Durchgeschüttelt, durchgerüttelt, gebadet und gesalbt verlässt man diesen Opernabend. Er ist dreiteilig: Giacomo Puccinis „Il trittico“, vor haarscharf 99 Jahren in New York uraufgeführt, und in München nach kaum glaubhafter Vakanz endlich in der Originalsprache wieder herausgebracht. Von einer theater-streitbaren, pädagogisch denkenden und klugen Holländerin (Lotte de Beer) am Regie- und dem gottlob noch amtierenden, nein: klangzauberisch tätigen Staatsopern-Generalmusikdirektor am Dirigenten-Pult: Kirill Petrenko, der aus Russland kommt. Zwischenrein setzt sich der Österreicher Bernhard Hammer, der Hand in Hand mit der Kostümbildnerin Jorine van Beek für eine grandiose und spannungsvolle Optik sorgte.
Jedes der drei hintereinander weg gespielten Einakter – mit nur einer Pause nach den beiden ersten, den tragischen Stücken „Il tabarro“ und „Suor Angelica“, denen das Satyrspiel „Gianni Schicchi“ einen ordentlichen Klecks groteske Lebensweisheit draufklatscht – bedient sich einer mächtig nach hinten sich verjüngenden trichter/tunnel-förmigen Röhre. Sie verbindet die drei im Genre völlig diversen Szenarien und ermöglicht es, sie als Einheit zu sehen. So wie Lotte de Beer nicht müde wurde, schon vorher, in Interviews und bei der schönen Premieren-Matinee mit Intendant Nikolaus Bachler, gerade darauf hinzuweisen: Zu drei verschiedenen „Spiel“-Zeiten – 1914, 1740 und 1200 – geht es, jeweils in annähernd perfekten zeittypischen Kostümen, um das Thema „menschliche Imperfektion“. Involviert ist zwangsläufig der Tod: In „Il tabarro“ der Mord am nicht geduldeten Liebhaber der Ehefrau, in „Suor Angelica“ der Suizid der ins Kloster gesteckten, weil schändlich Mutter gewordenen Adeligen, und in „Gianni Schicchi“ wird ein bereits erblichener reicher Florentiner, der sein Erbe zum Entsetzen der Verwandtschaft an die Mönche vermachte, von einem ausgefuchst gierigen Nachbarn überlistet.
Den depressiven Komponisten, dem Petrenko schon früh erlegen war, wie er bekannte, hatte der Kontrast interessiert. Petrenko badete sich in diesem Bewusstsein und damit in Puccinis Emotionen, nützte versiert und stets unter Strom deren ganze Bandbreite durch alle drei Stücke hindurch voll aus und brachte die schon auf Stravinsky zusteuernde, nur noch leicht veristische Musik so stark zum Leuchten, Flirren und Knistern, dass sein Dirigat zum Knaller des Abends wurde, wenn man auch noch so gebannt auf jedes der vielen herrlichen Details im Geschehen blickte, das unter der Regie Lotte de Beers wundersam, weil endlich total personenführend und psychologisch durchdacht glückte.
Freilich stehen an der Bayerischen Staatsoper mit einem Orchester von Puccinis Gnaden Solistinnen und Solisten – ebenso wie eingefuchste Ensembles – zur Verfügung, die „Il trittico“ zu einem triumphalen Dauerbrenner der Sonderklasse werden lassen: Emanuela Jaho als lautstark bejubelte Nonne in Weiß, zerbrechlich und fest zugleich, mit ungemein brennender stimmlicher und darstellerischer Aura; das um seine erotische Potenz grandios ringende „Mantel“-Paar Eva-Maria Westbroek/Wolfgang Koch; der Erzkomödiant Ambrogio Maestri und dessen schier unermessliche Kraftreserven; Michaela Schuster in ihrer kecken Wandlungsfähigkeit von der stocksteifen Fürstin zur verschlagenen Zita; dazu kamen so blendend aufgelegte „alte“ Hasen wie Pavol Breslik und Kevin Conners und so wendig auftretende „junge“ Talente wie der heldische Yonghoon Lee (Luigi) und Rosa Feola, die als süße Lauretta den Ohrwurm „O mio babbino caro“ trällerte.
Foto: Hans Gärtner
GMD Kirill Petrenko brachte die musikalischen Kontraste in Puccinis „Il trittico“ voll zur Geltung.
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