Zurücktreten müssen immer die Anderen
Stanislaw Tillich mag ein biederer Politiker mit wenig Charisma sein. Es besteht jedoch kein Grund, nach einer Bundestagswahl zu demissionieren, zu der er sich nicht zur Wahl gestellt hatte. Wie in einem meiner Artikel des Jahres 2016 legte ich den Unions-Parlamentariern nahe, vor der Wahl die Kanzlerin abzusägen, wenn sie ihren Job behalten wollten.
Im Nachgang hatte ich Recht: 65 Parlamentarier der Union verloren nach der Wahl ihren Sitz im Bundestag. Die AfD konnte mit über 90 Parlamentariern einfahren. Das belegt eines: wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Nun musste auch Tillich gehen. Offensichtlich suchte man eine Möglichkeit, den bisherigen Bundesinnenminister de Maizière elegant wegzuloben, damit die CSU diesen Posten zugeschustert bekommt. Dieser Plan scheint jedoch nicht so recht aufzugehen. Kretschmer macht wohl das Rennen als Nachfolger Tillichs.
Die Art und Weise, wie Tillich weggemobbt wurde, bleibt bei den sächsischen Wählern haften. Nachdem Biedenkopf und Milbradt als Westdeutsche kamen, war Tillich der erste Ostdeutsche als sächsischer Ministerpräsident. Biedenkopf attestierte seinem Nach-Nachfolger Schwäche auf allen Ebenen. Es war ein Ablenkungsmanöver, um dem Unmut der Unionswähler und Abgeordneten ein Ventil zu bieten, das nicht Merkel heißt.
Unhaltbar
Was ich mit mangelnder charakterlicher Eignung der Kanzlerin für ihr Amt meine, bedeutet nicht, dass Moral von Belang wäre. Moral ist ein anderes System als Politik. Da bin ich ganz bei Luhmann und meine es nicht zynisch. Merkel ist schlicht zu unzuverlässig und lässt nicht nur eigene Parlamentarier und Minister über die Klinge springen, wenn es nötig ist, sondern verschleißt sie auch gern ihre Koalitionspartner.
Als FDP-Mitglied ist mir meine Partei zu schade dafür, als Verschleißmaterial für Merkels Ehrgeiz zur historisch längsten Kanzlerschaft zu dienen. Es geht – wie das Sprichwort sagt – nicht darum, Leben voll an Jahren zu haben, sondern Jahre voll an Leben.
Adenauer und Kohl waren in ihren letzten Jahren auch nur Schatten ihrer selbst, und die waren aus anderem Holz als die Frau aus der Uckermark.
Nach dem Brexit hat Frankreich mit Macron für mindestens fünf, wahrscheinlich aber zehn Jahre, einen frischen Paradigmatiker an der Spitze des Landes stehen. Die Briten waren in puncto Stabilität immer an Deutschlands Seite. Mit ihrem Ausscheiden muss ein Kanzler, der dann nicht mehr Merkel heißt, Macrons Idee einer Haftung für alle eisenhart ausverhandeln, ansonsten wird es sehr teuer für Deutschland.
Die Kanzlerin ist hierzu nicht mehr in der Lage; selbst in ihrer Partei wird sie nur noch als Klotz gesehen. 2021 wird sie nicht mehr antreten.
Der Kompromiss
Der Kompromiss könnte so aussehen: nicht nur Merkel geht, sondern auch Seehofer. Damit könnten die Grünen dann auch leben und erst recht die CSU, die ja nächstes Jahr Wahlen vor sich hat.
Wie die Kanzlerin noch am Wahlabend in der Elefantenrunde anmerkte, kann man nicht ohne die Union eine Koalition bilden.
Ohne sie allerdings schon und auch ohne Seehofer. Seehofer wird bald 70. Nächstes Jahr werden in Bayern Landtagswahlen sein. Die mickrigen 38% waren ein Vorgeschmack. Seehofer kann noch in Würden gehen, die Kanzlerin hat hingegen den Zeitpunkt verpasst, würdevoll abzutreten.
Es geht darum, ihr weitere Demütigungen zu ersparen und unserem Land eine Kanzlerin, die sich in den letzten zwei Jahren gänzlich verschlissen hatte und mit atemberaubend blödsinnigen Begründungen ihrem Handeln im Nachhinein eine innere Logik geben wollte.
Ich bin sehr optimistisch, was eine Jamaika-Koalition angeht. Wie Moses einst wird aber Merkel nicht ins gelobte Land kommen.
Wie es geht
Mir schwebt eine offene Konfrontation vonseiten der FDP vor. Der Anfang ist gemacht. Die Union hat in der Tat neben Jamaika sogar drei weitere Möglichkeiten zu regieren, wenn Merkel an ihrem Posten kleben sollte. Es geht nichts an der Union vorbei. Viel Spaß dabei.
Erstens: sie könnte ja ohne die FDP eine Minderheitenregierung mit den Grünen zu bilden versuchen. Viel Glück dabei.
Zweitens und drittens: rechnerisch könnte auch schwarz-grün-Linkspartei oder schwarz-grün-AfD passen. Beide Optionen hätten über 50% der Parlamentarier.
Das ist natürlich Unsinn, spätestens da wäre die Kanzlerin erledigt.
Sie könnte ja Neuwahlen ausrufen: auch da wäre sie erledigt. Noch einen Wahlkampf mit Merkel wird es in der Union nicht geben. Die FDP würde bei Neuwahlen weiter gestärkt, da man sieht, dass sich die AfD zerfasert, nachdem Frauke Petry die Blauen gründete und die Partei um Gauland immer radikaler wirkt.
Variante Schleswig-Holstein 2005
Die Landtagswahl 2005 hatte für Heide Simonis ein böses Ende. Als sie zur Wahl antrat, zersetzte es sie. Auch die Wahl des Bundeskanzlers ist geheim. Es sollte mich wundern, wenn aus CSU, CDU, FDP und Grünen alle Merkel wählen wollten, wenn sie noch einmal anträte. Ich würde sie nicht wählen. Geheime Wahlen beinhalten das Risiko des Scheiterns. Mehrere Wahlgänge mit gleichem Ergebnis und die Kanzlerin hat nicht nur das Amt verloren, sondern auch jedes Ansehen.
Warum das?
Merkel, von der Leyen, Tauber, Seehofer, Altmaier und Kauder sind Politiker von gestern, abgehalftert. Ein paar von ihnen könnte man vielleicht noch mitdurchschleppen. Aber wenn der Fisch vom Kopf stinkt, wäre mir meine FDP hierzu zu schade, in eine vier Jahre währende Koalition mit Fußlahmen zu gehen, die auf die Herausforderungen von morgen treffen.
Wenn es Merkel um den Machterhalt geht, tut sie hierfür alles. 2011 läutete sie die „Energiewende“ ein, die bis heute im Sande verläuft, ökologisch nichts bringt, aber die Bürger im Portemonnaie trifft. 2010 hatte sie noch ihren „Klügsten“ Röttgen zurückgepfiffen, als er diese durchsetzen wollte. 2012 flog er im hohen Bogen.
2015 kam es zur Flüchtlingskrise. Fünf lange Monate wirkte die Regierung wie paralysiert. Ein Plan existiert bis heute nicht.
Es geht nicht darum, ob ein Politiker für den Machterhalt über Leichen geht: das ist total normal. Es kommt nur darauf an, dass man sich für diese lame duck Merkel auf den letzten Metern ihrer Karriere nicht selbst verschleißen lässt. Die FDP hat zu gute Ideen, als dass man sich für den Machterhalt einer abgehalfterten Kanzlerin opfern sollte.
Quintessenz
Die FDP sollte bei der Reform des Landes zuerst bei Merkel anfangen und sie in den Ruhestand schicken. Sie ist matt, wenn man nur will. Merkel hat es in der Hand, wie würdevoll ihr Abschied noch gelingen kann, mehr nicht.
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.