oft auf der Strecke und wird enttäuscht. Welche Realität spielt das Internet bei der Selbstbestimmung des Menschen?
Wenn man wissen will, welche Rolle Technik in unserem Leben spielt, kann man nie nur von der Technik allein ausgehen, sondern von der Frage, wie wir sie benutzen. Deshalb glaube ich, dass das Internet verschiedene Möglichkeiten hat, die in ihrer Wirkung durchaus ambivalent sind. Ich glaube, dass das Internet zu einer zentralen Achse unserer Weltbeziehung geworden ist, wir arbeiten mithilfe des Netzes, wir informieren uns mithilfe des Netzes, wir kommunizieren über das Netz. Es ist eine zentrale Quelle von Selbstbestimmung und Selbstbesinnung, aber eben auch von Weltbeziehung geworden. Selbstbeziehung und Weltbeziehung lassen sich nicht voneinander trennen. In der Art und Weise, wie wir das Internet bewirtschaften oder bewohnen, kommt sehr deutlich zum Ausdruck, dass wir es auf resonante Weltbeziehungen hin anlegen. Wir möchten uns da sichtbar machen, hörbar machen, wahrnehmbar machen, eigenen Stimme gewinnen und wir möchten von Anderen erreicht und berührt werden – und wir möchten gesehen werden. Aber man sieht auch, dass es ganz häufig eben nicht zur Resonanz kommt, eher zu dem, was ich eine Echo-Beziehung nenne. Das heißt, es fehlt ein wesentlicher Teil von Resonanz. Resonanz bedeutet, dass mich etwas so berührt, dass ich mich dabei verwandle und auch verändere. Darüber hinaus habe ich die Fähigkeit, andere so zu berühren und zu bewegen, so dass sie sich dabei verändern und sich zwischen und so etwas wie ein vibrierender Resonanzdraht entsteht.
Im Gegensatz dazu ist es häufig so, dass wir im Internet unsere Posts hinterlassen, dann aber eigentlich nur auf quantitative Zustimmung, auf möglichst viele Likes oder Follower, angelegt sind und uns dabei weder berühren lassen noch es selber schaffen, andere zu berühren. Wir tauschen Kommunikationen aus und versuchen Sichtbarkeit zu schaffen, ohne wirklich in diesen Verwandlungsprozess in irgendeiner Form hineinzutreten. Und natürlich ist die große Gefahr dabei, dass wir uns dabei in Echo-Räumen verfangen, bei denen wir eben nicht mehr einen Anderen oder eine andere Stimme hören, sondern nur uns selbst verstärken. Das Internet birgt gewiss auch eine große Gefahr, dass sie Echo-Sphären statt Resonanzfelder erzeugt.
„Wir steuern auf einen kollektiven Burn-out zu“ haben Sie jüngst betont. Wie weit sind wir vom Netz abhängig, dieses suggeriert Heil und verspricht Resonanz, also Weltbeziehung. Wie kommen wir aus dem Dilemma von Anerkennung und Resonanzverweigerung wieder raus? Dass wir Anerkennung suchen und letztendlich doch nicht kriegen – bleibt das unser lebensweltliches Dilemma?
Ja, wahrscheinlich gibt es keine einfachen Auswege. Selbstbeobachtung kann da durchaus helfen. Die allermeisten Menschen die Netzbewohner sind, stellen an sich zwei ambivalente Verhaltensweisen fest. Erstens: es macht irgendwie Spaß sich darin zu bewegen, es ist mir auch wichtig, ich will das aus freien Stücken rein, und trotzdem bleibt ein Moment des Unbefriedigt-Seins zurück. So bin ich auf den Entfremdungsbegriff geradezu gekommen, als ich feststellte: Ich kann ewig surfen oder mich von Seite zu Seite klicken – irgendwie scheint es mir doch defizitär zu sein. Deshalb habe ich Entfremdung definiert als eine Situation, in der ich aus freien Stücken, also aus eigenem Antrieb etwas tue, das ich nicht wirklich tun will. Und das große philosophische Problem besteht in dem „wirklich“ – was will ich denn wirklich tun? Dass kann uns leider kein Philosoph sagen, denn dass wäre irgendwie paternalistisch, irgendwie von außen autoritär bestimmt. Aber wir alle kennen manchmal auch Handlungs- und Begegnungsweisen, wo wir sagen würden, das ist es, wie es wirklich sein soll. Und ich glaube, wenn wir solche Erfahrungen des „Wirklichen“ genauer analysieren, dann haben Sie diese Struktur der Resonanzbeziehung, des Berührt-Werdens und auch des andere Berührens. Und das Dilemma, in dem wir uns verfangen haben, hängt vielleicht tatsächlich mit der Anerkennungsnotwendigkeit zusammen, wir müssen wertgeschätzt und berührt werden, wir müssen wertgeschätzt und vielleicht sogar geliebt werden, aber wir haben auch dort eine gewisse Akkumulationstendenz und auch eine gewisse Beherrschungstendenz.
Ich glaube es gibt zwei Arten von Selbstwirksamkeitserfahrung und die verwechseln wir miteinander. Resonanz bedeutet einerseits berührt zu werden, andererseits sich als wirksam zu erfahren, dass ich Andere auch erreichen kann. Selbstwirksamkeit kann dabei einerseits die Form haben, dass ich mich durchsetze und meine Leistung steigere, andererseits, wenn es Resonanz ist, ist es nicht ein Durchsetzen, sondern es ist ein in Verbindung setzten, denn da begegnet mir ein Anderes auf das ich reagiere. Wenn wir es schaffen könnten, auch kollektiv, auch in der Netzkultur, überzugehen von dem „sich durchsetzen“ hin zu „Ich erreiche jemanden als mein mir antwortendes Gegenüber“, dann hätten wir vermutlich Einiges erreicht. Aber dass uns das so schwerfällt und dass wir das Netz derzeit anders bewohnen, hängt mit der Gesamtverfassung unserer Gesellschaft zusammen, die auf einem Kampfmodus gestellt ist, auf einem Wettbewerbsmodus geeicht ist, der einen permanent zwingt, sich selbst zu optimieren und seine Reichweite zu vergrößern und seine Ressourcen zu akkumulieren. Solange das der Grundmodus unseres Seins, unseres Denkens und Handelns ist, wird es uns schwerfallen, eine andere Netzkultur zu realisieren.
Internet: Segen oder Fluch?
Die naheliegende Antwort, die fast jeder, der bei Sinnen ist, geben würde, ist: beides.
Unter den gegebenen Verhältnissen, die wir realisiert haben, ist es eher ein Fluch.
Die Resonanzbeziehung und die „libidinösen Weltbeziehung“, ist das das gleiche oder gibt es eine Differenzierung in der Begrifflichkeit?
Ich unterscheide mindestens drei versale Formen von Weltbeziehung. Das Eine sind resonante Weltbeziehungen, die ich als Entgegenkommen der antwortenden Weltbeziehungen verstehe, das Zweite wären Indifferenz-Beziehungen, wo mir die Welt einfach schweigend und gleichgültig entgegenliegt, und das Dritte sogar repulsive Weltbeziehungen, wo ich die Welt als feindlich oder bedrohlich erfahre. Und „libido“ ist ein Element von Resonanzbeziehung, dass ich nämlich ein wirkliches Interesse an der anderen Seite habe, dass ich eine Art von positiver emotionaler Bezugnahme zu einer Seite herstelle, deshalb würde ich sagen „libido“, „libidinöse Weltbeziehung“ ist ein Moment von Resonanzerfahrung. Dazu gehört aber auch die Selbstwirksamkeitserfahrung, also dass ich die Fähigkeit und auch die Überzeugung habe, die andere Seite zu erreichen zu können, plus das transformative Geschehen, dass ich mich dabei verwandle. Und dass ist in dem Begriff der „libidinösen Weltbeziehung“ alleine noch nicht angelegt.
Es wird immer wieder darüber diskutiert, Soziale Netzwerke unter das Kuratel zu stellen, weil diese zum einen falsche Informationen liefern, infame Hetze betreiben und dem Rechtspopulismus als religiöse Alternative zum Rechtsstaat verklären. Wo bleibt da die Freiheit der User? Ist unsere Freiheit am Ende? Sind Sie dafür, dass der Staat in die Freiheitsrechte des Netzes eingreift?
Nein dieser Meinung bin ich tatsächlich nicht. Ich glaube, wir befinden uns da in einem kulturellen Lern- und Experimentierprozess, bei dem noch keiner die perfekten Lösungen hat. Jeder, der sich jetzt hinstellt und sagt „Ich weiß was ich tun muss“, der macht sich aus meiner Sicht verdächtig. Aber ich bin skeptisch dagegen, dass man mit Zensur und Verbot und Bestrafung besonders weit kommt. Ich glaube, wir müssen tatsächlich alle kollektiv an der Kultur arbeiten, an der Netzkultur und ich hoffe, dass es ein kultureller Lernprozess ist, bei dem wir insbesondere lernen, den Echobeziehungen zu entgehen. Das Hauptproblem scheint mir zu sein, dass das Netz das Gegenteil von dem tut, was es eigentlich könnte, ich beschreibe ja Resonanzbeziehungen als Antwortbeziehungen – Hören und Antworten, das wäre das Zentrale. Stattdessen scheint es aber gerade diese Haltung zu untergraben. Wir wollen das Andere gar nicht hören, sondern gießen kübelweise Hass auf den politischen oder auf den kulturellen oder weltanschaulichen Gegner aus. Das ist eine extrem unglückliche Entwicklung, dass man das Andere gerade nicht hören will, sondern dass man es anschreit. Der Wutschrei, der Empörungsschrei oder das höhnische Gelächter dominieren und untergraben diese Haltung von Hören und Antworten. Dem Anderen in einer sinnvollen Weise antworten, ist etwas Anderes, als ihn mit Hatemails zu überziehen. Aber diese Umstellung in der Kultur erreichen wir nicht durch Repulsion, durch Verbieten und Bestrafen, sondern durch geduldiges Üben und Überreden und auch durch das Einführen einer anderen Art von Kultur. Wir brauchen daher Foren, bei der nicht Hass, sondern der Resonanzmodus dominiert. Ich bin kein großer Fan von Verbieten und Bestrafen.
Sie haben mal betont, dass der Mensch in seiner Lebenszeit sein eigenes Sinnpotential nicht mehr einlösen kann, weil er sich permanent in die technische Welt verstrickt und von dieser determiniert wird. Sterben wir alle unglücklich?
Darüber hinaus hatten Sie einmal betont, dass der Mensch immer gehetzt ist, dass er sich gar nicht mehr sich selbst findet, bzw. so getrieben wird, dass er eigentlich das, was er erleben kann, nur noch nach Außen hin verschiebt. Ist das nicht eine Form von Unglücklichsein?
Max Weber schreibt in seinem Buch „Wissenschaft als Beruf“, dass wir nicht mehr als und lebensgesättigt sterben, sondern immer unvollendet, eigentlich in der Mitte eines Rennens, das wir nicht mehr zu Ende führen können. Das stimmt. Menschen verschieben ihre Hoffnungen immer auf ein nie eingelöstes Jenseits. Wir leben immer von der Hoffnung einer in die Zukunft verschobenen Erfüllung. Das ist etwas anders, als die Figur, das Leben in seiner Gänze ausgekostet zu haben. Durch die verschiedenen Stadien des Lebens gelaufen zu sein, wie Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Bei Weber heißt es: „Der alte und lebensgesättigte Bauer§, der dann auch das Gefühl hat, dass es vielleicht an der Zeit für ihn ist zu sterben. Ich möchte aber grundsätzlich diese Frage ein bisschen von der Sinnfrage lösen. Das Hauptproblem ist nicht, ob wir eine gute und überzeugende Weltdeutung haben oder nicht, sondern die Frage, ob wir glücklich oder unglücklich gelebt haben. Aber diese hängt von der Qualität der Beziehungen ab, die wir zu Menschen und Dingen und zu uns selbst hergestellt haben. Das ist die Botschaft, die ich mit dem Resonanzbuch verbinden wollte und da will ich nicht sagen, wir sterben alle unglücklich, weil wir keine Resonanzbeziehung mehr aufrechterhalten. Es gelingt uns immer noch und immer wieder und auch gegen widrige Umstände, aber es gibt definitiv Verbesserungsbedarf.
Wie können wir wieder glücklich werden? Wenn wir alle auf eine einsame Insel ziehen? Ist das eine Alternative?
Wir haben unser Leben systematisch auf die Vergrößerung von Weltreichweite angelegt. Wir wollen möglichst viel Welt erreichbar haben, mit schnellen Verkehrsmitteln, mit Technologien wie dem Internet. Die Idee ist immer, viel Welt erreichbar zu haben. Und dann träumen wir davon, unsere Weltreichweite systematisch zu verengen, auf die einsame Insel zu fahren, kein Internet, kein Flugzeug, ganz wenige Dinge. Und manche machen das im Kloster. „Ich geh ins Kloster“, oder „Ich geh wenigstens für vier Wochen ins Kloster“ – wo wir systematisch Weltreichweite einschränken, wo wir all das nicht haben, was wir bisher als Luxus erfahren. Gehen wir in diese verengten Welten, werden wir früher oder später wieder davon träumen, mehr Welt in Reichweite zu haben.
Wir brauchen genügend Weltreichweite, um immer wieder Welt zum Sprechen bringen zu können, dass sie uns nicht als stumpf, gleichförmig, gleichgültig gegenübersteht. Aber die Weltbeziehung muss eng genug sein, dass wir zu einzelnen Dingen eine wirkliche, lebendige und dauerhafte Beziehung herstellen können. Was wir also brauchen, sind Balancebeziehungen. Aber wir sind im Moment aus der Balance geraten, durch eine Explosion an Verpflichtungen, durch die Explosion unserer To-Do-Listen, die mit der Explosion unserer Weltreichweite einhergeht, da könnte tatsächlich eine gewisse Reduktion der Weg sein, aber ich finde die Reduktion, also die Einschränkung von Weltreichweite darf nicht das Ziel sein, auf das wir uns zubewegen. Uns muss eine andere Beziehungsqualität als Vorbild vorschweben. Einfach nur zu sagen, ich geh auf die einsame Insel oder in den einsamen Bauernhof, das haben Menschen über mehrere Generationen hinweg immer wieder versucht, es hat nicht geklappt.
Fragen: Stefan Groß
Prof. Dr. Hartmut Rosa lehrt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er steht dem Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt als Direktor vor und gibt die Fachzeitschrift Time & Society mit heraus. Rosa zählt zu den bedeutendsten Soziologen und Politikwissenschaftlern der Bundesrepublik. Zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen der letzten Jahre zählen seine Bücher: „Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“ „Beschleunigung und Entfremdung – Entwurf einer kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit“ und „Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung“. 2016 erhielt er den Tractatus-Preis.
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