Mascha Kaléko (1907 – 1975) – eine Klassikerin der modernen Lyrik. Erinnerungen zu ihrem 50. Todestag

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Mascha Kaléko ist am 21. Januar 1975 in Zürich gestorben. Sie wurde in Galizien geboren und floh in ihrem 7. Lebensjahr mit ihrer Mutter nach Deutschland. Zwei Jahrzehnte (1918 bis 1938) lebte sie in Berlin. Dort erlebte sie ihre ersten großen Erfolge als Lyrikerin. Ihre Gedichte gehören heute noch zu den meistgelesenen in Deutschland. Auf der Liste der Top25 der deutschen Lyrik stehen 6 Gedichtbände von Mascha Kaléko. Lyrikbände von Erich Kästner und Rainer Maria Rilke gehören ebenfalls zu den aktuellen Bestsellern der deutschen Lyrik.

Vom Emigrantenkind zur Emigrantin – ein kurzes biografisches Porträt

Mascha Kaléko wurde am 7. Juni 1907 unter dem Namen Golda Malka Aufen in Chrzanow in Galizien geboren. Dieser Ort gehört heute zu Polen. Zum Zeitpunkt ihrer Geburt lag dieser Ort noch in Österreich-Ungarn. Sie war ein nichteheliches Kind und trug deshalb den Familiennamen Aufen nach ihrer österreichisch-jüdischen Mutter Rozal Chaja Reisel Aufen. Ihr leiblicher Vater war jüdischer und russischer Herkunft, von Beruf Kaufmann und trug den Namen Fischel Engel. Wegen der Angst vor politischer Verfolgung übersiedelten ihre Eltern nach Deutschland. Über die Stationen Frankfurt am Main und Marburg landeten sie schließlich im Jahr 1918 in Berlin und ließen sich im Scheunenviertel der Spandauer Vorstadt nieder – einem Stadtteil, in dem besonders viele Ostjuden lebten. Geheiratet haben ihre Eltern erst im Jahr 1922 in Berlin, als sie bereits 15 Jahre alt war.

Mascha Kaléko versuchte oft, ihre osteuropäische und jüdische Herkunft zu verbergen, weil Menschen dieser Herkunft im Berlin der Weimarer Republik nicht gerade beliebt waren. In ihrem 19. Lebensjahr lernte sie den 10 Jahre älteren Hebräischlehrer Saul Aron Kaléko kennen, den sie zwei Jahre später heiratete. Im Jahr 1936 gebar sie einen Sohn, der Evjatar Alexander Michael genannt wurde. Der leibliche Vater dieses Kindes war allerdings nicht ihr Ehemann, sondern der Musikwissenschaftler und Dirigent Chemjo Vinaver. Mit ihm hatte sie schon eine längere geheim gehaltene außereheliche Beziehung. Sie verließ bald ihren Ehemann und ließ sich scheiden. Bereits 6 Tage nach der offiziellen Scheidung heiratete sie ihren heiß geliebten Dirigenten Chemjo Vinaver. Sie behielt allerdings ihren Künstlernamen Mascha Kaléko, weil ihre ersten großen Bucherfolge diesen Namen trugen. Offiziell trug sie den Doppelnamen Kaléko-Vinaver.

Im Jahr 1938 erhielt sie wegen ihrer jüdischen Herkunft ein Publikations- und Schreibeverbot. Sie emigrierte mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn in die USA und lebte dort zwei Jahrzehnte (1938 bis 1957). Ihr letztes Domizil war in Israel, wohin sie ihrem Mann folgte. Dort lebte sie von 1960 bis 1974, wo sie jedoch nicht heimisch wurde. Traumatisch waren für sie die Verluste der beiden Menschen, die sie am meisten liebte. Im Jahr 1968 starb krankheitsbedingt ihr Sohn Evjatar im Alter von 31 Jahren. 5 Jahre später starb ihr Ehemann. Sie überlebte ihn etwas mehr als ein Jahr und starb am 21. Januar 1975 an Magenkrebs.

Mascha Kaléko hatte ein sehr bewegtes und aufregendes Leben mit vielen „Brüchen“ und „Rissen“. Sie war ein Emigrantenkind, das mit der Mutter nach Berlin floh. Dort hatte sie zwanzig erlebnisintensive und erfolgreiche Jahre im Berlin der Weimarer Republik. Das Nazi-Regime beendete abrupt diese schöne Zeit. Sie ging mit ihrer Familie ins Exil in die USA, wo sie ebenfalls zwei Jahrzehnte lebte. Sie war ein Emigrantenkind und ist schließlich selbst zu einer Emigrantin geworden.

Stammgast im „Romanischen Café“ und Mitglied der literarischen Bohème Berlins

Mascha Kaléko fand bereits mit 20 Jahren Anschluss in der Literaturszene der Berliner Bohème. Sie war regelmäßig im „Romanischen Café“, in dem sie andere bekannte Dichter traf. Bertold Brecht, Gottfried Benn, Alfred Döblin, Joachim Ringelnatz, Kurt Tucholsky und Else Lasker-Schüler waren ebenfalls Stammgäste in diesem Café. Durch ihre umfangreichen Kontakte mit anderen Schriftstellern, Künstlern, Verlegern und Lektoren fand sie bald Publikationsmöglichkeiten für ihre Gedichte. 1929 erschienen erste Gedichte aus ihrer Feder in der Zeitschrift „Querschnitt“. Es folgten Publikationen ihrer Lyrik in der „Vossischen Zeitung“, der „Welt am Montag“ und in anderen Zeitungen.

Mit 26 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband im Rowohlt-Verlag mit dem Titel „Das lyrische Stenogrammheft“. Zwei Jahre später erschien im selben Verlag der Gedichtband „Kleines Lesebuch für Große“.

Das Gedicht „Memento“ – ein lyrisches Memento mori

Eines der bedeutendsten der zahlreichen Gedichte von Mascha Kaléko befasst sich mit Tod und Sterben sowie der Verlusterfahrung der Hinterblieben. Es trägt den Titel „Memento“.

Memento

Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,

nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.

Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?…

Der weiß es wohl, dem Gleiches widerfuhr,

und die es trugen, mögen mir vergeben.

Bedenkt, den eignen Tod, den stirbt man nur,

doch mit dem Tod der andern muss man leben.

(Gedicht „Memento“ aus dem Band „Verse für Zeitgenossen“)

Dieses ausdrucksstarke Gedicht sollte jedem Menschen zu denken geben und als „Memento mori“ für den eigenen Tod wirksam werden. Das moderne Zeitalter ist geprägt durch zahlreiche Phänomene der Verdrängung des Todes. Umso wichtiger sind Gelegenheiten des Gedenkens an den eigenen unwiderrufbaren Tod. Mascha Kaléko hat selbst Emigration, Vertreibung, Flucht und Todesbedrohung seit der Kindheit erlebt. In ihrem höheren Lebensalter entriss ihr der Tod die zwei Menschen, die sie am meisten liebte – ihren einzigen Sohn und ihren Ehemann. Sie blieb vereinsamt zurück und starb allein und ohne Begleitung an ihrer Krebserkrankung.

 Ist Mascha Kaléko eine „Klassiker der Moderne‘“?

Wann wird in der Literatur einem Schriftsteller die Auszeichnung zuteil, er sei ein Klassiker? Es gibt einige Merkmale, die dies nahelegen. Die durch Verkaufszahlen belegbare Tatsache, dass seine Bücher bekannt, vielgelesen und wohl bei den Lesern beliebt sind. Das Vorliegen einer Gesamtausgabe der Werke und eine oder mehrere Biografien über den Schriftsteller sind ebenso bedeutsam wie die Übersetzung der Werke in andere Sprachen.

Die Germanistin und Schriftstellerin Jutta Rosenkranz hat die umfassendste Biografie über Mascha Kaléko geschrieben und ihre Gesamtausgabe herausgegeben. Sie begründete die Auszeichnung „Klassikerin der Moderne“ in einem Interview wie folgt.

„Die vier Bände der Mascha-Kaléko-Gesamtausgabe umfassen insgesamt 4015 Seiten, d.h. jeder Band hat rund tausend Seiten. Ich glaube und hoffe, dass Mascha Kaléko sich sehr über diese Ausgabe gefreut hätte, denn diese Veröffentlichung bedeutet, dass sie nun eine Klassikerin der Moderne ist und ihr Werk auch im 21. Jahrhundert gelesen und geschätzt wird.“

(Jutta Rosenkranz im Interview mit Renate Müller De Paoli am 27. August 2013)

Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hat zum Jubiläum des 50. Todestages einen Sammelband von Gedichten und Prosa aus der Feder von Mascha Kaléko mit dem Titel „Ich tat die Augen auf und sah das Helle.“ In seinem Vorwort würdigte er die Lyrikerin wie folgt:

„Mascha Kaléko…hat die elegantesten, traurigheitersten Gedichte seit Heinrich Heine geschrieben. Was für ein Schatz an Form, Schönheit und weiser Melancholie.“

(Daniel Kehlmann im Vorwort 2025)

Literatur

Kaléko, Mascha, Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden. Herausgegeben und kommentiert von Jutta Rosenkranz. Dtv, München 2012

Kehlmann, Daniel (Hrsg.), Mascha Kaléko. Ich tat die Augen auf und sah das Helle. Gedichte und Prosa. Dtv, München, 2. Auflage 2025

Rosenkranz, Jutta, Mascha Kaléko. Biografie. Erweiterte und aktualisierte TB-Ausgabe. Dtv, München 2012

Rosenkranz, Jutta, Mascha Kaléko – eine Klassikerin der Moderne. Interview mit Renate Müller De Paoli, Convivo mundi vom 27. August 2013

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. Herbert Csef

Email: herbert.csef@gmx.de

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Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.