Während meines Studiums der Ökonomie an der Ruhr-Universität Bochum war ich einer der wenigen Studenten, die neben Wirtschaft Politikwissenschaft als Nebenfach wählten. Bis heute habe ich es nicht bereut, da es den Horizont erweitert. Ökonomie und Politologie betrachten ähnliche Phänomene aus verschiedenen Blickwinkeln.
Dennoch war ich relativ schnell ernüchtert. Im Wintersemester 2000/01 war es dann so weit. Mein erstes Referat im Fachbereich Politik stand an. Es war die Einführungsveranstaltung politische Theorien. Von Platon über Marx bis Mancur Olson, Max Weber, Fraenkel, Claus Offe, Schmitter und Graf Kielmansegg wurden alle Klassiker des Fachbereichs in ihren wichtigsten Texten durchanalysiert.
Mir fiel bereits früh im Semester ein Kommilitone unangenehm auf, der wohl anderthalb Bücher von Karl Marx gelesen hatte und sich fortan als Experte aufzuspielen versuchte, was der damalige Kursleiter auch als etwas nervend empfunden hatte. Als ich dann Mancur Olsons Theorie partikularer Interessen vorstellte – mit besonderem Fokus auf Strategie -, versuchte der Marx-Fan, massiv Stimmung gegen Olsons Ansatz zu machen, weil ihm die Inhalte nicht gefallen hatten.
Olson galt als Wirtschaftswissenschaftler unter den Politologen, der Interessen als Triebkräfte sah, hierbei das entschlossene und organisierte Auftreten einzelner Gruppen anmerkte. Diese Nüchternheit der Analyse missfiel so manchem Erstsemester-Studenten der Politologie, weil es dem eigenen Wunschdenken, das es zu verwissenschaftlichen galt, ganz und gar nicht entsprach.
Pudding!
Während einer Vorlesung in späteren Semestern sagte der damalige Lehrstuhlinhaber für Innenpolitik, dass die Politikwissenschaft von linken Juristen in Deutschland vorangetrieben worden sei. Ferner gestand ein damals für Politikfeldanalyse zuständiger Professor zu, dass Politikwissenschaft aufgrund der diffusen Antriebe im Menschen dem Versuch gleiche, einen Pudding an die Wand zu nageln, zumal man mit mehreren Millionen oder gar Milliarden von Menschen zu tun habe.
Da hätten wir also drei Aspekte, die Politik als Wissenschaft beinahe unmöglich erscheinen lassen. Der erste ist der, dass stark ideologisch eingefärbte Menschen ein Fach wie Politikwissenschaft angehen und nach Belegen zu suchen trachten, die ihren eigenen Vorurteilen und bisweilen Ressentiments entsprechende Rechtfertigung anbieten. Dies könnte man auch 1:1 auf Ökonomiestudenten anwenden. Von diesem Fach werden ebenfalls eher Studenten angezogen, die eine Voreingenommenheit mit im Gepäck schleppen, nur eben nicht im linksbürgerlichen Spektrum, sondern im konservativ-bürgerlichen.
Mathe ist ein A****loch
Auch die Ökonomie hat mit großen Menschenmengen zu tun, die diffus agieren. Was aber Politikwissenschaft und Ökonomie unterscheidet, ist, dass Politikstudenten im Unterschied zu Jura-, BWL- und VWL-Studierenden mit Mathematik schon immer auf Kriegsfuß gestanden hatten, jedenfalls in ihrer Mehrzahl.
Zweitens also: die Voreingenommenheit gegenüber dem Kapital rührt oft von traumatischen Erfahrungen und ewigen Kränkungen, die sich auf den Schulzeugnissen 12 bis 13 Jahre niedergeschlagen hatten. Nachdem man das Abitur endlich mit einer 4 in Mathe abgelegt hatte, geht es dann auf zur Uni, wo man einen weiten Bogen um Ingenieurwissenschaft, BWL, Mathe, Jura, Chemie, Medizin und Physik macht. Diese Studiengänge, die mit Mathematik oder logischem Denken zu tun haben, garantieren relativ höhere Einkommen als Studienfächer, die rein und ausschließlich auf Worte, vulgo: Laberei, setzen.
Die eigene Lernschwäche bezüglich Zahlen und Formeln wird in der Echokammer der ebenfalls mangelhaften Matheabiturkollegen, die denselben Studiengang wählen, oft Sowi, Politikwissenschaft, Kulturwissenschaft sowie Theaterwissenschaft gewählt hatten, zur Tugend umdeklariert.
Die Zahlenjongleure werden dann zu Kapitalisten und Neo-Liberalen. Jeder, der mehr verdient als man selbst, steht fortan als Charakterschwein da. Bezahlt wird, wer mit Zahlen umgehen kann. Neoliberal und Kapitalist sind Wordings, die besonders dann aus der Tasche gezogen werden, sobald man argumentativ mit seinen Fakten auf dünnem Eis steht, bei politikwissenschaftlichen Symposien also sehr häufig.
NGOs als Zufluchtsort
Was ich ebenfalls aus dem Nebenfach Politikwissenschaft mitnahm, war die Mahnung eines Dozenten, der jetzt in Mittelhessen eine Professur innehat, man möge als Absolvent der Politologie möglichst früh einen Fuß in die Tür von NGOs setzen. Das gilt also für die Hauptfachstudenten, zu denen ich zum Glück nie gehört hatte. Überhaupt fiel mir recht früh in den Fluren der Sozialwissenschaftler auf, dass vielfach an den Türen der Unterrichtenden PD Dr. Dr. stand.
Was bedeutet dies? Privatdozenten sind prekäre Existenzen. Oft dauerte die Warteschleife, da man eben nicht die ersehnte Professur erobern konnte, so lange, dass man nach mehreren Promotionen und einer Habilitation direkt in Hartz-IV fällt, da man zu alt wird, um einen Lehrstuhl anvertraut zu bekommen. Man muss sich also von einem Vortrag bei einer NGO zu einer Lehrstuhlvertretung durchhangeln und steht finanziell schlechter da als die meisten Schichtarbeiter mit Akkord-Zuschlag. Man droht viel tiefer zu fallen als BWL- oder Jura-Habilitanden, die am freien Markt sehr gefragt sind.
Konkretes Beispiel
Seit 2010 bin ich mehrfach Einladungen einer Akademie gefolgt, die sich im Südwesten Deutschlands wissenschaftlich und im Bereich der Erwachsenenbildung mit Amerikastudien befasst. Da mich das Thema USA interessiert, bin ich von 2010 bis 2014 insgesamt fünfmal dorthin zu Veranstaltungen gefahren. Irgendwann jedoch ging mir die penetrante ideologische Grundierung auf den Wecker. Ich persönlich meine, dass es eine Schlagseite bei der Beurteilung von Phänomenen gibt, sobald man mit Sozial- oder Politikwissenschaftsinstituten zu tun bekommt.
Stets wird die demokratische Partei der USA so unsachlich positiv dargestellt, wie die republikanische verteufelt wird. So wurde ich den Eindruck nicht los, dass man – polemisch ausgedrückt – die Heiligsprechung des 44.Präsidenten der USA, Obama, betrieb und sich in keiner Weise objektiv-kritisch mit ihm beschäftigt hatte, der Grundton ist klar und eindeutig pro-demokratisch und anti-republikanisch. Ist das sachlich oder gar wissenschaftlich? Meiner Ansicht nach eher nicht. Aber es gibt da leider kaum zwei Meinungen. Politikwissenschaftliche Symposien sind zurzeit in der Regel, wenn es um die USA geht, eine recht triviale Sache von „gut“ und „böse“, sie waren es auch schon zu W.Bushs und Obamas Zeiten. Ist das noch Wissenschaft oder ist das nur mit Steuergeldern finanzierte Ideologie?
2010 äußerte sich im Rahmen der Jahrestagung des besagten Instituts eine damalige Doktorandin der FU Berlin dahingehend, dass man sich doch darauf einigen könne, dass progressiv jemand sei, der sich um andere Menschen kümmere, liberal jemand, dem andere Menschen egal seien und konservativ jemand, der jeden Fortschritt ablehne. Wohlgemerkt war dies die Jahrestagung dieses wissenschaftlich orientierten, von öffentlichen Geldern finanzierten Instituts für Amerikastudien. Zum Glück rief sie ein Wissenschaftler der Universität Kaiserslautern mit den Worten zur Ordnung, man sei hier nicht bei einem Treffen der Linkspartei, woraufhin ich laut auflachte und zustimmend auf den Tisch klopfte. Danach konnte ich allerdings Pausengespräche mit fast allen vergessen. Der Ruf zur Tagesordnung und Wissenschaftlichkeit wurde mit persönlichem Beleidigt-Sein quittiert.
Grundproblematik
Problematisch ist es bei derlei politikwissenschaftlichen Institutionen, dass sie eigentlich als Träger politischer Bildung überparteilich sein sollten, sie sollten mithin Schiedsrichterfunktion übernehmen. Ich persönlich habe aber bei fast allen Tagungen den Eindruck gehabt, dass sie, die Dozenten für Politologie, mitspielen wollen und sehr einseitig Partei ergreifen, dabei oftmals von wirtschaftlichen Aspekten null Ahnung haben, weshalb das, was sie als wissenschaftliches Urteil abgaben, oftmals sehr untauglich war. Juristisch waren sie auch eher wenig sattelfest. Kurzum: die Kompetenz in den unmittelbaren Nachbarwissenschaften war so lausig, dass jedwede Aussage fragwürdig erschien.
Dabei herrscht eine ideologisch motivierte Monokultur vor. Außerdem sind in der Regel die Leiter von derlei Bildungseinrichtung – wie bei NGOs auch sonst üblich – Wissenschaftler, die es eben nicht selbst zu einer Professur gebracht hatten, was – wie oben erwähnt – ein grundsätzliches Problem in Sozialwissenschaften ist. Sie sind ein Auffangbecken, eine Art zweite Liga der Sozialwissenschaft.
Einerseits gibt es nur wenig Nachfrage jenseits der öffentlich finanzierten Institute und NGOs nach Politikwissenschaftlern, jedenfalls nicht in dem Maß, wie es Studenten dieser Fächer gibt, andererseits treten gerade diese Gruppen aufgrund ihrer kleinen Größe und hohen individuellen Anreize, als Lobbygruppe in Erscheinung, so dass ständig neue Institute und NGOs entstehen, deren gesellschaftlicher Grenznutzen wohl kaum messbar ist. Es geht dann darum, die richtigen Leute mit der richtigen Gesinnung im Ministerium zu umschmeicheln und öffentlich auf Skandalisierung zu setzen, so dass dringend noch neue Institute entstehen müssen.
Gerade davon handelt ja Mancur Olsons Theorie, dass eben kleine gut organisierte Gruppen schneller und besser ihre Interessen durchsetzen können, als es beim diffus organisierten schwammigen Gemeinwohl der Fall ist.
So gibt es unendlich viele politikwissenschaftliche Institute, die monokulturell eine bisweilen sehr linke Weltsicht jenseits ökonomischer Fakten durchdrücken. Wording und Framing als politischer Prozess war beispielsweise 2012 in Münster Thema einer von hunderten Politikwissenschaftlern besuchten Tagung. Thema war, inwieweit man Begriffe aufladen muss, damit sie medial funktionieren. Allein darin sind Politikwissenschaftler meiner Ansicht nach wirklich herausragend.
Was ist also Politikwissenschaft? Pudding.