Den Festspieltag 5. August 2022 erlebte man in Salzburg beglückend, in Bayreuth niederschmetternd: Massive Proteste auf dem Grünen Hügel gegen das neue „Ring“-Konzept von Valentin Schwarz, frenetischer Jubel für „Il trittico“, den Opern-Dreiakter von Giacomo Puccini, erstmals im Großen Festspielhaus. Himmel da, Hölle dort.
Stopp! Um Himmel und Hölle und das Dazwischen, Fegefeuer genannt, geht es im Salzburger Festspiel-Sommer `22 grundsätzlich, speziell im Puccini-Triptychon. Jedes Stück – „Gianni Schicchi“, „Il tabarro“, „Suor Angelica“ – steht für eine Form des Jenseits. Puccini habe, so Wilhelm Sinkovicz, einen seiner Helden „direkt aus Dantes achtem Höllenkreis auf die Opernbühne geholt“.
Die litauische Sopranistin Asmik Grigorian war die Sensation
Die Neuinszenierung besorgte einer der trefflichsten deutschen Regisseure, Christof Loy mit seinem Team Etienne Pluss, Barbara Drosihn, Fabrice Kebour und Yvonne Gebauer. Das vielschichtige Dirigat lag in den begnadeten Händen des Österreichers Franz Welser-Möst. Die Sensation, die den Abend klammerte: die litauische Sopranistin Asmik Grigorian.
Man warnte sie, die Salzburger „Salome“ von 2018, davor, alle drei Sopran-Partien des „trittico“ zu übernehmen, also 6 mal im Lauf des August jeweils einen ganzen 4-stündigen Abend permanent auf der Bühne zu sein, sich vom Hascherl Lauretta über die treulose Gattin Giorgetta zur adeligen Klosterfrau zu verwandeln – was die Künstlerin in den Wind blies: „Ich muss meine Grenzen austesten.“ Sie hatte doppeltes Glück: mit ihrem neuen Coach Loy und ihrem alten Begleiter Welser-Möst. Trug der eine sie auf musikalischen Wolken, verdichtet durch die wunderbaren Wiener Philharmoniker, eines eher kantigen als einschmeichelnden, eher bitteren als süßen Puccini, deckte der andere ihr schauspielerische Talent in dreifacher „Brechung“ auf.
Sopranistin Grigorian überzeugte
Geht es in der von Christof Loy als „Vorspiel“, nicht wie Puccini es wollte und es üblich ist, als „Nachspiel“ konzipierten wirbeligen Burleske um einen gewitzten Florentiner Testament-Fälscher, hat man es im Zwischenspiel mit einer handfesten Ehekrise im Schleppkahnarbeiter-Milieu zu tun. Tod in beiden Kurzopern. Tod aber auch im letzten Stück. Für Asmik Grigorian, die Überfliegerin, Grenzgängerin und Primadonna Assoluta, war es die größte Herausforderung, der Nonne, die wegen ihres unehelich geborenen Kindes ins Kloster abgeschoben wurde und viel zu spät von seinem Tod erfuhr, glaubwürdig Gestalt zu geben. Dies gelang der hinreißenden Sopranistin Grigorian so umwerfend, so enorm eindrücklich, so aufregend, dass man vergaß, Teil des Publikums zu sein, das eine Oper sieht, sich in Wahrheit aber mitten in einer menschlichen Tragödie befand.
Die radikale Ausstattungs-Reduktion – nur das Sterbebett und ein paar Stühle im „Gianni Schicchi“, ein möbliertes, kaltes Refektorium im Nonnenkloster – hätte man sich auch für den veristischen „tabarro“ gewünscht, wo viel zu viel Zeug aufgestellt und so das zentrale Geschehen nicht deutlich genug zu verfolgen ist. Gleichwohl: Auf den Auftritt des „Frettchens“ der Enkelejda Shkosa wollte man ungern verzicht haben. Die aufregendste Szene Grigorians: Aus dem Köfferchen, das ihr die Fürstin (herausragend: Karita Mattila) überlässt, nimmt sie ihr kurzes Schwarze, legt es an und bringt sich, Zigarette rauchend, um. Eine indirekte Absage an die Gemeinschaft, in die sie sich, als Sünderin, zu fügen hatte.
Himmlisch wurde gesungen: Unvergleichlich: Asmik Grigorian, Platz 2: Bariton Roman Burdenko (Michele in „Il tabarro“), Platz 3: Tenor Josua Guerrero (Luigi in „Il tabarro“), Platz 4: Bariton Misha Kiria (Gianni Schicchi) und aus der insgesamt famosen Schwesternschar auf Platz 5: Daryl Freedman als naschhafte Suor Dolcina.