Hi, Hitler! – oder: Sophie Scholl als Instragram-Star

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Mit einer Instagram-Soap »@ich­bin­sophie­scholl«, holte die ARD den Nationalsozialismus aus den Geschichtsbüchern für junge Influencer-Community in die Gegenwart. Über eine Million Follower verfolgten die Lebensgeschichte der jungen Sophie Scholl.  Die Nazi-Ära verkommt dabei zur beliebig ersetzbaren Chiffre des Bösen – mit einem verhängnisvollen Nebeneffekt: der Verharmlosung.  Von Helmut Ortner

Der Führer meldete sich 2015 zurück. Mitten in Berlin. Aus einer Rauchschwade war er plötzlich uns. »Er ist wieder da« , hieß der Film, der nach zuvor schon als einem Buch  die Bestseller-Listen stürmte. Die Literaturverfilmung basiert auf dem gleichnamigen Bestseller-Roman des Autors Timur Vermes., das mehr als zwei Millionen verkauft und in übersetzt in 41 Sprachen übersetzt wurde.

Im Film lässt der Regisseur seinen Hauptdarsteller in Nazi-Uniform inmitten des Berliner Kiez aus einem Kanal-Gulli in die Gegenwart steigen. Adolf Hitler (gespielt von Oliver Masucci) ist selbst mehr als überrascht, als er realisiert, dass er nun plötzlich wieder am Leben ist. Und wie hat sich die Welt verändert?! Der gerade bei einem großen Privatsender namens »MyTV« gefeuerte Journalist Fabian Sawatzki (gespielt von Fabian Busch) wittert als Erster die Chance, mit diesem seltsam-faszinierenden vermeintlichen Adolf-Hitler-Imitator, der dem echten Führer verblüffend ähnlich ist, Geld zu verdienen und seinen alten Job wiederzubekommen. Es wird ihm gelingen. Dieser Hitler begeistert alle: alte Menschen erinnern sich an eine Zeit, in der nicht alles schlecht und vieles besser war…, , junge Leute finden ihn cool, eine »irre Type«…

Der zurückgekehrte Führer tritt seinen Siegeszug an, tingelt durch Talkshows, wird bestaunt von der Presse, bejubelt vom Boulevard und zum Hit auf Youtube. Die Führung der NPD macht er derweil beim Ortsbesuch in der Parteizentrale zur Minna, weil sie so ein verlorener Haufen sei. Wenn er bloß die SS wieder hätte! Hitlers scheinbar unaufhaltsamer Aufstieg bekommt erst dann einen Knacks, als ein Video auftaucht, das zeigt, wie er einen Hund erschießt. Hetze gegen Minderheiten, Gefasel vom Wohl des deutschen Volkes – das geht. Kein Herz für Tiere – das geht nicht, vor allem nicht mit den Grünen, die sich der neue, alte Hitler gut als Koalitionspartner vorstellen kann. Schließlich ist Naturschutz nichts anderes als Heimatschutz, und wie man die Heimat schützt, das weiß niemand besser als er.

Regisseur David Wnendt spielt scheindokumentarisch mit Menschen, denen der vermeintliche Hitler in Alltagssituationen vor die Nase gestellt wird. Die Menschen jubeln ihm zu, er stellt sich vors Brandenburger Tor und lässt sich fotografieren, geht ins Gasthaus zum Stammtisch, an dem rechte Parolen die Runde machen, Asiatische Touristen finden ihn lustig, eine junge Frau sagt: „I love Hitler“, auf Sylt oder in Passau schwadronieren ältere Herren, sie hätten nichts gegen Ausländer, aber…! Die Frau von der Imbissbude schließlich fasst zusammen, was dem Film-Publikum innerhalb von zwei Stunden an Ressentiments um die Ohren gehauen wird: Es gibt keine Demokratie, Politiker sind korrupt, Ausländer kriminell, schon deren Kinder eine Plage – und seine Meinung darf man auch nicht sagen. Das werde ich ändern, verspricht der freundliche Herr Hitler. Da bittet die Frau vom Imbiss um ein Selfie… Hitler irritiert: ein Erinnerungsfoto? »Er ist wieder da« ist über weite Strecken beängstigend komisch. Welche Idioten echt sind und welche Teile der Inszenierung allein für die Dramaturgie, das ist nicht so ganz klar.

Die neue Leichtigkeit: Über Hitler lachen

Gleich fragten viele besorgt: Darf man das? Diese Frage beantwortete schon Charlie Chaplins famose Satire »Der große Diktator« 1940.  Man darf! Das gilt auch acht Jahrzehnte später noch. Im Rahmen der Kunst und Unterhaltung ist es durchaus erlaubt, sich über Adolf Hitler lustig zu machen, um den Tyrannen mit den Waffen der Satire zu bekämpfen. Doch was passiert, wenn man nicht über, sondern mit Adolf Hitler lacht?

Er ist wieder da bietet nicht den eindimensionalen Dämonen Hitler, sondern einen nicht uncharmanten Pragmatiker, der das moderne Leben schnell adaptiert und zu seinen Zwecken nutzt. Dieser „neue“ Hitler hält weitgehend an seinen menschenverachtenden Thesen fest, diese kommen aber nun als Comedy getarnt daher, ohne dabei ihre Wirkung zu verfehlen. Mit der Parodie-Figur Hitler sind die Menschen vertraut, vertrauter als mit dem echten Tyrannen, den die wenigsten noch persönlich erlebt haben. Somit begibt sich der Film auf ideologisch unwegsames Terrain, wenn er sein Publikum mit diesem – und über diesen – Adolf Hitler lachen lässt. Ein Kritiker bemerkte dazu, die toxische Komödie sei so unterhaltsam-lustig wie gleichermaßen schmerzhaft, wenn man sähe, wie viele dem Hitler 2.0 schon wieder auf den Leim gehen“. Wnendts Film hielt den Deutschen einen Spiegel vor.

Seit Jahren ist Hitler ist eine omnipräsente Figur. In Filmen, auf Theaterbühnen, als Witzfigur, als Comic. »Der Führer« ist ein Popstar, ein »Headliner« der Medien- und Unterhaltungsindustrie. In seinem Erregungs- und Entrüstungspotenzial wird er von keiner anderen historischen Schreckensgestalt übertroffen. Keine Frage: Es gibt eine neue Leichtigkeit im Umgang mit Hitler und dem Nationalsozialismus. Nicht weil der Gegenstand seinen Schrecken verloren, sondern weil sich der Schrecken vom Gegenstand gelöst hat. Ob als Film, Buch oder Parodie-Vorlage: das tatsächlich Geschehene weicht einem historischen Mythos, der keine Widersprüche kennt. Die Gestalten, die Propaganda, die Verbrechen der Nationalsozialisten, das reale Grauen schlägt um in schaudernde Faszination, mitunter in Klamauk und trübe Comedy. So wird das NS-Deutschland vernebelt und marktgängig in die Jetzt-Zeit transferiert. Die Nazi-Ära verkommt zur beliebig ersetzbaren Chiffre des Bösen – mit einem verhängnisvollen Nebeneffekt: der Verharmlosung. Und diese Verharmlosung braucht ein Gesicht: Hitler. Er ist zur popkulturellen Ikone des Bösen mutiert. »The Führer« ein globaler Popstar.

Verflachung und Relativierung der Nazi-Barbarei

In seiner mittlerweile auch in deutscher Übersetzung vorliegenden Studie mit dem Titel »Hi Hitler!«, weist der US-amerikanische Historiker Gavriel D. Rosenfeld auf eine seit Jahren anhaltende »Normalisierungswelle« hin, eine Tendenz, die die Einzigartigkeit der NS-Verbrechen negiert. Mit dem Verschwinden von Zeitzeugen werde, so Rosenfeld, das Geschehene zunehmend aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht. Begünstigt werde diese Entwicklung durch die Informationsrevolution. Der Aufstieg digitaler Technologien und vor allem des Internets erleichtert, ja erzeuge »kontrafaktisches Denken«. Die NS-Vergangenheit löse sich zunehmend von historischen Kontext. Adolf Hitler erlebt seit  Jahren eine Normalisierung.

In der westlichen Welt galt er jahrzehntelang als Inbegriff des Bösen. Nun erscheint zunehmend als skurille, groteske schräge Figur. Nirgendwo wird der Wandel sichtbarer als im Internet. Wer bei Google eine einfache Bildsuche zu Hitler startet, sieht neben dokumentarischen Archivfotos, zunehmend digitial veränderte humoristische Fotos. Hitlers als Witzfigur, als Lachnummer, der unter einer 70er-Jahfre Discokugel als »Disco Hitler« als flotten Tänzer  oder in »Bedtime Hitler« im Schlafanzug auf dem Schlitten durch den Nachthimmel fährt. Es gibt zahllose Bildmakros von Hitlers-Kopf, die mit Photoshop auf die Körper von Supermodells, Popsängern und Sport-Heroes montiert wurden und in Sprechblasen wird der einstige Führer statt »Heil« mit einem coolen »Hi« begrüßt.

Der Ausruf »Hi, Hitler« steht nicht nur wegen seiner Komik für eine neue Tendenz in der Darstellung der NS-Vergangenheit. Tatsache ist, unterschiedliche Genres wie das der Satire, der Fantasy und kontrafaktischer Geschichtserzählungen, tragen zur historischen und moralischen Verflachung bei. Sie laufen dadurch Gefahr, Inhalte zu Gunsten von Gags und Pointen zu opfern. Zwar geben die Produzenten  an, ebenfalls hehre moralische Ziele zu verfolgen und sich der historischen Aufklärung verpflichtet zu fühlen.  Es gehe darum, mit modernen visuellen Darstellungsformen, vor allem jünger Menschen anzusprechen.  Für Gavriel D. Rosenfeld aber sind die satirischen Darstellungen Hitlers im Internet Teil eines größeren Wandels, der sich aktuell in der Erinnerungskultur an die NS-Zeit vollzieht, die Normalisierung und Relativierung der Vergangenheit.  »Die Befürworter dieser Normalisierung tragen dazu bei, der NS-Vergangenheit die historische Besonderheit zu nehmen, etwa in dem sie mehr auf Ähnlichkeiten als auf Unterscheide abheben. Angestellte historische Vergleiche werden – etwa durch Universalisierung der Vergangenheit – bemüht.“

Sophie Scholl als Instagram-Star

Anschauungsmaterial für Rosenfelds These bietet die Instagram-Soap »@ich­bin­sophie­scholl«, einem multimedialen Projekt, das dem 100. Geburtstag von Sophie Scholl gewidmet war und mit der die ARD den Nationalsozialismus aus den Geschichtsbüchern für junge Follower-Community ins Hier und Jetzt holen wollte. Tag für Tag filmte hier eine Influencer-Sophie ihr Leben, teilte Propagandafilme der Nationalsozialisten und ihre Gedanken dazu, postete allerlei Fotos. Die Follower sollten „emotional, radikal subjektiv und in nachempfundener Echtzeit an den letzten zehn Monaten der 1942 hingerichteten Widerstandskämpferin teilhaben“, äußerten die MacherInnen. Das scheint gelungen: fast eine Million Menschen abonnierten den Account.

Dass beim Versuch, historisch komplexe Themen auf Instagram zu vermitteln, vieles fragmentarisch bleibt, liegt am Format selbst. Und dass man in hier einfache, schnell verstehbare Sätze braucht, fordert die Dramaturgie sozialer Netzwerke. Aber in dieser digitalen  History-Soap gab es allerlei rhetorischen und gedanklichen Unrat, beispielsweise Sätze wie „Hitler macht seit 1933 Jüdinnen und Juden das Leben in Deutschland schwer“. Nein, nicht Hitler allein hat den Jüdinnen und Juden „das Leben schwer gemacht“, es waren die braven deutschen Bürgerinnen und Bürger. Für die die alltägliche Diskriminierung, für  Verfolgung und Vernichtung,  dafür haben Hitlers Deutsche täglich selbst gesorgt.  So trägt die Instagram-Soap leichtfertig dazu bei, das sich Unwissen und  Narrative verfestigen. Die deutsche Erinnerungskultur bleibt das, was es schon immer ist: eine große gesellschaftliche Rein-Waschung: Wir haben von nichts gewusst! Auch wir waren Opfer!

Den letzten Instagram-Post gab am 18. Februar 2022, also genau 79 Jahre nach dem 18. Februar 1943, als Sophie Scholl und ihr Bruder verhaftet und vier Tage später hingerichtet wurden. Selfies vom Schafott. Die Influencer-Community war betroffen und dennoch wenig begriffen.

Im Nachkriegs-Deutschland wollten die einstigen Volksgenossen die »dunklen Jahre« von ihrem eigenen Erleben und Mit-Tun abspalten. Hitler allein sollte es gewesen sein, verantwortlich für das Verderben der Deutschen und ihre millionenfachen Verbrechen. Wenn nicht allein, dann allenfalls eine kleine verbrecherische  Nazi-Elite und ihre fanatischen Getreuen. Eine bequeme, exkulpierende Legende. So ließ sich persönliche Schuld und Scham gut entsorgen ließen. Für die heutige Generation, ausgestattet mit jugendbedingter, nicht kontaminierter NS-Gesinnung, liefert die digitale Unterhaltungs- und Zerstreuungsindustrie solides Basismaterial zur Verflachung und Relativierung der Nazi-Barbarei.  Die Instagram-Soap Sophie Scholl war ein Anfang. Es ist zu befürchten, dass weitere Formate in Planung sind.

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Über Helmut Ortner 98 Artikel
Geboren 1950 in Gendorf/Oberbayern und aufgewachsen in Frankfurt am Main. Schriftsetzerlehre, anschließend Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main, Schwerpunkt Grafik-Design. Es folgt Wehrdienstverweigerung – und Zivildienst. Danach journalistische Lehrjahre: Redakteur, Chefredakteur (u.a. Journal Frankfurt, Prinz). Ab 1998 selbständiger Printmedien-Entwickler mit Büro in Frankfurt. Konzepte und Relaunchs für mehr als 100 nationale und internationale Zeitschriften und Zeitungen, darunter Magazine wie Focus, chrismon, The European und Cicero, sowie Tages- und Wochenzeitungen, u.a. Das Parlament, Jüdische Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Allgemeine Zeitung, Wiesbadener Kurier, Darmstädter Echo, De Lloyd Antwerpen, NT Rotterdam sowie Relaunchs in London, Wien, Sofia, Warschau und Dubai. Zahlreiche Auszeichnungen (u.a. European Newspaper Award, Hall of Fame, CP Award Gold). Daneben journalistische Beiträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen, veröffentlicht in div. Tageszeitungen und Magazinen. Erste Buchveröffentlichung 1975, seither mehr als vierzig Veröffentlichungen. Übersetzungen in bislang 14 Sprachen (2018). Zahlreiche Preise und Einladungen: Stadtschreiberpreis der Stadt Kelsterbach, Lesereise Goethe-Institut Südamerika, Teilnahme an Buchmessen in Havanna, Istanbul und Buenos Aires sowie Lit.Col. Köln 2017. Zuletzt Lesereisen nach Lissabon, Turin, Tokyo. Helmut Ortner lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und in Darmstadt. Er ist passionierter Radrennfahrer, Eintracht Frankfurt-Fan und Pat Metheny-Liebhaber.