Union und Ampel werfen sich gegenseitig vor, für den Stimmenzuwachs der AfD verantwortlich zu sein. Tatsächlich sind die Gründe aber höchstwahrscheinlich vielfältiger: Die Union hat ihre Integrationskraft für Wähler rechts der Mitte verloren. Spätestens seit Angela Merkels Zeit als CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin hat sich das Diktum von Franz Josef Strauß, dass es rechts der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, überlebt. Immer wieder belegen unsere Umfragen, dass sich teils eine deutliche Bevölkerungsmehrheit gegen verschiedene Ampel-Projekte u. a. zum Heizen und zur Zuwanderung ausspricht.
Es spricht für das Funktionieren der parlamentarischen Demokratie in Deutschland, dass der Wähler Parteien abstraft, die aus seiner Sicht schlecht regieren, und dass neue Parteien eine Chance bekommen, wenn Repräsentationslücken entstehen. Das galt im Blick auf die Grünen, die das Thema Umwelt- und Naturschutz auf die Tagesordnung der Politik brachten. Das galt für die Linke, die davon profitierte, dass die SPD als die „soziale Stimme“ in der Parteienlandschaft Glaubwürdigkeit einbüßte. Und das gilt für die AfD, weil CDU und CSU durch Bündnisse mit SPD und den Grünen im Bund oder den Ländern viele Positionen aufgeben mussten, die ihrer Wählerschaft wichtig waren.
Dazu kommt, dass vermehrt der Eindruck entsteht, dass fast allen Parteien Stimmungen in der Bevölkerung wichtiger sind als ihre eigenen Überzeugungen. Dabei bin ich davon überzeugt, dass sich viele Wähler den fairen Wettstreit der Parteien um die besten Konzepte und Orientierung wünschen. Deshalb ist es interessant zu erfahren, wie nachhaltig die Entscheidung für eine Partei in einer aktuellen Umfrage wirklich ist und aus diesem Grund wollen wir von unseren Befragten nach der Sonntagsfrage auch immer wissen, wie sicher sie sich sind, dass ihre derzeitige Wahlentscheidung auch bis zum tatsächlichen Wahltag hält. Das Ergebnis gibt Aufschluss darüber, wie stabil das Fundament der Prozente der Sonntagsfrage ist: Unter den FDP-Wählern ist jeder Dritte (33 Prozent) und bei den SPD- (51 Prozent), Unions- (48 Prozent) sowie Grünen-Wählern (46 Prozent) etwa jeder Zweite ein sehr sicherer Wähler seiner Partei. Von den AfD-Wählern bezeichnen sich mit 55 Prozent die meisten als sehr sichere Wähler dieser Partei. Dem häufig genannten Argument, es handele sich bei AfD-Stimmen nur um Protestwähler, widerspricht auch die Erkenntnis, dass sich rund 90 Prozent der AfD-Wähler ihre Partei an der Regierung beteiligt oder als deren Führung wünschen – nicht nur als Oppositionspartei.