
Inge Müller (1925-1966) war eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen der DDR. Die Grande-Dame der DDR-Literatur Christa Wolf stellte sie in eine Reihe mit Brigitte Reimann (1933-1973), Maxie Wander (1933-1977) und Irmtraud Morgner (1933-1990). Diese vier Schriftstellerinnen hatten grundlegende Gemeinsamkeiten in ihrer Wesensart und in biografischen Faktoren. In ihrer Wesensart waren alle vier nach Christa Wolf „aufrührerisch“. Sie waren anfangs im DDR-Regime erfolgreich und mit hohen Literaturpreisen gewürdigt (z.B. Heinrich-Mann-Preis für Brigitte Reimann, Inge Müller und Irmtraud Morgner), fielen aber bald in Ungrade und wurden von der Staatssicherheit überwacht. Drei von ihnen waren mit ebenfalls bedeutenden DDR-Schriftstellern verheiratet: Inge Müller mit Heiner Müller, Brigitte Reimann mit Siegfried Pietschmann, Maxie Wander mit Fred Wander. Alle vier Schriftstellerinnen gerieten in ihrem relativ kurzen Leben in existentielle Krisen und sind schicksalhaft durch „autodestruktive Kräfte“ leidvoll zugrunde gegangen. Brigitte Reimann, Maxie Wander und Irmtraud Morgner starben an Krebs, Inge Müller hat sich suizidiert. Drei von ihnen starben frühzeitig um das 40. Lebensjahr herum, Brigitte Reimann mit 39 Jahren, Inge Müller mit 41 Jahren und Maxie Wander mit 44 Jahren. Gemeinsam war den vier Frauen, dass sie modern und ihrer Zeit voraus waren, sehr emanzipiert und intensiv in Liebesbeziehungen verstrickt und gescheitert. Insbesondere Brigitte Reimann und Inge Müller erlebten in 21. Jahrhundert eine fulminante Wiederentdeckung und ein schriftstellerisches Comeback. Zahlreiche Biografien, Neuausgaben, Sammelbände und Werkausgaben verdeutlichen dies.
Jetzt, zum 100. Geburtstag von Inge Müller, ist ein zusätzlicher aktueller Impuls zur Wiedererinnerung an die bedeutende DDR-Schriftstellerin.
Kurzes biografisches Porträt
Inge Müller wurde am 13. März 1925 in Berlin mit dem Namen Ingeborg Meyer geboren. Sie wuchs in kleinbürgerlichen Verhältnissen in Berlin auf. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs wurde sie mit 17 Jahren zum Reichsarbeitsdienst eingezogen. Sie wurde zuerst in der Steiermark eingesetzt. Mit 19 Jahren wurde sie zur Wehrmacht einberufen und einer Kraftfahrtruppe der Luftwaffe in Berlin eingeteilt. Kurz vor Kriegsende wurde sie bei einem Bombenangriff verschüttet, als ein getroffenes Haus über ihr einstürzte. Sie war drei Tage in einem Hohlraum eingesperrt und wurde nach drei Tagen gerettet. Mit 21 Jahren heiratete sie ihren ehemaligen Schulfreund Kurt Loose. Aus dieser Ehe ging ein Sohn mit dem Namen Bernd hervor. Die erste Ehe hielt nicht lange. Mit 23 Jahren schloss sie bereits ihre zweite Ehe. Sie heiratete den SED-Funktionär Herbert Schwenker. Er war Leiter des Friedrichstadtpalastes in Ostberlin und verdiente gut. Die nächsten Jahre bis zur Trennung des Paares lebte sie relativ privilegiert und unbeschwert in Berlin. Fünf Jahre nach der Heirat lernte sie den Dramatiker Heiner Müller kennen. Dieser war mittellos und zog im Haus des Ehepaares Schwenker ein. Der Ehemann tolerierte diese Konstellation anfangs. Trotz aller Duldung war es eine sehr konflikthafte Dreiecksbeziehung. Ingeborg Schwenker heiratete schließlich in ihrer dritten Ehe den Dramatiker Heiner Müller im Jahr 1955. Diese Ehe erwies sich als sehr schwierig. Heiner Müller respektierte sie nicht als gleichwertige Schriftstellerin. Vielmehr entwickelte sich eine Konkurrenz und Rivalität im Schreiben, das für beide immer mehr zu einem „kriegerischen Ehrgeiz“ wurde, wie er vergleichbar auch zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch wirksam war. Die Spannungen nahmen zu, als Inge eine Affäre mit dem jüngeren Bruder von Heiner hatte und er aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen wurde. Inge Müller litt immer häufiger unter Depressionen und unternahm mehrere Suizidversuche. Am 1. Juni 1966 vollendete sie in ihrer Berliner Wohnung einen Suizid durch Medikamente und Gasvergiftung.
Breites Spektrum in ihrem literarischen Ouevre
Inge Müller hinterließ als Schriftstellerin ein breit gefächertes Werk. Sie begann mit Kinderbüchern und Gedichten. Es folgte vielgestaltige Prosatexte und Hörspiele sowie unter dem Einfluss ihres dritten Ehemannes Heiner Müller auch dramatische Werke. Gemeinsam verfassten sie fünf Dramen. Für die Dramen „Der Lohndrücker“ (1956) und „Die Korrektur“ (1957) erhielten sie gemeinsam im Jahr 1959 den Heinrich-Mann-Preis. Nach ihrem Suizid blieb sie der Nachwelt überwiegend als Lyrikerin in Erinnerung.
Zwei Biografien und zwei Werkausgaben
Zu DDR-Zeiten war Suizid ein Tabuthema und Schriftsteller, die ihr Leben mit dieser Todesart beendeten, wurden gemieden und verdrängt. So ist es nicht verwunderlich, dass der erste Sammelband mit Gedichten erst etwa 20 Jahre nach ihrem Tod erschien. Er wurde von Richard Pietraß unter dem Titel „Wenn ich schon sterben muß“ im Berliner Aufbau Verlag publiziert. Die Literaturwissenschaftlerin Sonja Hilzinger gab im Jahr 2002 den Sammelband „Daß ich nicht ersticke im Leisesein“ mit Prosatexten heraus. Von ihr stammt auch eine Biografie über Inge Müller unter dem Titel „Das Leben fängt heute an.“ (2005). Bereits drei Jahre zuvor erschien die erste ausführliche Biografie von Ines Geipel („Dann fiel auf einmal der Himmel um.“).
Literatur
Geipel, Ines, Dann fiel auf einmal der Himmel um. Inge Müller – Die Biografie. Henschel Verlag, Berlin 2002
Hilzinger, Sonja, Das Leben fängt heute an. Inge Müller: Biographie. Aufbau Verlag, Berlin 2005
Müller, Inge, Wenn ich schon sterben muß. Herausgegeben von Richard Pietraß. Aufbau Verlag, Berlin 1985
Müller, Inge, Daß ich nicht ersticke am Leisesein. Herausgegeben von Sonja Hilzinger. Aufbau Verlag, Berlin 2002
Korrespondenzadresse:
Professor Dr. med. Herbert Csef
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