Henriette Rekers verkehrte Welt und Houellebecqs „Unterwerfung“

„Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht …“, hatte Heinrich Heine einst in seinem „Wintermärchen“ gedichtet. Nun ist Deutschland weit davon entfernt ein Wintermärchen zu sein. Geblieben ist, was Heine seinerzeit kritisierte, die Zensur. Nur ist es nicht der preußische Machtapparat, der Andersdenkenden die Meinung verbietet, sondern der liberale Rechtsstaat, der seine eigenen Spielregeln in Abstimmung über die Öffentlich-rechtlichen Medien lanciert und die Gemüter hierzulande umprogrammiert. Man spricht mittlerweile vom Erziehungs-Journalismus oder einem neuen Paternalismus – wie Norbert Bolz – der den unmündigen politischen Bürgern medial vorschreibt, was gut für sie ist.

Ob Terrorwarnungen oder sexuelle Übergriffe auf Frauen – alle diese Phänomene haben so wenig mit der Flüchtlingsbewegung zu tun wie Feuer und Wasser, so der gemeinsame Tenor aus Politik und Medien. Für die Öffentlich-rechtlichen Fernsehsender waren die sexuellen Übergriffe von Köln, wo duzende von Frauen in der Silvesternacht von Männern aus dem nordafrikanischen oder arabischen Raum eingekesselt, beraubt und belästigt wurden, erst Tage später eine Meldung wert. Begründung: Man sei besorgt, dass durch die Berichterstattung Migranten pauschal in die Kritik geraten könnten, da die meisten von ihnen ja nicht dabei gewesen seien. Und Bundesinnenminister Thomas de Maiziére hat sogar davor gewarnt, dass die Übergriffe von Migranten „nicht dazu führen, dass nun Flüchtlinge gleich welcher Herkunft, die bei uns Schutz vor Verfolgung suchen, unter einen Generalverdacht gestellt werden“ dürften. Mittlerweile hat sich das ZDF für diese zurückhaltende Berichterstattung entschuldigt, der Minister bei der Vorstellung des Migrationsberichts in Berlin jedoch nicht; er schiebt die Schuld der regionalen Polizei zu. Auch Kölns frisch gewählte Bürgermeisterin Henriette Reker sieht bei den Attacken „keinen Hinweis, dass es sich hier um Menschen handelt, die in Köln Unterkunft als Flüchtlinge bezogen haben.“ Einzig der ehemalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) erhob schwere Vorwürfe, sprach vom Skandal und äußerte den „Verdacht, dass die gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medien ihrem Informationsauftrag nur noch unzureichend nachkommen.“ Sie gleichen einem „Schweigekartell“, in dem es offenbar „Nachrichtensperren“ gebe, wenn es in den Berichterstattungen um Vorwürfe gegen Ausländer handle.


Terror und Frauenfeindlichkeit als neue Realität

Deutschland befindet sich in einer neuen Realität. Traurigerweise hat man sich hierzulande mittlerweile an Terrorwarnungen wie an das warme Frühstücksei am morgen gewöhnt. Sie scheinen ein Teil unserer neuen Alltagskultur zu sein oder peu á peu zu werden. Während die Politiker aller Couleur die massiven sexuellen Angriffe von Köln kritisieren, sie als „abscheulich und nicht hinnehmbar“ (Thomas de Maizière), als „widerwärtig“ (Angela Merkel) bezeichnen, fehlt doch bei allen diesen emphatischen Platitüden der dezente selbstkritische Hinweis, ob man mit der staatlich organisierten unrechtmäßigen Immigration von mehr als einer Million (meist männlicher) muslimischer Männer nicht doch einen Fehler gemacht hätte. Eine Kausalität zwischen Terror und Frauenfeindlichkeit will man nicht sehen. Ursache und Wirkung bleiben – aus politischer Sicht – zwei unterschiedliche Felder. Und für die Grünen-Politikern Claudia Roth ist es doch nicht so, „dass wir jetzt sagen können, das ist typisch Nordafrika, das ist typisch Flüchtling. Hier geht es um Männergewalt und hier geht es um den Versuch, eine Situation Silvesternacht auszunutzen, als wäre das ein rechtsfreier Raum.“


Statt Frauenemanzipation ein neuer „Verhaltenskanon“


Seit der Silvesternacht ist ein neues Phänomen in die Alltags-Willkommenskultur hinzugetreten. Die Schuldigen der sexuellen Übergriffe von Köln, Hamburg und Stuttgart sind nicht mehr die Angreifer, sondern die Opfer, konkret die Frauen. Kölns Oberbürgermeisterin Reker hat auch schon die ultimative Lösung derartiger Konfliktsituationen vor Augen – Verhaltensregeln für Frauen und Mädchen. Ein neuer Verhaltenskodex ist nötig, damit Frauen und jungen Mädchen derartige Unannehmlichkeiten künftig erspart bleiben. Reker plädiert dafür, quasi als ultima ratio, „eine Armlänge“ Abstand vor jedem Fremden zu halten. Und sie will neue „Sittenregeln“ erstellen und diese auf dem Onlineportal der Stadt Köln veröffentlichen. Wer sich dann nicht an diese Regeln halte, nun kommt doch die Kausalität ins Spiel, ist dafür selbst verantwortlich. Anders gesagt: Wer provoziert, ist selbst dran schuld. Beim neuen Regelkanon aus Köln fehlt nur noch der Hinweis, dass es besser sei, dass auch deutsche Frauen eine Burka tragen sollten, damit sie nicht die empfindsamen Seelen muslimischer Männer samt ihrer paternalistisch geprägten Erziehung provozieren.
Merkwürdig und bedenklich ist, dass Henriette Reker mit ihren Empfehlungen die gesamte Geschichte der Frauenemanzipation kippt, dazu die Gleichberechtigung, die im Grundrechtskatalog verankert ist. In einer Demokratie brauchen Frauen keine Verhaltensempfehlungen, sondern vielmehr die staatlich-rechtliche Sicherheit im öffentlichen Raum genau so zu agieren wie die Männer.


Rekers neuer „Sittenkanon“ und Houellebecqs „Unterwerfung“


Rekers neuer „Sittenkanon“ für ihr eigenen Landsleute kommt nicht nur einer Umkehrung der europäischen Werte und Freiheiten gleich, sondern auch einer Unterwerfung ganz im Sinne des von Michel Houellebecqs gezeichneten düsteren Zukunftsbildes von einem Frankreich im Jahr 2022. In seinem Roman „Unterwerfung“ regiert ein muslimischer Staatspräsident, der die laizistische Verfassung ändert, die Theokratie, die Scharia, das Patriarchat und die Polygamie wieder einführt. Auch in „Unterwerfung“ kritisiert Houellebecq das Schweigen der Medien, beklagt Nachrichtensperren über Themen, die nicht ins politische Bild passen, registriert die zunehmende Islamisierung seines Landes, das der Welt die Aufklärung samt Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gebracht hat. Auch sind im Frankreich des Jahres 2022 die Frauen konservativer gekleidet und weitgehend aus ihren Berufen gedrängt wurden, was die Arbeitslosenzahl dramatisch reduziert hat.


Das Buch endet mit den Visionen des Protagonisten, der darüber reflektiert, wie er von der Islamisierung Frankreichs profitieren würde: mehr Geld, eine neue Unterwürfigkeit seiner minderjährigen Gespielinnen, Frauen, die ihre Wohnung gar nicht oder nur verhüllt verlassen dürfen und Polygamie allenthalben. Houellebecq, der hierzulande viel gescholtene Autor, dem die „taz“ Islamophobie vorwarf, hat, so wie es derzeit aussieht, keine Utopie gezeichnet, sondern ein Szenario, das man nur verhindern kann, wenn man sowohl kritisch auf Distanz zu den Neuen Rechten geht als auch kritisch eine mögliche Islamisierung Europas im Blick behält.


Wenn Kölns Oberbürgermeisterin Reker mit ihrem Verhaltenskanon die westeuropäische Kultur an die von Migranten, Flüchtlingen und Einwanderern aus anders geprägten Ethnien anpassen will, und indirekt dazu auffordert, dass sich die Bundesbürger aus Respekt diesen unterwerfen bzw. den islamischen religiösen Sitten und Gebräuchen unterordnen, dann sind wir mit dieser neuen Unterwerfungskultur auf dem besten Weg, dass wir in Deutschland nicht nur unsere Werte abschaffen, wie einst Thilo Sarrazin mit seinem Bestseller „Deutschland schafft sich selbst ab“ noch unkte, sondern durch allzu große Toleranz gegenüber anderen Wert- und Kulturvorstellungen rechtfreie Räume, NoGoAreas, in Deutschland installieren, deren Existenz der FDP-Vorsitzende Christian Lindner auf dem Dreikönigstreffen der Liberalen in Stuttgart kritisierte. In diesen Räumen spricht kein deutscher Richter mehr Recht, weil er Angst hat, selbst Repressalien seitens der Angeklagten zu unterliegen. Mit der illegalen Einwanderung nach Europa wurde Recht gebrochen, nun muss uns daran gelegen sein, dass das Unrecht nicht unseren Alltag regiert – noch haben wir die Möglichkeit!


Der Philosoph Robert Spaemann hatte in einem Interview in der „Frankfurter Rundschau“ zum Flüchtlingsthema bemerkt: „Uneingeschränkt kann die Hilfsbereitschaft sein, aber nicht die tatsächliche Hilfe.“ Und er empfiehlt mit Augustinus eine ordo amoris, eine Rangordnung der Liebe. „Wo unserer Hilfe Grenzen gesetzt sind, da ist es auch gerechtfertigt auszuwählen, also zum Beispiel Landsleute, Freunde oder auch Glaubensgenossen zu bevorzugen. […] Kultureller Pluralismus kann eine historisch begründete Gegebenheit sein, aber wir sollten ihn nicht zu einem Ziel hochjubeln. Er vergrößert das Konfliktpotential.“ Der Fehler, so Spaemann sei, dass bei der ungesteuerten Immigration zu viele muslimische Gläubige in das säkularisierte Europa eingewandert seien, man wäre besser gefahren, mehr Glaubensgenossen zu integrieren. In Köln ist das Konfliktpotential nun zur Realität geworden.

Der Text erschien zuerst im „The European“

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2155 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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