Den Inhalt der zum Reformationsfest verfassten Predigten können wir ohne Mühe antizipieren: Zu erinnern gilt es an den geistig befreienden Widerstand des von seinem Gewissen getriebenen Theologieprofessors Luther gegen das im ausbeuterischen Ablasshandel zugespitzte Machtgebaren der alten Kirche. Billige Gnade sei nicht zu kaufen, heißt es unter Bezug auf Dietrich Bonhoeffer. Dabei wird offen gelassen, ob die wenigen, meist grauhaarigen Gottesdienstbesucher, darunter einige mit dem Button „Omas gegen Rechts“, mit dem Begriff „Gnade“ überhaupt noch etwas anzufangen wissen.
Parallel zu den Austrittszahlen aus den Kirchen hat der Reformationstag am 31. Oktober, ehedem ein Hochfest des deutschen Protestantismus, seine Bedeutung erkennbar eingebüßt. Die Gruselmasken von Halloween sind den Jüngeren heute besser vertraut als die markigen Bilder von Luthers Thesenanschlag an der Schlosskirche zu Wittenberg. Immerhin gibt es in einigen Bundesländern noch schulfrei, und im atheistischen Bundesland Brandenburg wurde der Tag nach dem Mauerfall – unter dem längst vergessenen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe – gar zum staatlichen Feiertag erhoben. Seither nutzen die Bewohner des Berliner Umlandes den arbeitsfreien vor allem zu Einkäufen, jedenfalls nicht zum Besuch eines Reformationsgottesdienstes.
Gedenkgottesdiente finden gleichwohl in den Kirchen der Hauptstadt statt, obenan, auf mediale Wirkung bedacht, im Berliner Dom – gegenüber dem als Humboldt-Forum semantisch und inhaltlich neutralisierten „Schloss“ mit dem „umstrittenen“ christlichen Schriftzug um die nicht minder „umstrittene“ Kuppel – sowie in der semantisch noch unumstrittenen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
Den Inhalt der zum Reformationsfest verfassten Predigten können wir ohne Mühe antizipieren: Zu erinnern gilt es an den geistig befreienden Widerstand des von seinem Gewissen getriebenen Theologieprofessors Luther gegen das im ausbeuterischen Ablasshandel zugespitzte Machtgebaren der alten Kirche. Billige Gnade sei nicht zu kaufen, heißt es unter Bezug auf Dietrich Bonhoeffer. Dabei wird offen gelassen, ob die wenigen, meist grauhaarigen Gottesdienstbesucher, darunter einige mit dem Button „Omas gegen Rechts“, mit dem Begriff „Gnade“ überhaupt noch etwas anzufangen wissen.
Das Thema „Reformation“ wird sodann fortgesponnen zur kritischen Betrachtung der Figur des Reformators und dessen historischer Überhöhung im Nationalprotestantismus. Das Erbe der Reformation – die Rede von der „Freiheit eines Christenmenschen“ – sei belastet durch das Versagen in der Nazizeit und zur deutschen Schuld. Im Raum der AfD komme das völkische Gift der sog. „Deutschen Christen“ erneut zur Wirkung.
An dieser Stelle kehrt die Predigt zurück zum Vermächtnis des Widerstandskämpfers und Märtyrers Dietrich Bonhoeffer. Dessen Verständnis von gelebtem, auf Christus bezogenen Glauben, ziele auf tätige Hinwendung zu den Schwachen, Missachteten und Hilfsbedürftigen. Sein Verständnis des christlicher Pazifismus impliziere das Bekenntnis zum defensiven Gebrauch von Waffen gegen einen verbrecherischen Feind, wie wir ihn derzeit in Gestalt Putins und in seinem Krieg gegen die Ukraine erleben. *
*Als weiteres Thema einer deutschen Reformationspredigt kommt der amerikanische Wahlkampf in Frage. Ganz Deutschland starrt auf das Datum des 5. November. Laut Meinungsumfragen favorisieren über 70 Prozent der Deutschen Kamala Harris als künftige US-Präsidentin. Nur AfD-Wähler wünschen sich Donald Trump als Wahlsieger. Stoff genug für eine Predigt am Reformationstag sowie für den kommenden Sonntag vor den Wahlen am Dienstag.
Der Wahlkampf in den USA geht in seine letzte Phase. Aus den Meinungsumfragen – mit der diesen inhärenten Unsicherheitsmarge – ergibt sich keine eindeutiges Bild. In einigen Swing States scheint jedoch Trump vorne zu liegen. In ihrem Abwehrkampf gegen den – entgegen vorherrschender Meinung nicht nur beim weißen Prekariat populären – „Populisten“ Trump greift Harris inzwischen zur schärfsten Waffe, in dem sie ihn als „Faschisten“ tituliert. Trump erklärt Kamala schlicht für „so stupid“.
Während die meisten Medien, Intellektuellen, Film- und Popstars Harris unterstützen, hat Trump inzwischen auch einige prominente Namen auf seiner Seite, obenan Elon Musk. Ein weiterer namhafter Trump-Unterstützer ist der Journalist Eric Metaxas, Autor einer in hohen Auflagen publizierten Bonhoeffer-Biographie (Bonhoeffer: Pastor, Martyrer, Spy),Vorlage eines demnächst mit demselben Titel in die Kinos kommenden Filmes.
Metaxas ist Mitglied einer New Yorker Kirche von Presbyterianern, die antiliberalen, fundamentalistischen Glaubenssätzen anhängen. Gegen seine Rolle im Lager Trumps – bis bin zur Verteidigung des „Sturms auf as Capitol“ am 6. Januar 2021 – und als Protagonisten eines rechten „christlichen Nationalismus“ haben sich amerikanische und deutsche Theologen, obenan die ehemaligen EKD-Vorsitzenden Wolfgang Huber und Heinrich Bedford-Strohm, in einem Aufruf (in der Printausgabe „Die ZEIT“ vom 17.10.2024) zu Wort gemeldet.
Mit Recht weisen die Unterzeichner (die „Unterzeichnenden“) darauf hin, dass Metaxas´ Buch „gerade im englischen Original sachlich fehlerhaft ist“. Sie empören sich auch darüber, dass Metaxas in seinem neuen Buch den zwischen woken Linksliberalen und diversen „rechten“ Kräften – von einigen (im europäischen Sinne) konservativen Intellektuellen über Evangelikale und/oder Fundamentalisten sowie „christliche Nationalisten“ bis hin zu gewaltbereiten Milizen – ausgefochtenen Kulturkampf mit dem Krieg gegen Hitler-Deutschland gleichsetzt. Der Trump-Anhänger Metaxas illustriere seine kämpferische, antiliberale Rhetorik „sogar mit einem Foto, das eine Pistole auf einer Bibel zeigt. Diese Gewaltverherrlichung geht einher mit der Weigerung, zwischen dem heutigen gesellschaftlichen Kontext und Nazideutschland zu unterscheiden. Eric Metaxas ist kein vertrauenswürdiger Erzähler von Bonhoeffers Leben und Lehren.“
*Die Kritik an verzerrender Interpretation der Schriften Bonhoeffers sowie am politischen Missbrauch Bonhoeffers im Wahlkampf für Trump ist nicht unbegründet. Nichtsdestoweniger sei vermerkt, dass die Auseinandersetzung mit Bonhoeffer auch im Lager „progressiver“ Theologie – maßgeblich in der Ausdeutung der Gefängnisschriften Bonhoeffers unter weitgehender Ausblendung der voluminösen „Ethik“-Fragmente – vielfach in reduktionistischer und vorschnell aktualisierender Weise geführt wird. (Siehe dazu meine Bonhoeffer-Aufsätze in Globkult, darunter meine Rezension des Bonhoeffer-Porträts von Wolfgang Huber https://www.globkult.de/geschichte/rezensionen/2139-wolfgang-huber-dietrich-bonhoeffer-auf-dem-weg-zur-freiheit-ein-portraet).
Als Negativ-Beispiel für eine „moderne“ Sicht auf Bonhoeffer, genauer: für den Bezug auf Bonhoeffer im politisierenden Protestantismus sei zum Schluss aus einem Aufsatz des Theologen Thorsten Dietz zitiert. Dietz, Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule Tabor und Privatdozent an der Universität Marburg, schreibt: „Metaxas’ Darstellung von Dietrich Bonhoeffer ist oft Fanfiction für christliche Nationalisten.“ (https://www.reflab.ch/billige-gnade-streit-um-bonhoeffer/?) Zwar sei Bonhoeffer „kein linksliberaler Theologe im heutigen Sinne“ gewesen. Es gebe „bei Bonhoeffer für rechte Formen des Christentums eine Reihe von verstörenden Anknüpfungspunkten“, so in dessen erst später überwundenen „Nationalismus“, in seinem von „Geschlechterhierarchie“ abgeleitetem Verständnis von Ehe sowie in seinem – in der radikkalen Ablehnung der Französischen Revolution begründeten – Antiliberalismus.
In schiefer Syntax und nur halbrichtig in der Aussage – Bonhoeffers ironische Kommentare zur theologischen Flachheit des Spocial Gospel schlicht ignorierend – heißt es dann weiter: „Gerade sein Studienaufenthalt in den USA und die Begegnung mit schwarzen Gläubigen sowie auch der Social-Gospel-Theologie verdankt seine Theologie eine nachhaltige Wende zum Sozialen.“ Auf die Gegenwart bezogen erläutert der Autor das „Soziale“ bei Bonhoeffer wie folgt: „Bonhoeffers Bereitschaft zu selbstkritischer Hinterfragung privilegierter Personengruppen führen ins Zentrum heutiger Auseinandersetzungen… Eigene Privilegien einzuräumen und aufzugeben, das ist nichts, was heutige Menschen mit den Eigenschaften männlich, cishet (?) , weiss – mit Gelassenheit absolvieren.“
Als nichtprivilegierter weißer Cis-Mann denke ich zum Reformationstag darüber nach, ob man derartige in kirchlichem Lehramt etablierte Theologie noch weiterhin gelassen mit Kirchensteuer finanzieren soll.
Lesen Sie
http://www.globkult.de
http://www.iablis.de/