Politische Turbulenzen haben Horst Seehofer (59) in sein Amt gespült, wie zuweilen das Meer eine Flaschenpost ans Land, deren Botschaft man nicht kennt. Sein Werdegang zeigt: er ist ein Mann der Partei, der also seine Karriere nicht außerhalb, sondern in und über seine Partei, die CSU machte. Mit 20 Jahren wurde er Mitglied der JU, mit 21 der CSU, seit 1980 Bundestagsabgeordneter der CSU, ab 1994 stellvertretender Parteivorsitzender, seit Oktober 2008 deren Vorsitzender, nachdem er 2007 mit dieser Ambition noch an dem Tandem Huber/Beckstein scheiterte. Seehofer hat sich als Sozialpolitiker nach oben gearbeitet, wurde Vorsitzender der Christlich Sozialen Arbeitnehmer (CSA), verkörperte für viele die „Fraktion der Herz-Jesu-Sozialisten“ in der CSU.
Er hat Regierungsarbeit gelernt als parlamentarischer Staatssekretär von 1989 bis 1992, Bundesgesundheitsminister von 1992 bis 1998 mit harten Reformen der Strukturen im Gesundheitswesen, gab 6 Monate ein Gastspiel als Landesvorsitzender des VdK Bayerns, was diesem Sozialverband über 20 000 neue Mitglieder bescherte, bevor er 2005 Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher wurde.
Seehofer war das politische Pendant zu Edmund Stoiber, der sich aufmachte, Bayern wirtschaftlich an die Spitze in Deutschland zu puschen, nach innen schmerzliche Reformen forcierte, den „Gürtel enger schnallen“ ließ, knapp die Kanzlerschaft verfehlte und schließlich seine Entourage gegen sich aufbrachte, weil er lieber in München bleiben wollte als unter Merkel Minister zu werden, nachdem mit dem Abgang von Müntefering der Plan, alle Parteivorsitzenden in das Kabinett einzubinden, gescheitert war. Seehofer gehörte nicht zur Entourage Stoibers, hielt aber zu diesem, weil er wohl erkannte, dass das Tandem Huber/Beckstein kein gleichwertiger Ersatz war. Die Entwicklung gab ihm recht. Dennoch wäre er nicht Vorsitzender der CSU und Ministerpräsident geworden, wenn die Landtagswahl nicht so verlustreich ausgegangen wäre. Da die CSU die Bodenhaftung verloren, manche Menetekel nicht wahrnahm, sondern sich auf die „gottgleiche“ Formel Bayern ist gleich CSU verließ, fiel die Niederlage deutlicher aus als selbst Seehofer geahnt hatte, den seine Partei noch 1 Jahr vorher als Vorsitzender verschmähte.
Dabei gibt es ein historisches Beispiel, nämlich Bernhard Vogel. Er war von 1976 bis 1988 ein beliebter Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz, zuvor Kultusminister. Die CDU wollte ihn loshaben, er sei zu alt, zu lange Regierungschef, blockiere die Jungen. Vogel trat zurück. Die Wahl ging für die CDU verloren, seither regiert in Rheinland-Pfalz die SPD. Vogel war dann 11 Jahre erfolgreicher Ministerpräsident von Thüringen, welche Ironie für die CDU in Rheinland-Pfalz. Mit Stoiber hätte die CSU zwar kein 63% mehr geholt, aber die Mehrheit wohl nicht verloren. Denn er demonstrierte Kraft, Entschiedenheit und personalisierte den Wirtschaftsaufschwung Bayerns. Mit dem „sozialen Gewissen“ Seehofer an seiner Seite hätte die CSU wenigstens die Mehrheit der Mandate erringen können, während das Tandem Huber/Beckstein von Monat zu Monat, in den letzten Wochen vor der Wahl sogar galoppierend politisch an Ansehen verlor. Diese hausgemachte Schwäche schwemmte die FDP und die Freien Wähler in den Landtag. SPD und Grüne verharren dagegen in ihrem 30%-Topf.
In ihrer Not rief die CSU Seehofer, einen Politiker, der Regierungserfahrung besitzt, auf die Menschen sozial beruhigend wirkt, zu keiner Seilschaft in der Landtags – CSU gehört, die sich bei der Nominierung eines neuen Ministerpräsidenten gegenseitig blockierten. Seine „späte Vaterschaft“ wurde ihm verziehen. Dieser muss nun beweisen, dass er nicht nur die Richtlinien eines Regierungschefs umsetzen kann, was er als Bundesgesundheitsminister unter Helmut Kohl bewiesen hat, sondern selbst die Vorgaben in einer Koalitionsregierung formulieren und von „seiner Regierung“ durchsetzen lassen kann. Die politischen Turbulenzen, die seine Partei erschüttert haben, treffen mit den Folgen der internationalen Finanzkrise und landesinternen Fehlentwicklungen zusammen. Seehofer muss nun zeigen, ob er die Qualität und die Schlagkraft eines Querschnittspolitikers besitzt, der ein Ministerpräsident in einer solchen Zeit sein muss. Bisher war er nur für ein Ressort zuständig, jetzt muss er alle Bereiche beachten und aufeinander abstimmen, was in einer Koalitionsregierung und mit einer vielköpfigen und –stimmigen Opposition in und außerhalb des Landtages nach fast 50-jähriger Alleinherrschaft der CSU in Bayern eine historische Herausforderung ist. Wenn er scheitert, wird die CSU weiter an Bedeutung im Freistaat und in Deutschland verlieren. Der erste Test wird 2009 die Europawahl sein. Dort muss die CSU in Bayern allein soviel Stimmen holen, dass sie bundesweit die 5 % – Hürde schafft. Ansonsten fliegt sie aus dem Europaparlament. Seehofer ist also der Wendepunkt der CSU, nach unten und nach oben.
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