Der ifo-Präsident Clemens Fuest hat sich drei Wochen vor der Europawahl gegen falsche Antworten der Politik auf den Populismus gewandt. In seiner Rede anlässlich der Verleihung des Schleyer-Preises in Stuttgart sprach er sich gegen die Vision von „einem Europa, das beschützt“ aus, die der französische Präsidenten Emmanuel Macron jüngst skizziert hatte.
„Das ist sicherlich gut gemeint“, sagte Fuest in seiner Rede. „Aber
das Bild, das hier vermittelt wird, ist nicht das richtige. Es ist das
Bild eines defensiven Europas. Es ist ein Europa, das sich fürchtet.
Eine Festung Europa. Dort herrschen nicht Freiheit, Märkte und
Wettbewerb – stattdessen wird hart reguliert, der Mangel wird
verwaltet.“ Dem stellte Fuest ein „Europa der Chancen“ gegenüber. Er
kritisierte, die französische und die deutsche Regierung wollten den
Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt schwächen, um Großkonzerne,
angebliche europäische Champions aufzubauen. „Tatsächlich würden diese
privilegierten Unternehmen nur faul und ineffizient, die Ungleichheit in
Europa würde zunehmen, das Wachstum nachlassen“, sagte Fuest.
Auch nationale Mindestlöhne in allen EU-Staaten verpflichtend
vorzuschreiben, sei der falsche Weg. „Die EU kann zwar Mindestlöhne
verordnen, aber nicht gewährleisten, dass es auch Arbeitsplätze zu
diesen Löhnen gibt. Das ist nur durch entsprechende Produktivität
sichergestellt.“
Fuest forderte, die Politik solle stattdessen Bedingungen dafür schaffen, dass die Menschen in Europa ihre Herausforderungen bewältigten. „Die meisten können das, und zwar aus eigener Kraft. Wir brauchen ein Europa der Chancen. Diese Chancen zu nutzen, dafür ist dann jeder selbst verantwortlich. Deshalb sage ich: Die Antwort auf den Populismus ist nicht der Wohlfahrtsstaat, der alles regelt, die richtige Antwort ist eine freiheitliche Wirtschaftspolitik.“
Das bedeute Wettbewerb, offene Märkte, Privateigentum, flexible
Preise und Löhne, Eigenverantwortung. „Märkte und Wettbewerb benötigen
Rahmenbedingungen, unter anderem eine Wettbewerbspolitik, die Kartelle
verbietet und eine Bankenregulierung, die verhindert, dass Gewinne
privatisiert und Verluste sozialisiert werden, wie es in der Finanzkrise
passiert ist“, sagte Fuest. Zum Europa der Chancen gehöre auch ein
effektiver Umwelt- und Klimaschutz. „Wir brauchen ein Europa, das offen
ist nach außen und dynamisch und vielfältig nach innen. Allerdings muss
es seine Interessen in der Welt wirksam vertreten, wo die
Mitgliedstaaten das alleine nicht können: etwa in der Handelspolitik,
der Migrationspolitik, der Verteidigungspolitik. Europa muss auch nach
innen gezielt gemeinsam handeln: bei der Reform der Eurozone, beim
Ausbau europäischer Infrastruktur und bei der inneren Sicherheit“, sagte
Fuest.
„Ein starker Sozialstaat sollte befähigen, statt zu
entmündigen: Er muss materielle Grundbedürfnisse sichern, den Zugang zu
Gesundheitsversorgung; soziale Kontakte, Bildung und Teilhabe
ermöglichen und Chancen bieten, aufzusteigen. Er sollte die in seinem
sozialen Netz auffangen, die Pech haben, arbeitslos oder krank werden
und sich nicht aus eigener Kraft helfen können. Ohne diese
Voraussetzungen sind Freiheitsspielräume wenig wert“, sagte Fuest.
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