Bundestagswahl 2025: Keine Partei hat eine Antwort auf die großen Fragen

Bundestagskuppel, Quelle: SGL

Im Blick auf die demokratische Transparenz signalisierende Glaskuppel über dem Reichstagsgebäude reflektiert Herbert Ammon über seine noch ungewisse Wahlentscheidung. Wie steht es mit den Wahlversprechen der CDU/CSU? Welche Koalitionen kommen für Friedrich Merz als prospektiven Bundeskanzler in Frage? Wie soll das innenpolitische Krisensyndrom aufgelöst werden? Und außenpolitisch: Wie wird Trump agieren, welche Aktionsmöglichkeiten hat eine nichtgrüne Bundesregierung? Und: Gibt es Chancen für einen – für die Ukraine zweifellos schmerzlichen – Frieden in der Ukraine?

Die Glaskuppel über dem Plenarsaal des Bundestags im Reichstag verdankt ihre Existenz einer ästhetischen Nachbesserung des Architekten Norman Foster, der ursprünglich – zwecks demokratischer Transparenz- eine flache Glasschale über dem Gebäude vorgesehen hatte. Foster wiederum hatte anno 1993 von der Jury, genauer: von einer Konzeptkommission des Bundestags, den Zuschlag gegenüber dem Entwurf des Spaniers Santiago Calatrava erhalten, der mit einer hochgezogenen Kuppel dem mächtigen Wallot-Bau eine „leichtere“ Gestalt gegeben hätte. Dank Foster dürfen wir uns jetzt an dem durchsichtigen Eierbecher erfreuen.

Auf die Zuschauerrränge über dem lichtreichen Plenarsaal gelangen die Besucher (sc. -innnen m/w/d), hauptsächlich Schulklassen, zum Anschauungsunterricht „gelebter Demokratie“ mit einem Ticket und nach sorgfältigem elektronischen Screening. Selten erleben sie eine voll besetzte Plenarsitzung, denn meistens befinden sich die Abgeordneten entweder in einer Ausschuss- oder Fraktionssitzung, in der Kaffeepause oder bei medienwirksamen Auftritten. Während der Debatten im gewöhnlich weniger als halbleeren Plenarsaal bekommt das Publikum dann pathetisch vorgetragene Fensterreden zu hören und zu sehen, die sie ebensogut auf „Phoenix“ oder in Kurzversion in den TV-Nachrichten erleben könnten. Gewiss, derlei Riten gehören zur Praxis der parlamentarischen Demokratie.

Spannend für uns parteilich ungebundene Zuschauer, nein falsch: für das als Souverän aufgerufene Wahlvolk, wird sodann die Eröffnungssitzung nach der durch Ausfall der Ampel bedingte Bundestagswahl am 23. Februar 2025. Gelingt der Partei „Die Linke“ – dank Scheitern des Ampel-Wahlgesetzes vor dem Verfassungsgericht – noch einmal der Einzug in den Bundestag, und wird dann der – auch als Kanzelredner in der Evangelischen Kirche beliebte – Gregor Gysi als Alterspräsident präsidieren? Wird es – TV-perspektivisch vom Präsidium aus gesehen – rechts von der CDU/CSU-Fraktion noch eine Grüppchen von FDP-Leuten – als Brandmauer zur mächtig angewachsenen AfD – zu sehen geben? Oder zieht anstelle der alten “ Die Linke“ mit dem BSW eine neue linke Kraft – mit für Demokraten der weitgespannten Mitte auch „rechts“ klingendem Vokabular – in den Bundestag ein?

Den Umfragen zufolge kann Sahra Wagenknecht derzeit kaum auf ein spektakuläres Ergebnis rechnen, wohl aber die AfD, auch ohne direkte Geldspende von Elon Musk, wohl aber dank dessen verbal zugespitzter Unterstützung. Damit stehen wir mündigen Bürgerinnen und Bürger vor einer schwierigen Rechenaufgabe: Reicht es – begrifflich fast so degoutant wie „Deutschlandfahne“ – für eine „Deutschlandkoalition“ in der Kombination von CDU/CSU, SPD und FDP? Wohl eher nicht. Zielt Friedrich Merz, dank „vorbehaltloser“ Unterstützung durch Markus Söder, anders als Habeck und Weidel der de facto einzig aussichtsreiche Kanzlerkandidat, entgegen allen Beteuerungen am Ende doch auf Schwarz-Grün, wenn es denn für eine knappe Koalitionsmehrheit genügen sollte? Oder kommt es zu einer Wiederauflage der GroKo?

Wahlversprechen gelten bekanntlich nur bis zum Abend des Wahltags. Das giilt auch für wahlkämpferischen Aussagen des CDU-Kanzlerkandidaten. Derlei Wissen macht dem/der auf einen realen „Politikwechsel“ hoffenden Wechselwähler/-in die Wahl schwer. Selbst wenn es – entgegen aller Wunschvorstellungen der Qualitätsmedien – nicht zu Schwarz-Grün kommen dürfte, sondern zu Schwarz-Rot, wird es in den entscheidenden Fragen wenig Veränderung geben. Die entscheidenden, miteinander verquickten Fragen sind: erstens, die Energiekrise, die maßgeblich die Wirtschaftskrise – mehr als eine zyklische Rezession – hervorgebracht hat; zweitens, Rentensicherung und Altersarmut; drittens, die ungeachtet reduzierter Zahlen ungehindert anhaltende Einwanderung und damit viertens: die mit Schlagwörtern („Integration“, „Fachkräfte“ „humanitäre Pflicht“ etc.) vernebelte Problematik der kulturell-sozialen Transformation der deutschen Gesellschaft.

Hinter diesen primär innenpolitischen Themen tritt die zentrale außenpolitische Frage hervor: Wie geht es weiter mit dem Krieg in der Ukraine? Wie wird Trump agieren? Wie stark ist der um unsere demokratischen Werte unbesorgte Putin? Und ist der für einen „Deal“ – auf Kosten der wertebewussten Ukraine – überhaupt bereit?
Auf die letzten Fragen weiß keine – außer den Grünen sowie anderen „kriegstüchtigen“ Protagonisten – der zur Wahl stehenden Parteien eine Antwort.Wir gehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Wo soll der Souverän – a.k.a. der „mündige Bürger“ (sc.-in) – seine zwei Kreuze auf dem Wahlzettel machen? Auf die Aufstellung der Listen und das innerparteiliche Gerangel hatte er ohnehin keinen Einfluss.

Quelle: Herbert Ammon

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Herbert Ammon (Studienrat a.D.) ist Historiker und Publizist. Bis 2003 lehrte er Geschichte und Soziologie am Studienkolleg für ausländische Studierende der FU Berlin. Seine Publikationen erscheinen hauptsächlich auf GlobKult (dort auch sein Blog https://herbert-ammon.blogspot.com/), auf Die Achse des Guten sowie Tichys Einblick.