Die Kriege in der Ukraine, in Berg Karabach, im Gazastreifen und anderswo überschatten die in der Advents- und Weihnachtszeit zu erwartenden Friedensbotschaften der Kirchen. Vor dem politischen Hintergrund rückt der allgemeine Zustand der Kirchen ins Bild. Er ist geprägt von hypertrophen Moralansprüchen und schwindender gesellschaftlicher Relevanz. Unter Bedford-Strohm und unter Kurschus an der Spitze der EKD wurden die im Gefolge der von Angela Merkel anno 2015 beförderten Asylkrise von dem Theologen – und iim Einheitsjahr politisch bedeutsamen SPD-Politiker – Richard Schröder verantwortungsethisch definierten Grenzen christlicher Moral verwischt. Was kommt nach Kurschus? Eine Antwort auf diese Frage ist erst im nächsten Kirchenjahr zu erwarten, schreibt Herbert Ammon. Die vielen anderen bedrängenden Fragen, so das Fazit seines Kommentars, werden aller geschichtlichen Evidenz nach nicht nach moralischen Maximen, sondern – meist moralisch verbrämt – mit Machtmitteln beantwortet. Das passt nicht ganz zum grünen deutschen Glauben.
I.
Für Leser (sc. -innen, ohne Gender*), die nicht bereits meinen Globkult-Beitrag zum Thema „Moral ohne Grenzen“ gelesen haben, bringe ich ihn nachfolgend noch einmal zur Kenntnis. Was die unten dargestellten aktuellen Ausgaben für Migranten betrifft, so gibt es noch eine unbelegte, weit höhere Zahl von 50 Mrd. €. Welche Kosten – und Nachfolgekosten infolge der unverminderten „Asylkrise“ anfallen, ist in der Tat schwer zu ergründen. Die evidenten menschlichen, materiellen und politischen Kosten – die scheiternde Integration von integrationsverweigernden Immigranten – werden von der politisch-medialen classe diregente ohnehin heruntergespielt oder als „rechte“ AfD-Propaganda abgetan.
Vor diesem Hintergrund rückt in der – je nach Wahrnehmung durch Schneefall weihnachtsliedermäßig besonders schönen oder von Unfällen, steigenden Energiekosten und Bahnausfällen beeinträchtigten – Weihnachtszeit der Zustand der Kirchen ins Bild. Er ist geprägt von hypertrophen Moralansprüchen und schwindender gesellschaftlicher Relevanz. Was den jahreszeitlichen Appell an unser aller Gewissen betrifft, so verweise ich zur Vermeidung von Redundanz auf meinen meinen letztjährigen Kommentar zum säkularen Ablasshandel: https://herbert-ammon.blogspot.com/2022/11/ablasshandel-zur-weihnachtszeit.html.
Unklar bleibt die Frage – wenngleich angesichts der sehr unterschiedlichen Kriegslagen in der Ukraine und im Gaza-Streifen in aller zu erwartenden Unklarheit immerhin verständlich -, die Frage, wie denn die Friedensbotschaft der Kirchen und – unter dem Aspekt künftiger deutscher „Kriegstüchtigkeit“ – die Weihnachts – und Neujahrsbotschaft von Bundeskanzler Scholz sowie von Bundespräsident Steinmeier ausfallen wird. Mit den von früher her gewohnten Moralappellen an das (post-)deutsche Volk und die Welt wird es jedenfalls nicht getan sein.
II.
Alles hängt mit allem zusammen: Die durch das Karlsruher Urteil verhinderte Umschichtung der 60 Corona-Milliarden und die Lockerung der Schuldenbremse; Lindners Kehrtwendung beim Thema Schuldenbremse und Kubickis Kreuzfahrt-Bekenntnis zum liberalen Glaubenssatz solider Staatsfinanzen; der frühe Wintereinbruch – vor dem globalen Klimawandel in unseren Breiten völlig normal – und die wegen Greta Thunbergs BDS-Bekenntnis – vorerst – in eine Krise geratene deutsche Klimarettung; die „Asylkrise“ und die Sorge der Grünen-Parteispitze um die Ampel und um grünen Machtverlust angesichts der ewig jugendlichen, von grenzenloser Moral beseelten Parteibasis; der Rücktritt der EKD-Vorsitzenden Annette Kurschus und die Erosion der Kirchen in der postchristlichen Gesellschaft.
Kritiker mögen diese Assoziationskette für weithergeholt, für gedankliche Willkür halten: Was hat die Aufhebung der grundgesetzlichen Schuldenbremse, der frühe Winter mit der Krise der Kirchen zu tun? Den roten Faden liefert der politisch aufgeladene Begriff von Moral. Der Reihe nach: Wegen des Urteils des BVerfG fehlen der Ampel mindestens 60 Mrd. Euro in ihrem Haushalt, die durch vorläufige – vorläufig bis zur angestrebten Änderung des Grundgesetzes – Aussetzung der Schuldenbremse ersetzt werden sollen. Keine Milchmädchenrechnung, sondern schlichtes Faktum: Die Ausgaben für „Geflüchtete“/“Flüchtende“ (a.k.a. Migranten) belaufen sich im Jahr 2023 auf 27,6 Mrd. € pro Jahr, davon 10,7 Mrd. für die – sinnvolle, aber offenkundig wenig erfolgreiche – Bekämpfung von Fluchtursachen. (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/665598/umfrage/kosten-des-bundes-in-deutschland-durch-die-fluechtlingskrise/)
Das reicht Open-Border-Aktivisten wie der Jugendbasis der Grünen natürlich nicht aus, denn ihre Forderung nach offenen Grenzen für alle erfordert einfach höhere Summen. Zwar widersetzten sich auf dem Grünen-Parteitag in Karlsruhe Habeck, Ricarda Lang und selbst Göring-Eckardt der junggrünen Globalmoral, aber an den Fakten wird sich hierzulande wenig ändern. Ein paar Abschiebungen mehr, von Nancy Faeser lautstark angekündigt, bestätigen nur die bestehende Praxis.
III.
Kaum anders als die von aggressiver, realitätsferner Moral getragene grüne Jugend äußerte sich unlängst noch die inzwischen wegen innerkirchlich noch ungeklärter Fragen – wieviel Bisexualität ist im Blick auf die LGBTQ-Bewegung einerseits, auf 1. Korinther 6, 1-11 andererseits, passabel? – zur Sexualmoral zum freiwilligen Amtsverzicht genötigte Kirchenchefin Kurschus. In einem – vor Bekanntwerden der protestantischen Missbrauchsgeschichte – in der FAZ publizierten Interview bekannte sie sich zur Klimarettung und zu United4Rescue – das Schiff „Humanity“ liegt derzeit wegen fehlender Spendengelder für Diesel aus Deutschland im Hafen von Syrakus fest -, zur Nächstenliebe für die nicht zuletzt wegen des katastrophalen Klimas in subtropischen, tropischen, ariden, alpinen und sonstigen Zonen übers Mittelmeer zu uns (in „unser reiches Land“) flüchtenden Migranten. (Siehe dazu meinen noch vor Kurschus´ Rückzug verfassten Kommentar: https://www.globkult.de/gesellschaft/identitaeten/2328-realitaetsverweigerung-als-frohe-botschaft). Erwähnt sei noch, dass sie auch eine Streichung der Kompromissformel von § 218 („rechtswidrig, aber unter bestimmten Umständen straffrei“) und eine Ausweitung der Fristenregelung auf fünf Monate propagierte.
Die Ex-Kirchenchefin interpretierte ihren Rücktritt als persönliches Opfer, um Schaden von der Kirche abzuwenden. An derlei Apologie nahm der Facebook-Autor Reinhard Klingenberg – vor seiner Ausbürgerung aus der DDR Anfang der 1980er Jahre Vikar in Thüringen – Anstoß. Er frage sich, „was das für eine christliche Grundhaltung ist.“ Kurschus habe jahrelang „den Missbrauch unter den Teppich gekehrt“. Daraufhin meldete sich ein anderer Fb-friend zu Wort. Ihm missfiel, dass „Kurschus dem Rest des Landes [habe] vorhalten wollen, wieviele Flüchtlinge aus Afrika wir noch aufzunehmen haben. Brett-vorm-Kopf-unter-Strom und Kurzschluß sind leider typische Vertreter einer Kirche, die das eigentliche Ziel aus den Augen verliert: Seelsorge und Hilfe für die hier lebenden Menschen anstatt Rettungsschiffe für das Mittelmeer kaufen.“
Klingenberg wies derlei Polemik zurück als „ein seltsames christliches Verständnis, was Du da propagierst! Nächstenliebe kennt keine Grenzen und wir haben nur eine Welt“ usw. Sodann das säkulare, protestantisch-pietistisch eingefärbte Confiteor: „An den Krisen dieser Welt haben wir (!) ja selber einen nicht unerheblichen Anteil.“ Am Ende traf der Bannfluch den ungläubigen Fb-Genossen: „Was Du da verkündest (,) ist AFD-Geschwurbel und Trumpismus!“
Der frühere Vikar ist – stellvertretend für manch andere Protagonisten schlichter Gesinnungsethik – an die im Gefolge der „Flüchtlingskrise“ anno 2015 von dem Theologen Richard Schröder (SPD-Vorkämpfer der deutschen Einheit in der frei gewählten Volkskammer 1990) vorgetragene Kritik an grenzenloser Migration zu erinnern. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10, 25–37) explizierend, betonte Schröder wiederholt die Pflicht und die Grenzen christlicher Hilfeleistung. (https://www.globkult.de/politik/deutschland/1428-was-wir-den-migranten-schulden-und-was-nicht?); https://www.nzz.ch/international/ungerechte-seenotretter-theologe-richard-schroeder-im-interview-ld.1504989) Selbst die Ex-Kirchenchefin musste im erwähnten Interview einräumen, dass die Nächstenliebe – sprich Aufnahmebereitschaft – bei einer „Selbstaufgabe“ an ihre Grenze stoße.
IV.
In dem Facebook-Disput ging es auch um die für Klingenberg unzulässige Verknüpfung von sexuellem Missbrauch und der Flüchtlingsproblematik. Tatsächlich besteht ein Zusammenhang in der – nicht nur – protestantischen Psychologie: Der Anspruch auf absolute Moral schützt – bis zum peinlichen Nachweis der Verfehlung der Wirklichkeit – vor Selbstzweifel.
Unter Bedford-Strohm und unter Kurschus an der Spitze der EKD wurden die von Richard Schröder verantwortungsethisch definierten Grenzen christlicher Moral verwischt. Was kommt nach Kurschus? Eine Antwort auf diese Frage ist erst im nächsten Kirchenjahr zu erwarten.
Die vielen anderen bedrängenden Fragen werden aller geschichtlichen Evidenz nach nicht nach moralischen Maximen, sondern – meist moralisch verbrämt – mit Machtmitteln beantwortet. Das passt nicht ganz zum grünen deutschen Glauben.