Adelheid Duvanel war eine erfolgreiche Schriftstellerin mit einem sehr schwierigen Leben, zahlreichen psychischen Krisen und hoher Vulnerabilität. Ihr Leben war eine permanente Gratwanderung – seit der Kindheit verbunden mit Suizidgedanken. Trotz aller Handicaps war sie bereits zu Lebzeiten eine erfolgreiche Schriftstellerin. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1996 sind mehr als zehn Bände mit Erzählungen aus ihrer Feder erschienen, davon die meisten im Darmstädter Luchterhand-Verlag. Als Anerkennung für ihre Erzählungen erhielt sie fast zehn Literaturpreise. Adelheid Duvanel war auch eine begabte Malerin und hinterließ zahlreiche Zeichnungen und Gemälde.
Im Jahr 2021 erschienen im Züricher Limmat-Verlag die Gesammelten Erzählungen in einer aufwändigen Neuausgabe mit fast 800 Seiten unter dem Titel „Fern von hier“. Die Resonanz in der Literaturkritik war überwältigend positiv. Drei Jahre später folgte im selben Verlag ein Sammelband mit Briefen aus den Jahren 1978 bis 1996 mit dem Titel „Nah bei Dir“. Ihre Briefe waren adressiert an ihren Lektor Klaus Siblewski und an ihre Freundin Maja Beutler. Die beiden neu herausgegebenen umfangreichen Bücher im Limmat-Verlag und die damit verbundenen sehr positiven Rezensionen führten zu einer eindrucksvollen Renaissance dieser außergewöhnlichen Schriftstellerin.
Ein schwieriges und qualvolles Leben zwischen Trauma und Kreativität
Adelheid Duvanel, geb. Feigenwinter, wurde am 23. April 1936 in Basel geboren. Ihr Vater Georg Feigenwinter (1904-1997) war Jurist und von 1959 bis 1969 war er Gerichtspräsident eines Strafgerichts. Die Familie war streng religiös orientiert. Ihr Vater war von 1953 bis 1977 im Vorstand der Römisch-Katholischen Landeskirche und später Landeskirchenrat. Adelheid war das Älteste von vier Kindern. Sie galt als braves, schüchternes und introvertiertes Wunderkind. Sie konnte gut malen und zeichnen sowie spannende Geschichten erzählen. In der Pubertät wurde sie unbequemer und hatte Schulprobleme. Die Eltern schickten sie deshalb für ein Jahr in ein strenges Nonnen-Internat. Dort gefiel es ihr gar nicht gut und wurde psychisch auffällig. In ihrem 17. Lebensjahr ließen ihre Eltern sie in eine Psychiatrische Klinik einweisen. Wegen der vermutlichen Fehldiagnose Schizophrenie erhielt sie Elektroschocks und Insulin-Injektionen. Eine Lehre als Textilzeichnerin musste sie aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Sie absolvierte kurze Zeit später die Kunstgewerbeschule in Basel für Malerei und Grafik. Mit 19 Jahren veröffentlichte sie in Zeitungen erste Erzählungen unter dem Pseudonym „Judith Januar“.
Im Jahr 1962 heiratete sie den Maler Joe Duvanel. Diese Ehe war für sie eine Hölle. Ihr Mann war despotisch und tyrannisch. Bereits kurz nach der Hochzeit ging er fremd und lebte offen und gegen ihren Willen zahlreiche außereheliche Beziehungen. Unverfroren brachte er seine Geliebten und später eine Zweitfrau mit in die Wohnung des Ehepaares. Adelheid war psychisch abhängig von ihrem Ehemann und konnte sich nicht gegen seine männliche Dominanz und seine sexuellen Eskapaden wehren. Im Jahr 1964 gebar sie eine gemeinsame Tochter, die in der Pubertät von ihrem eigenen Vater sexuell missbraucht wurde (Inzest). Die Tochter wurde bereits als Jugendliche drogenabhängig, erkrankte an Aids und starb später an dieser Erkrankung.
Die Ehehölle von Adelheid und Joe Duvanel dauerte 20 Jahre. Fünf Jahre nach der Scheidung suizidierte sich Joe Duvanel im Jahr 1986. Adelheid Duvanel starb 10 Jahre später ebenfalls durch Suizid in der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 1996.
Bislang gibt es keine unabhängige, fundierte und die Quellen des Nachlasses berücksichtigende Biografie über Adelheid Duvanel. Ihre Schwägerin Gunhild Feigenwinter hat kurz nach Adelheids Tod eine Art Biografie verfasst. Mit dem Titel „Scheherezadel. Eine Basler Autorin wird entdeckt. Reflexionen zu Leben und Schaffen von Adelheid Duvanel“ erschien dieses Buch unter dem Pseudonym „Gudrun S. Krayfuss“. Der Nachlass von Adelheid Duvanel liegt in vier verschiedenen schweizerischen Archiven in Basel, Bern und St. Gallen.
Suizid als Thema in den Briefen von Adelheid Duvanel
Bislang sind nur die Briefe von Adelheid Duvanel an ihren Lektor Klaus Siblewski und an ihre Schriftstellerfreundin Maja Beutler veröffentlicht. Besonders die letztere war wie eine Beichtmutter für sie. Ihr vertraute sie ihre alltäglichen Sorgen, Nöte und Ängste an und ihr vermittelte sie auch eindrucksvolle Lebensrückblicke. Im Jahr 1983 schrieb sie an Maja Beutler:
„Mit zwölf redete ich kaum mehr, mit fünfzehn wollt ich mich – nur in Gedanken – zum ersten Mal umbringen; mit sechzehn (im katholischen Internat) wollte ich – wiederum nur in Gedanken – zum zweiten Mal Selbstmord begehen, weil ich unter 200 Mädchen sehr einsam war; mit siebzehn…hatte ich den ersten Nervenzusammenbruch und kam in die Klinik, wo ich mit Insulinschocks behandelt wurde. Da wurde Insulin gespritzt: ich fiel ins Koma, weil der Blutzuckerspiegel sank, und wurde nach zwanzig Minuten vom Arzt wieder zurückgeholt. Einmal konnte man mich fast nicht mehr zurückholen…Erst mit 22 Jahren begann ich wieder zu leben.“
(Adelheid Duvanel an Maja Beutler im Jahr 1983, zitiert nach „Nah bei Dir“. Briefe, 2024)
Gisa Funck schrieb in ihrer Rezension über den Briefband, Adelheid sei eine „moderne Hiob-Frau“, die in „absolut desaströsen Lebensumständen“ immer am Abgrund lebte. Ihre Lebenstragödie sei „abgrundtief verhängnisvoll“ gewesen (Funck 2025).
Das Phänomen Suizid in den Gesammelten Erzählungen von Adelheid Duvanel
Die einzelnen Erzählbände von Adelheid Duvanel, die zu Lebzeiten zwischen 1976 und 1995 erschienen sind, waren bald vergriffen. Die Neuausgabe der Gesammelten Erzählungen im Züricher Limmat-Verlag führten zu einer Wiederentdeckung der Meistererzählerin Adelheid Duvanel. Michael Krüger betonte in seiner ausführlichen Rezension in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“:
„Keine hat so ausschließlich über Benachteiligte, Missglückte, Ausgestoßene, Versehrte, Eigenbrötler, Einsame, alleingelassene Mütter, Drogenabhängige, Unglücksraben, Kindsköpfe, Hungerkünstler und Traumwandler beiderlei Geschlechts geschrieben“ – wie Adelheid Duvanel (Krüger 2021).
Diese Aufzählung der existenziell sehr vulnerablen Menschentypen kennzeichnet auch jene, die besonders suizidgefährdet sind. Über eben diese Menschen hat Adelheid bevorzugt in ihren Erzählungen geschrieben.
In einer Erzählung schreibt sie über eine Frau namens Christa Folgendes:
„Auf Christas Tisch liegen Zahlungsbefehle; sie öffnet sie nicht. Sie liegen da, und sie hält den Atem an…Christa lebt allein und arbeitet nicht…Christa sagt: Am Samstag bin ich immer suizidal. Sie spricht das Wort so flott aus, als habe sie Öl im Mund…Ein Herr übergibt ihr jeden Monat durch ein Fenster eine mittelgroße Summe Geld: sie steckt es ein, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Der Herr liebt sie, sie ihn nicht.“
(Adelheid Duvanel, Gesammelte Erzählungen, zitiert nach Max Glauner 2021)
Psychiatrie-Aufenthalte
Adelheid Duvanel war sehr oft als Patientin in Psychiatrischen Kliniken. Der erste Aufenthalt war mit 17 Jahren. Im mittleren Lebensalter nahmen ihre psychischen Krisen durch die Ehehölle und später durch die erheblichen Probleme mit ihrer drogenabhängigen und aidskranken Tochter deutlich zu. Die Psychiatrische Klinik wurde für sie immer mehr zum Zufluchtsort und zum Refugium. Dort wurde sie versorgt und konnte „ungestört“ schreiben. Die psychiatrische Krankengeschichte ist bislang nicht publiziert worden, ist aber sicherlich sehr umfangreich. Depressionen und Suizidgefährdung waren vermutlich die häufigsten Einweisungsgründe (Richard 2021).
Mitten im Sommer erfroren! Der reale Suizid im Jahr 1996
So außergewöhnlich wie ihr ganzes Leben war auch der Suizid von Adelheid Duvanel. Sie ist mitten im Sommer erfroren. Zusätzlich hatte sie eine Überdosis von Medikamenten im Blut. Sie legte sich in den nahegelegenen Wald und starb. Die Nacht vom 7. auf den 8. Juli 1996 war für diese Jahreszeit besonders kalt. Die Erzählungen von Adelheid Duvanel werden oft mit jenen des Schweizer Dichters Robert Walser verglichen. Dieser ist ebenfalls erfroren. Eine seltene Suizidmethode. Bei Robert Walser geschah jedoch der Suizid mitten im Winter und es lag Schnee.
Literatur
Duvanel, Adelheid, Fern von hier. Sämtliche Erzählungen. Limmat, Zürich 2021
Duvanel, Adelheid, Nah bei Dir. Briefe 1978 – 1996. Limmat, Zürich 2024
Funck, Gisa, Adelheid Duvanel. „Ich könnte nur weinen und weinen.“ Die Welt vom 24. Februar 2025
Glauner, Max, Samstags bin ich suizidal. Der Freitag vom 15. Juli 2021
Krayfuss, Gudrun, S., Scheherezadel. Eine Basler Autorin wird entdeckt. Reflexionen zu Leben und Schaffen von Adelheid Duvanel. Isishaus, Basel 1998
Krüger, Michael, Adelheid Duvanel. Worte über dem Abgrund. Die Zeit vom 7. Juni 2021
Richard, Christine, Porträt einer Selbstmörderin. Adelheid Duvanel. Der helle Wahn. Tagesanzeiger vom 29. Oktober 2021
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Professor Dr. med. Herbert Csef
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