Das Erbe von Petra Kelly. Zum neuen Dokumentarfilm „Petra Kelly – Act now!“ von Doris Metz

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Petra Kelly (1947 bis 1992) wurde Anfang Oktober 1992 von ihrem Lebenspartner Gert Bastian im Alter von 44 Jahren erschossen. Bis heute ist ungeklärt, welche Motive Bastian zu dieser Tat getrieben habenund ob Petra Kelly in ihre Tötung einwilligte. Die etwas vorschnelle Einordnung der Tat durch die zuständige Staatsanwaltschaft als „erweiterter Suizid“ suggeriert diese Möglichkeit, denn sie ging nicht von Mord aus (Csef 2023). Über das Tötungsdelikt Bastian/Kelly gibt es zwei Bücher (Schwarzer 1993, 2001 und Bastian 1994) sowie eine fachlich kompetente Filmdokumentation (Baumann & Schevardo 2014). Zahlreiche Menschen, die beide gut kannten, vertreten die Mord-Hypothese. Dies ist auch der einhellige Tenor in dem neuen Dokumentarfilm über Petra Kelly.

Im Film geht es aber nicht um das tragische Ende des Liebespaares, sondern um die Person Petra Kelly und ihre Strahlkraft als Friedens-Ikone oder Gallionsfigur der Grünen. Als Mitbegründerin der Partei hat sie mehr als zehn Jahre lang deren Entwicklung entscheidend geprägt. Wie wird heute nach mehr als 40 Jahren von Parteifreunden, Journalisten und Politikwissenschaftlern ihr Wirkeffekt eingeordnet?Bei der Jubiläumsfeier zu 40jährigen Gründung der Grünen ist sie überhaupt nicht erwähnt worden, beklagte ihre damalige Mitstreiterin und Freundin Eva Quistorp vor zwei Jahren (Quistorp 2022).

Der Dokumentarfilm „Petra Kelly – Act now!“ von Doris Metz

Doris Metz, die als Regisseurin selbst das Drehbuch schrieb, zeigt in ihrem Film überwiegend eindrucksvolles Filmmaterial aus den Archiven und Interviews mit noch lebenden Weggefährten und Freunden. Der Film kam am 12. September 2024 in die deutschen Kinos und dauert 105 Minuten. Erbeginnt mit einer Aufnahme vom Auftritt von Petra Kelly im Jahr 1985 in New York, wo sie im Saal der United Nations anlässlich der Global Student Conference eine Rede hielt. Unerschrocken, konzentriert und sehr präsent spricht sie schnell und ohne Versprecher oder Pausen. Eine weitere Filmszene zeigt ihre Rede als Neuling in Deutschen Bundestag im Jahr 1983. Eindrucksvoll sind auch die Filmaufnahmen von ihrem Besuch beim DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker in Ostberlin, gemeinsam mit Otto Schily.

Sehr aufschlussreich sind auch die neuen Interviews mit Freunden und Weggefährten. Bei den Interviews ist ebenfalls Otto Schily vertreten, die langjährige Freundin Eva Quistrop, der Wegbegleiter Lukas Beckmann, der Umweltaktivität Milo Yellow Hair und die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer, für die Petra Kelly ein großes Vorbild ist. Ihr Halbbruder John Lee kommt ebenfalls zu Wort. Eine besonders spannende Zeitzeugin ist Ina Fuchs, die ehemalige Büroleiterin von Gert Bastian und Petra Kelly, die seit 20 Jahren in Jerusalem lebt. Sie kannte beide aus dem politischen Alltag und sprach im Interview über die Gewohnheiten und Eigenarten der beiden Politiker. Sie war auch die Person, die 19 Tage nach der Tat die beiden Leichen in der Bonner Wohnung auffand.

Was der Film ausblendet – wesentliche Punkte der Filmkritik

Der Film von Doris Metz ist überwiegend positiv aufgenommen und besprochen worden. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gab es zwei ausführliche positive Rezensionen von Patrick Bahners und Julia Voss (FAZ 2024). Kritisch äußerte sich hingegen Daniel Kothenschulte in der Frankfurter Rundschau. Die innerparteilichen Grabenkämpfe – der langdauernde Kampf zwischen den Realos und Linken – sei ausgeblendet worden. Die mächtigen Gegenspieler von Petra Kelly – Joschka Fischer, Otto Schily und Jürgen Trittin – sind in ihrem starken Einfluss nicht dargestellt worden. Petra Kelly sei bei ihrem Tod im Jahr 1992 nicht die glorreiche und erfolgreiche Grünen-Ikone gewesen. Sie war mit ihren Zielen weitgehend gescheitert, frustriert und psychisch labilisiert. Sie wurde ausgeschlossen, ihre TV-Sendung wurde schnell abgesetzt, sie wurde 1991 bei ihrer Kandidatur als Vorstandssprecherin mit großer Demütigung abgewählt. Die schmachvollen Niederlagen und die psychischen Qualen von Petry Kelly in den letzten Lebensjahren wurden nach Kothenschulteausgeblendet, so dass im Film von Doris Metz doch ein einseitiges Porträt gezeigt wurde (Kothenschulte2024). Eine ähnliche Kritik verfasste Stefan Reinecke in der TAZ. Petra Kelly sei ein grandioser schneller Aufstieg gelungen, ihr Stern leuchtete hell und eindrucksvoll: „das existenzielle Pathos des Jetzt, eine vibrierende Energie, die leuchtende, fast religiös anmutende Unbedingtheit“ machten sie in der Gründungsphase der Grünen zum Hoffnungsstern und zum Star der Friedens- und Ökobewegung. Doch sie wurde bald in den Richtungskämpfen der Grünen aufgerieben und an den Rand gedrängt – Realos wie Joschka Fischer, Otto Schily und Jürgen Trittin wurden ihre mächtigen parteiinternen Gegenspieler. „Ein Stern verglüht“ nannte Reinecke seine Filmkritik. „Ihr Absturz vom Star zur Randfigur bei den Grünen 1991 war nicht das Resultat von Verrat oder Rücksichtslosigkeit, sondern ein Effekt der Dynamik sozialer Bewegungen.“ (Reinecke 2024). Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, der Fall der Mauer, die Wende und das Ende des Kalten Krieges schufen neue Realitäten, in denen Pragmatiker eher gefragt waren als Idealisten oder Gesinnungsethiker.

Das Leben von Petra Kelly

Petra Kelly wurde am 29. November 1947 in Günzburg geboren. Ihr Vater verließ bald die Familie. Ihre Kindheit verbrachte sie bei ihrer Großmutter, die lebenslang für sie die wichtigste Bezugsperson war und mit der sie ein gemeinsames Grab in Würzburg als letzte Ruhestätte teilt. Ihre Mutter hat einige Jahre später den amerikanischen Offizier Kelly geheiratet und die Familie übersiedelte gemeinsam in die USA. Aus der zweiten Ehe der Mutter gingen noch die Halbschwester Grace und der Halbbruder John Lee hervor. Petra besuchte in Hampton in Virginia die High School und hatte dort den besten Schulabschluss. Sie begann ein Politik-Studium in Washington, das sie im Jahr als beste ausländische Studentin abschloss. Von 1971 an arbeitete sie bei der EU-Verwaltung in Brüssel. Ein Jahr später lernte sie Willy Brandt kennen und wurde Mitglied der SPD. Als im Jahr 1979 der Nato-Doppelbeschluss und die Stationierung von Pershing-Raketen in Deutschland diskutiert wurde, protestierte Petra Kelly vehement in den Medien, schrieb einen Protest-Brief an Bundeskanzler Helmut Schmidt und trat aus der SPD aus. Bereits ein Jahr später im Jahr 1980 wurde sie Gründungsmitglied der Grünen und zog für diese Partei im Jahr 1983 in den Deutschen Bundestag. Vier Jahre später wurde sie erneut in den Bundestag gewählt. Im selben Jahr machte sie Reisen in die Sowjetunion und traf deren Präsidenten Gorbatschow. Durch Richtungskämpfe innerhalb der Partei der Grünen verlor sie an Einfluss und ihrepolitischen Niederlagen begannen. Im Jahr 1990 wurde sie nicht mehr in den Deutschen Bundestag gewählt und ein Jahr später ist sie bei der Kandidatur als Vorstandssprecherin der Grünen kläglich gescheitert. Von 660 abgegebenen Stimmen erhielt sie lediglich 32. Dies war für sie eine große narzisstische Kränkung. Mit der Abwärtsspirale ihrer politischen Karriere wurde Petra Kelly zunehmend psychisch krank, hatte Angstzustände und Panikattacken sowie Ohnmachtsanfälle bei öffentlichen Auftritten. Sie zog sich immer mehr zurück und flüchtete sich zunehmend regressiv in die Partnerbeziehung mit dem verheirateten Gert Bastian.

Rezeption von Petra Kellys Leben und Werk

Petra Kelly hat zahlreiche Bücher geschrieben (Kelly 1982, 1983, 1988, 1990), die ihre politische Haltung und ihre Wertewelt verdeutlichen. Posthum erschien unter dem Titel „Lebe, als müsstest du heute sterben“ eine Sammlung von Texten und Interviews von ihr (Kelly 1997). Ihre engen Freunde Lukas Beckmann und Lew Kopelew gaben einen Sammelband mit den Reden anlässlich der Trauerfeier 1992 heraus, aus denen ihr Leben und Werk aus der Sicht von Freunden, Vertrauten und Wegbegleitern deutlich wird (Beckmann und Kopelew 1993). Zum 60. Geburtstag von Petra Kelly gab die Heinrich-Böll-Stiftung einen Sammelband über Petra Kelly heraus (Heinrich-Böll-Stiftung 2007). Es gibt zwei deutschsprachige Biografien über Petra Kelly. Zu ihren Lebzeiten erschien jene von Monika Sperr (1983), posthum erfolgte die sehr umfassende und fundierte Kelly-Biografie der Politikwissenschaftlerin Saskia Richter (2010). Diese Fülle von Buchpublikationen ergibt ein sehr plastisches und aussagekräftiges Bild des Menschen und der Politikerin Petra Kelly.

Große Aktualität des Films angesichts der Krise der Partei der Grünen

Der Zeitpunkt des Erscheinens des Filmes von Doris Metz könnte gar nicht günstiger sein als jetzt. Denn gerade jetzt sind die die Grünen in einer schweren Krise und es toben Richtungskämpfe wie zu Zeiten von Petra Kelly. Die beiden Parteiflügel der Realos und der Linken ringen um die zukünftige Ausrichtung. Die Landtagswahlen in den neuen Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg in den letzten Wochen brachten drei große Wahlschlappen für die Grünen. Erhebliche Verluste im Stimmenanteil bei diesen drei Wahlen und schlechte Umfragewerte im Politbarometer verdeutlichen die Krise der Partei.

Die beiden Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sind Ende September 2024 zurückgetreten. In seiner Rezension über den Film von Doris Metz schreibt Gunnar Decker, dass die Erinnerung an Petra Kelly überfällig sei, „weil Petra Kelly so ziemlich das Gegenteil dessen war, was die Grünen unter Baerbock und Habeck sind“. (Decker2024). Unter dem Petra-Kelly-Foto in diesem Artikel steht folgende Charakterisierung: „Weltgewandte Idealistin: Petra Kelly war einfach eine Nummer zu groß für ihre vielfach kleingeistige Karriere-Partei“.

Aktuelle länderübergreifende Krisen haben zahlreiche Parallelen zur politischen Lage zur Zeit der Gründung der Grünen vor 40 Jahren. Die Klimakrise hat sich durch Hochwasserkatastrophen in Deutschland zugespitzt, die Wirtschaft bewegt sich im Abwärtstrend, im militärischen Ost-West-Konflikt wird die Stationierung neuer und zerstörerischer US-Raketen in Deutschland diskutiert. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, die Kriege in Nahen Osten und die Migrationskrisen sind globale Herausforderungen. Die atomare Bedrohung ist wieder ein großes Thema – sowohl als Bedrohung durch die nukleare Katastrophe eines Atomkrieges als auch in der Diskussion über Atomkraftwerke angesichts der Energiekrise. Viele Aussagen von Petra Kelly vor 40 Jahren könnten heute gemacht worden sein. Sie war in vielfacher Hinsicht ihrer Zeit voraus. Ihr Treffen mit dem DDR-Präsidenten Honecker und mit dem russischen Präsidenten Gorbatschow wurden damals ähnlich kritisch beäugt wie heute BSW-Forderungen nach Verhandlungen mit dem russischen Kriegstreiber Wladimir Putin. Der Wunsch nach Frieden und Sicherheit ist heute ebenso groß wie zu Lebzeiten von Petra Kelly. Nur, wie könnte der Weg dahin aussehen? Dazu hatte Petra Kelly kluge Gedanken. Was würde sie heute sagen oder raten?

Literatur

Bahners, Patrick, Aus der Familie des Menschen. Film über Petra Kelly. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. September 2024

Bastian, Till, Die Finsternis der Herzen. Nachdenken über eine Gewalttat. PapyRossa-Verlag, Köln 1994

Baurmann, Michael, Schevardo Jennifer, Die Mordakte Kelly und Bastian. Geheimakte Geschichte Folge 2. Film von Heike Nelsen-Minkenberg und Tom Müller. ARD, Sendung von 10. November 2014

Beckmann, LukasLew Kopelew (Hrsg.): Gedenken heißt erinnern. Petra K. Kelly, Gert Bastian. Lamuv-Verlag, Göttingen 1993

Csef, Herbert, Petra Kelly – Friedens-Ikone und Jeanne d’Arc der Moderne. Erinnerungen zum 75. Geburtstag. Tabularasa-Magazin vom 30. November 2022

Csef, Herbert, Das Rätsel von Petra Kelly und Gert Bastian – Doppelsuizid, erweiterter Suizid oder Mord? In: Csef, Herbert. Gemeinsam sterben. Die berühmtesten Doppelsuizide. Roderer Verlag, Regensburg, 2023, S. 76 – 81

Decker, Gunnar, Grünen-Mitbegründerin Petra Kelly: Der zivile Ungehorsam. Neues Deutschland vom 11. September 2024

Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Petra Kelly. Eine Erinnerung. Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin 2007 

Kelly, Petra, Jo Leinen (Hrsg.): Prinzip Leben. Ökopax, die neue Kraft.  Verlag Olle und Wolter, Berlin/W. 1982

Kelly, Petra, Manfred Coppik (Hrsg.): Wohin denn wir? Texte aus der Bewegung. Oberbaumverlag, Berlin/W. 1982

Kelly, Petra, Um Hoffnung kämpfen! Gewaltfrei in eine grüne Zukunft. Lamuv-Verlag, Bornheim-Merten 1983

Kelly, Petra,  Gert Bastian (Hrsg.): Tibet: ein vergewaltigtes Land. Berichte vom Dach der Welt. Rowohlt, Reinbek 1988 

Kelly, Petra, Mit dem Herzen denken. Texte für eine glaubwürdige Politik. Beck, München 1990

Kelly, Petra, Lebe, als müsstest Du heute sterben. Texte und Interviews. Zebulon-Verlag, Düsseldorf 1997

Kothenschulte, Daniel, Ein Dokumentarfilm über Petra Kelly – Das Nerven als gewaltfreier Protest. Frankfurter Rundschau vom 11. September 2024

Quistorp, Eva, Du darfst nicht vergessen werden. Brief an Petra Kelly. Taz vom 29. November 2022

Reinecke, Stefan, Ein Stern verglüht. In ihrem Dokumentarfilm über Petra Kelly schildert Doris Metz das intensive Leben der grünen Ikone der 80er. Was fehlt, sind die Fragezeichen. Taz vom 11. September 2024

Richter, Saskia, Die Aktivistin: Das Leben der Petra Kelly. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010 

Schwarzer, Alice, Eine tödliche Liebe. Petra Kelly und Gert Bastian. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1993;aktualisierte Neuausgabe Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001

Sperr, Monika, Politikerin aus Betroffenheit Petra Karin Kelly, Bertelsmann, Gütersloh 1983 

Voss, Julia, „Petra Kelly Act now!”. Sie fürchtete um ihr Leben. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. September 2024

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. Herbert Csef

Email: herbert.csef@gmx.de

Über Herbert Csef 148 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.