Hermann Göring hat Nietzsche nicht verstanden

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Heute, mehr als hundert Jahre nach Nietzsches Tod, wissen wir ohne Zweifel sehr viel über Nietzsches Leben und seine Arbeit. Jedoch erreichen uns ab und immer noch neue Informationen aus denen wir neue und interessante Erkenntnisse gewinnen. Nietzsche – angegriffen und gelobt, verspottet und verherrlicht, Genie und Komiker – zählt bis heute zu den umstrittensten Philosophen der jüngeren Geschichte. Als ich ein Jahrzehnt lang fast jeden Tag seine Werke las, änderte sich meine Perspektive auf sein Werk täglich, doch habe ich zurecht nie an seiner Bedeutung gezweifelt.

In Korrespondenz mit dem amerikanischen Philosophen und Schriftstellern Hans Ulrich Gumbrecht (oder nur ‚Sepp‘) haben wir uns einmal Nietzsche zugewandt und einen seiner Texte mit dem Titel „Nietzsches Zusammenbruch und der „Übermensch“ heute “ analysiert. Der Text handelt von einem möglichen gegenwärtigen Verständnis von Nietzsche, aber es hat sich gleich etwas Interessantes eingeschlichen, das ich im Gespräch betont habe, glaube ich etwas langweilig. Professor Sepp gibt im Text an, er habe von einem Kollegen zufällig ein Nietzsche-Buch geschenkt bekommen, das deutliche Gebrauchsspuren aufwies. Beim Weiterlesen fand er heraus, dass sich das Buch vorher im Besitz einer der Hauptfiguren des deutschen Faschismus befand, nämlich Hermann Göring. Sepp erzählte mir, dass er von diesem Wissen schockiert war, und er es am liebsten sofort weggeworfen hätte. Am Ende aber entschied er sich doch dafür, es lieber zu behalten. Sepp aber fiel bei seiner Lektüre auf, dass Göring Nietzsche anscheinend nicht wirklich verstanden hatte, denn er markierte ausschließlich wirkmächtige Terminologie, statt sich für die komplexe Philosophie Nietzsches zu interessieren. Sätze und Wörter wie Übermensch, Wille zur Macht usw. wurden auf fast allen Seiten, auf denen sie gedruckt sind, unterstrichen. Göring ging es ausschließlich darum, Nietzsches Philosophie als Quelle für faschistische Propaganda zu missbrauchen. Damit legt Görings Ausgabe Zeugnis über das Verhältnis von Nietzsches Werk auf die Philosophie des Nationalsozialismus. ab Nietzsche wurde ausschließlich nur als ein guter Phraseologe verstanden, aus dessen Wortschöpfungen man sich gerne bediente. Nietzsches komplexe Philosophie und seine radikalen Ideen befruchten die Geisteswelt bis heute. Er war voller Energie… Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit – hat er in seiner Autobiografie Ecce Homo gesagt. Aber das heißt nicht, dass ihn voreilig dem Faschismus zuordnen sollte. In seinen Büchern kritisierte er oft den Antisemitismus und jede Form des blinden Gehorsams war ihm suspekt. Dass sein Werk bis heute unter dem Schatten des Nationalsozialismus steht, hängt auch mit der unglücklichen Rolle seiner Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche zusammen, die als Herausgeberin des Nietzsche-Archivs antisemitischen und faschistischen Kreisen nahestand. Bei sorgfältiger Lektüre seiner Werke kann man jedoch schnell erkennen, dass ihm mit der NS-Ideologie inhaltlich wenig bis gar nichts verbindet. Wer seine Bücher ernst nimmt und sie nicht vor der geschichtlichen Schablone betrachtet, wird dies verstehen.

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Ivan Vuckovic (geb. 1987) ist Philosoph (MPhil, Serbien) und unterrichtet Philosophie an einigen weiterführenden Schulen. Etliche seiner Artikel wurden in Serbien und außerhalb Serbiens auf Englisch oder Deutsch veröffentlicht und er hielt zahlreiche Vorträge über Albert Camus, aber auch über zeitgenössische Philosophie, moderne Bildung usw. Zusammenarbeit mit Noam Chomsky (Massachusetts Institute of Technology), Sepp Gumbrecht (Stanford University), der Universität Wien sowie der Akademie der Wissenschaften und Künste in Serbien und Bosnien und Herzegowina. Mitglied des Büros (Redaktionsmitglied) der Zeitschrift „Philosophical Views“.