Die Weltlage hat sich mit Trump II dramatisch, aber doch erwartungsgemäß verändert: Europas böses Erwachen – Wie die EU in die neue Welt schlafwandelte

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Die Weltlage hat sich mit Trump II dramatisch, aber doch erwartungsgemäß verändert. Was sich in Davos auf dem World Economic Forum mit der Rede Trumps andeutete, ist auf der Münchner Sicherheitskonferenz mit der Rede von Trumps Vizepräsident J.D. Vance unverrückbare Realität geworden. Die Geopolitik der Zukunft ist eine Geopolitik der Großmächte. Europa spielt keine Rolle mehr. Trump verhandelt mit Putin über die Machtverhältnisse in Europa – ohne Europa. Eine größere Demütigung und Bedrohung Europas ist kaum denkbar. Das ist auch die Schuld von Deutschland, das in den vergangenen Jahren eine Führungsrolle in Europa geradezu verweigerte.

Europa wacht aus seinen Träumen auf – in einer neuen Realität, die sich wie ein Alptraum anfühlt. Dabei war dieses Szenario, das nun eingetreten ist, keineswegs unwahrscheinlich. Im Gegenteil, es war sogar das wahrscheinlichste. Und es war zugleich jenes, auf das man sich unter allen Umständen hätte vorbereiten müssen, weil es die größten negativen Konsequenzen für Europa hat. Die gesamte Ordnung Europas steht zur Disposition.

Kann man erklären, warum Europa sich trotz aller Warnungen seit vielen Jahren nicht auf diese Situation vorbereitet hat? Das wievielte Mal ist jetzt von „Weckruf“ die Rede? Es gibt vielleicht zwei Begründungen für dieses historische Versagen. Die eine ist eine politische und institutionelle Begründung, die andere eine mentale:

• Die EU ist politisch und/oder institutionell unfähig, auf solche Art von Bedrohungen strategisch zu reagieren. 27 unterschiedliche Interessen zusammenzuführen, ist eine völlig andere Aufgabe, als für ein bestimmtes Interesse eine Strategie zu entwickeln. Die EU ist inhärent – qua Bestimmung – ohne strategische Führung.

• Die nationalen Regierungen sind damit beschäftigt, ihrer Bevölkerung zu erklären, dass trotz Zeitenwende alles beim Alten bleiben könne. Wenn die Welt so unbequem wird, wie die Politik behauptet – und das wird sie -, dann wird Verteidigungsfähigkeit auch eine neue mentale Verfassung sein müssen.

Was kann Europa jetzt tun? Die EU ist keine Großmacht, weder der institutionellen Konstruktion nach noch der politischen Überzeugung nach. Wie kann die EU, die also keine Großmacht ist, sein kann und sein will, auf Augenhöhe mit Großmächten verhandeln? Immer wieder war von Strategie die Rede, einer offenen strategischen Autonomie, einem Modell, das die Werte Europas mit den Defiziten Europas zu einer strategischen Antwort verbindet. Doch dafür ist nun keine Zeit. Um das Defizit an strategischer Souveränität, das sich besonders in den Bereichen Technologie und Verteidigung kumuliert und in Form von „Fähigkeitslücken“ materialisiert hat, abzubauen, werden viele Jahre vergehen. Was Europa jetzt parallel braucht, ist eine kluge Taktik, um das Schlimmste zu verhindern.

Eine Taktik besteht darin, die eigenen Stärken so einzusetzen, dass die Schwächen nicht mehr so stark ausgenutzt werden können. Die eigene Taktik berücksichtigt dabei immer auch das Stärken-Schwächen-Profil der „Gegner“, inklusive taktischer Kooperationsmöglichkeiten. Die USA, China und Russland sind ja derzeit selbst alles andere als stark. Sie setzen nur ihre Stärken in viel konsequenterer und brutalerer Weise ein, als das Europa tun kann, will und  darf. Aber man kann doch das strategische Spiel der anderen antizipierten und eigene taktaische Vorteile daraus ziehen. Am Verhandlungstisch zählen keine multilateralen Regeln mehr, sondern Stärken und Schwächen. Im Falle von Europa hieße das, in den Dimensionen Wohlstand und Verteidigung folgende taktische Maßnahmen zu ergreifen:

• Den Binnenmarkt in allen Dimensionen vervollkommnen, inklusive eines radikalen Abbaus von Bürokratie.

• Strategische Handelsabkommen schließen, indem man auf gemeinsame geopolitische Interessen abstellt und aufhört, eigene Werte und Ansichten aufzuzwängen.

• Den Gegenzöllen, die man schon aus spieltheoretischen Erwägungen heraus („tit for tat“) gegenüber China und den USA benötigt, den Abbau von Handelshemmnissen auf anderen Märkten entgegenstellen. Es gibt viele technologisch interessante, schnell wachsende Volkswirtschaften, denen man jetzt eine dritte Option neben den USA und China anbieten muss. Für viele ist eine bilaterale Kooperation interessanter als eine globale Konfrontation.

• Das eigene Machtvakuum und die eigenen Fähigkeitslücken durch Allianzen schließen. Jede Bewegung ermöglicht eine Gegenbewegung, weil sich Räume verändern. „Connecting the dots“, wie der Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer, es zu sagen pflegt. Dadurch verändert man die strategische Konstellation für alle anderen und zwint sie zu Reaktionen.

• „Single points of failure“ und besonders verwundbare offene Flanken (z.B. bei Drohnen) adressieren, um dadurch kurzfristig deutlich resilienter werden.

• Kritische Infrastrukturen schützen und hybride Kriege strikt unterbinden, notfalls auch mit Verboten von entsprechenden Plattformen.

• Europa hat große industrielle Fähigkeiten. Diese können gezielt zur Kompensation geostrategischer Defizite eingesetzt werden.

• Eine eigenständige Verteidigungsunion mit Deutschland, Frankreich, Polen und Großbritannien initiieren, eigene Strukturen mit Finanzierung, Beschaffung und Entwicklung etablieren. Bereits die glaubhafte Ankündigung einer solchen Verteidigungsunion nimmt Trump den größten Hebel auf Europa.

• Europa nach Innen wieder stärker einigen. Das gelingt nicht dadurch, dass man alle in allem zu einer gemeinsamen Position zwingt, sondern Unterschiede im Kleinen zulässt und Einheit im Großen herstellt.
Die Weltlage ist, wie sie ist. Von hier aus muss man der Realität ins Auge blicken und das tun, was man tun kann – pragmatisch, vorausschauend und konsequent. Für Deutschland gilt: Die nächste Bundesregierung muss die Verantwortung Deutschlands für Europa wieder viel stärker annehmen. Die Sicherheit und der Wohlstand Deutschlands hängen mehr denn je an Freiheit und Frieden in Europa.

Prof. Dr. Henning Vöpel
Vorstand Stiftung Ordnungspolitik
Direktor Centrum für Europäische Politik