Friedrich Nietzsche als Philosoph der Resilienz

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Zahlreiche Philosophen haben sich Gedanken darüber gemacht, wie ein gutes, gelingendes oder glückliches Leben aussehen könnte und wie der Mensch dieses Ziel erreichen kann. Das moderne Zauberwort der Resilienz visiert dieses Ziel an. Die Resilienz als psychische Widerstandskraft soll uns Menschen helfen, Krisen, Belastungen, Schicksalsschläge oder Traumata gesund zu überstehen und vielleicht sogar daran zu wachsen und zu reifen (Berndt 2015, Kalisch 2020). Für die griechischen Stoiker wie Seneca oder Marc Aurel galt die Seelenruhe als Kennzeichen eines gelungenen Lebens. Epikur (341 bis 270 v. Chr.) begründete den griechischen Hedonismus, der für Lebensfreude, Genuss, Vergnügen und Lust steht. Epiktet (50 – 138 n.Chr.), dem einflussreichsten Vertreter der späten Stoa, verdankt die Nachwelt wichtige Einsichten zur Differenzierung von beeinflussbaren und unbeeinflussbaren Dingen. Diese Unterscheidung ist von wesentlicher Bedeutung für positive Stressbewältigung und Resilienz.

Zwei Philosophen der letzten zwei Jahrhunderte werden in der Resilienz-Literatur besonders häufig zitiert: Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) und Albert Camus (1913 -1960). Auf der philosophischen Tagung Phil Cologne im Jahr 2021 vertrat Svenja Flaßpöhler, die Chefredakteurin der Philosophie-Magazins die Auffassung, dass Nietzsche „der Resilienzdenker schlechthin“ sei. Nietzsche sei von Macht und Stärke fasziniert gewesen, dabei ein hochsensibler und verletzlicher Mensch gewesen. Nietzsche plädierte immer wieder dafür, der Mensch solle offen sein für Leid, weil der Mensch sich daran entwickeln und reifen kann. Viele Phänomene der Resilienzforschung begegnen uns in den philosophischen Werken von Friedrich Nietzsche. Zwei Sätze von ihm werden besonders häufig zitiert:

„Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“ und

„Wer ein Warum zum Leben hat, der erträgt fast jedes Wie.“

Beide Zitate tauchen in Variationen in den späten Schriften „Götzendämmerung“ und „Ecce homo“ auf. Beide Werke verfasste er kurz vor seinem psychischen Zusammenbruch und seiner „geistigen Umnachtung“. Die Götzendämmerung hat er im August und September 1888 geschrieben, „Ecce homo“ verfasst er gleich anschließend im Oktober und November desselben Jahres. Bereits zwei Monate später kam es im Januar 1889 in Turin zum Nervenzusammenbruch, der ihn in eine Psychiatrische Klinik führte. „Ecce homo“ ist erst 8 Jahre nach seinem Tod schließlich im Jahr 1908 publiziert worden.

„Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“

Der Satz „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“ taucht im Werk von Friedrich Nietzsche mehrmals auf. Zuerst in der „Götzendämmerung“ unter der Rubrik „Sprüche und Pfeile“. Vorangestellt ist der Titel „Aus der Kriegsschule des Lebens“. Das Leben ist ein unerbittlicher Kampf für Nietzsche und er fordert dazu heraus, als der Stärkere aus diesem Kampf hervorzugehen. Dazu muss der Mensch sich diesem Kampf stellen. Er darf sich nicht wegducken, ausweichen oder einfach davonlaufen. Vor die Wahl eines Entweder-Oder gestellt mit den Alternativen „Flüchten oder Standhalten“ plädiert Nietzsche eindeutig für das Standhalten. Deswegen passt dieser Satz so gut zur Resilienzforschung und deshalb findet er gerade dort so große Resonanz. Resilienz entsteht erst in der Selbstbehauptung, indem man sich den Herausforderungen stellt. Auch Leiden und Schmerzen müssen in Kauf genommen werden. Es gibt keine schmerzfreie und lustbetonte Resilienz. Sie muss immer wieder neu erkämpft werden. Selbstwirksamkeit ist einer der bedeutsamsten Resilienzfaktoren. Sie erfordert Einsatz und Commitment. „Ich kann und will es schaffen. Ich traue es mir zu, dass ich das schaffen kann. Ich traue mich. Ich wage es!“ Das ist die Devise der Selbstwirksamkeit.

In seinem Folgewerk „Ecce homo“ taucht der Satz „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“ einige Monate später wieder auf. Dann im Kontext mit dem „wohlgeratenen Menschen“. Namhafte Resilienzforscher haben den Satz von Nietzsche aufgegriffen. Der Trauma- und Resilienzforscher Stephen Joseph machte ihn sogar zu seinem Buchtitel. Dieser lautet: „Was uns nicht umbringt: Wie es Menschen gelingt, aus Schicksalsschlägen und traumatischen Erfahrungen gestärkt herovrzugehen.“ (2015). Das Buch ist zu einem Bestseller geworden und gilt als einer der Klassiker zum Posttraumatischen Wachstum. Auch die Resilienz-Autorin Michaela Haas griff den Satz von Nietzsche auf. „Stark wie ein Phönix. Wie wir unsere Resilienzkräfte entwickeln und in Krisen über uns hinauswachsen.“ lautet ihr Buchtitel (2015).

„Wer ein Warum zu leben hat, der erträgt fast jedes Wie.“

Friedrich Nietzsche war ein Philosoph der Sinnsuche. Der Philosoph Reinhard Löw, der bereits seine Habilitationsschrift über Nietzsche geschrieben hat (Löw 1984) hat in einem Sammelband die vielen Dimensionen seiner Sinnsuche herausgearbeitet (Löw 1998). Der Psychotherapeut und Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse Viktor Frankl hat diese Worte wie einen roten Faden durch sein Werk gezogen und immer wieder darauf Bezug genommen. Sinnfindung ist das zentrale Thema der Logotherapie und Existenzanalyse und sie gilt auch gemeinsam mit Spiritualität und Achtsamkeit als Resilienzfaktor. Die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann hielt das Nietzsche-Zitat für sehr bedeutend und bezog sich mehrmals darauf in autobiografischen Schriften und in ihren Werken. In Büchern über Resilienz tauchen sehr oft das Nietzsche-Zitat und Frankls Assoziationen dazu auf.

Die Warum-Frage im Kontext mit der Sinn-Suche ist ein zentrales Thema bei Traumata und Schicksalsschlägen. Diese gehen zurück bis zur biblischen Frage Hiobs „Warum gerade ich?“  Diese Frage ist und bleibt aktuell. Krebskranke, Unfallopfer und Gewaltopfer fragen auch in der Gegenwart „Warum hat es mich erwischt und andere sind verschont geblieben?“ Da Traumata und Schicksalsschläge sehr häufig sind, behält die Warum-Frage eine große Bedeutsamkeit für die Lebenspraxis und für das Thema der Resilienz.

Der resiliente Mensch ist ein wohlgeratener Mensch

Friedrich Nietzsche hat auch in seinem letzten Werk „Ecce homo“ nochmals auf dem Satz „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“ Bezug genommen (vgl. Csef 2019). Er verwendete ihn im Zusammenhand mit der „Wohlgeratenheit“. Hierzu hinterließ er folgende Ausführungen:

„Und woran erkennt man im Grunde die Wohlgeratenheit? Daß ein wohlgeratner Mensch unsern Sinnen wohltut: daß eraus eine Holze geschnitzt ist, das hart, zart und wohlriechend zugleich ist. Ihm schmeckt nur, war ihm zuträglich ist; sein Gefallen, seine Lust hört auf, wo das Maß des Zuträglichen überschritten wird. Er errät Heilmittel gegen Schädigungen, er nützt schlimme Zufälle zu seinem Vorteil aus; was ihn nicht umbringt, macht ihn stärker.“ (Friedrich Nietzsche, Ecce homo)

Der wohlgeratne Mensch kann also als resilienter Mensch verstanden werden. Er hat eine gute psychische Widerstandskraft und ist gewappnet gegen Schädigungen und schlimme Zufälle. Schicksalsschläge hauen ihn nicht um. Er übersteht sie, bleibt gesund und ist stark.

Literatur

Berndt, Christina, Resilienz. Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft. Dtv,  München 4. Auflage 2015

Csef, Herbert, Friedrich Nietzsche – „Werde, der du bist“. „Ecce homo“ als Inspiration zur Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung. Tabulararasa Magazin vom 10. August 2019

Flaßpöhler, Svenja, Zeitenwende – Was macht uns resilient? Interview mit Emelie Groenhoff. Bonner Umweltzeitung vom 30. November 2021

Haas, Michaela, Stark wie ein Phönix. Wie wir unsere Resilienzkräfte entwickeln und in Krisen über uns hinauswachsen. O.W. Barth, München 2015

Joseph, Stephen, Was uns nicht umbringt: Wie es Menschen gelingt, aus Schicksalsschlägen und traumatischen Erfahrungen gestärkt herovrzugehen. Springer, Berlin, Heidelberg 2015

Kalisch, Raffael, Der resiliente Mensch. Wie wir Krisen erleben und bewältigen. Neueste Ergebnisse aus Hirnforschung und Psychologie. Piper, München 2020

Löw, Reinhard, Nietzsche – Sophist und Erzieher. Beltz, Weinheim 1984

Löw, Reinhard, Nietzsche und der Sinn. In: Csef, Herbert (Hrsg.) Sinnverlust und Sinnfindung in Gesundheit und Krankheit.Gedenkschrift zu Ehren von Dieter Wyss. Königshausen & Neumann, Würzburg, 1998, S. 99 – 110

Nietzsche, Friedrich, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden. Hrsg. Von G. Colli und M. Montinari. Dtv München 1980

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. Herbert Csef, An den Röthen 100, 97080 Würzburg

Email: herbert.csef@gmx.de

 

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Über Herbert Csef 150 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.