I.
Die als „Europawahlen“ deklarierten Wahlen zu dem – mit fürstlichen Diäten ausgestatteten, ansonsten weitgehend als parlamentarische Staffage fungierenden – EU-Parlament werden in der politisch-medialen Aufbereitung des Themas zum zentralen politischen Ereignis des Jahres 2024 stilisiert. Es geht um das demokratische Bekenntnis aller „Europäer“ zu „Europa“, abzulesen an der Wahlbeteiligung und dem Abschneiden der „rechten“ (verfassungschützerischer Sammelbegriff Nancy Faesers für Nonkonformisten aller Art, für Konservative, Reaktionäre, reale oder imaginierte Faschisten sowie Neonazis) Parteien – nach Ausschluss der AfD aus der demokratisch geläuterten rechten Le Pen-Familie.
Kritische Fragen zu den Mechanismen und Machtrealitäten – zur Verfassungswirklichkeit der EU – des Brüsseler Apparates werden in derlei Debatten grundsätzlich vermieden. Der zur Wahl aufgerufene „mündige Bürger“ in den formal noch souveränen Nationalstaaten ist – soweit nicht „bekennender Europäer“ – ratlos, welcher „Parteienfamilie“ er sich zuzuordnen habe, wo er denn sein Kreuz auf der langen Liste machen solle.
Ginge es nur darum, die Parolen auf den Wahlplakaten für bare Münze zu nehmen, so enthielte immerhin das „Bündnis Deutschland“ ein attraktives Wahlversprechen: „Vernunft statt Ideologie“. Leider ist mir nicht klar, wieviel Vernunft in der besagten Splitterpartei herrscht aund auch wieviele Vernunft – und Einfluss – sie rechnen könnte.
Als mündiger Bürger und ratsuchender Wähler habe ich auf der „Achse des Guten“ das von der Bundeszentrale für politische Bildung ausgearbeitete Ratespiel kommentiert. https://www.achgut.com/artikel/der_allgruene_wahl_o_mat
Der von der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) ins Netz gestellte „Wahl-o-Mat“ soll laut eigener Aussage „keine Wahlempfehlung, sondern ein Informationsangebot über Wahlen und Politik“ enthalten. Bei „Wikipedia“ wird das von der Zentrale präsentierte Instrument politischer Bildung wohlwollend als „Wahlentscheidungshilfe“ – will heißen eine Art Hilfsapparat für politisch Pflegebedürftige – vorgestellt.
Was ich von dem – von seinen Autoren (sc. -innen) selbst vermutlich als wertebewusst und genuin demokratisch empfundenen – „Informationsangebot“ halte, habe ich bereits anlässlich der Bundestagswahl 2021 einmal verdeutlicht.https://www.achgut.com/artikel/wahlomat_gruen_gefaerbtes_ratespiel Es handelt sich um wenig mehr als um grüne Wahlwerbung. Der in Form von 38 „Thesen“ – in der Meinungsforschung auch bekannt als statements – vorgestellte Fragenkatalog besteht aus nichts anderem als loaded questions, die beim „mündigen Bürger“ (sc. der B-in und/oder – wie im Fragenkatalog als demokratische Grundsatzentscheidung offeriert – B- ohne „Geschlechtseintrag“) a) ein schlechtes Gewissen wecken („Die EU soll eine eigene Seenotrettung im Mittelmeer aufbauen.“ Oder auch: „Der Flugzeugtreibstoff Kerosin soll für Flüge in der EU steuerfrei sein.“) oder b) eine differenzierende Betrachtung des fraglichen Themas gar nicht erst zulassen: Ja – neutral – Nein. Aliud non datur. Beispiele: „In der EU sollen mehr Flächen als Naturschutzgebiete ausgewiesen werden.“ „Die zulässige Menge an Fischen, die in EU-Gewässern gefangen werden dürfen, soll gesenkt werden.““Das Erasmus- Stipendium für Auslandsaufenthalte soll für Studierende, die über weniger finanzielle Mittel verfügen [?], höher sein.“ „Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen soll europaweit als Asylgrund anerkannt werden.“ Usw. usw. Nein („stimme nicht zu“) macht den Wahl-o-mat-Spieler AfD-verdächtig.
Ich gestehe, dass folgende „These“ mein Urteilsvermögen – mangels Kenntnis der Materie – schlicht überfordert: „Urheberrechtlich geschützte Werke (z.B. Fotos, Musik, Literatur) sollen in der EU für nicht-kommerzielle Zwecke kostenlos verwendet werden dürfen.“ Was soll da die rot umrahmnte Ermahnung: „Bitte beantworten Sie die Thesen sorgfältig.“?
Da die Dinge nicht so einfach sind, wie sie der Wahl-o-Mat – und eben auch die zur Wahl stehenden Parteien – auf Wahlplakaten, in Talkshows und Fensterreden im Bundestag – suggerieren, bleibt einem „mündigen Bürger“ kaum anderes übrig, als die zur Wahl gestellte „These“ abzuweisen, d.h auf der Liste zu überspringen. Entsprechend antwortete der Wahl-o-mat am Ende des ideologischen Hürdenlaufs sowie nach meiner Auswahl (von der CDU/CSU über die Grünen zur AfD, über Sonneborns „Die Partei bis zu Sahra Wagenknecht) der zur „Europawahl“ zugelassenen 34 oder 35 Parteien: „Leider kann der Wahl-O-Mat auf der Grundlage Ihres Antwortmusters kein individuelles und zuverlässiges Ergebnis berechnen.“
Ich hatte auch nichts anderes erwartet. Hätte ich gemäß der in die „Thesen“ eingespeisten Vorgaben „gewählt“, wäre ich ohne Frage bei den Grünen – oder bei den noch grüneren – wenngleich in violetter Farbe Stimmung machenden – Supereuropäern von VOLT gelandet. Als mündiger, auch sprachästhetisch sensibler Bürger kann ich deren urdeutschen Wahlaufruf „Sei kein Arschloch“ jedoch nicht so recht goutieren. Ich lasse mich nicht – weder von der durchgrünten BpB noch von VOLT – vereinnahmen.
Quelle: Globkult