Das Transformationsparadox – Warum die deutsche Wirtschaft mehr Wachstum und Risikobereitschaft braucht

container ladung frachtschiff logistik transport, Quelle: MICHOFF, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig

Die deutsche Wirtschaft stagniert – nicht konjunkturell, sondern strukturell. Auch die politisch geforderte und geförderte Transformation will nicht gelingen. Im Gegenteil: Die strukturellen Probleme verfestigen sich und würgen das Wachstum ab. Unter den Bedingungen der Stagnation ist keine Transformation möglich. Das politische Versprechen, erst die Transformation bringe wieder Wachstum, wird sich so nicht erfüllen. Ein wirtschaftspolitisches Umdenken ist dringend erforderlich, und zwar in zwei für die marktwirtschaftliche Ordnung so zentralen Punkten: Wachstum und Risiko.

Ohne Wachstum gibt es keine makroökonomische Transformation

Transformation braucht Wachstum, ja, muss selbst Wachstum bedeuten. Es ist der große wirtschaftstheoretische Irrtum und Denkfehler der Degrowth-Bewegung: Einfach nur zu schrumpfen, macht den Kapitalstock nicht „grüner“. Der Output ist dann zwar geringer, aber noch genauso schmutzig wie vorher. Man kann sich nicht grün schrumpfen. Nur grüne Investitionen machen den Kapitalstock und somit den Output grüner. Private Investitionen in die Transformation wird es aber nur dann geben, wenn sie eine private Rendite erwirtschaften und somit kapitalmarktfähig werden. Die soziale Rendite der Nachhaltigkeit muss sich als privater Investitionsanreiz am Kapitalmarkt widerspiegeln. Das wiederum bedeutet, dass der positive Effekt einer Internalisierung der externen Kosten des Klimawandels auf die Gegenwartsinvestitionen vorgezogen werden muss, gewissermaßen als privater Investitionsanreiz. Die Internalisierung gelingt aber, wie hinreichend diskutiert worden ist, bei mobilem Kapital und internationaler Produktion nur dann, wenn der Klimaschutz global koordiniert wird, denn sonst gibt es keine privatwirtschaftliche Nachhaltigkeitsrendite, sondern nur höhere Kosten. Es ist wachstumstheoretisch und wettbewerbsökonomisch falsch, zu glauben, man könne die Transformation ohne Wachstum vollziehen. Der Wachstumsbegriff unterliegt in der öffentlichen Debatte – eigentlich schon seit dem „Club of Rome“-Bericht von 1972 – leider erheblichen Missverständnissen, woran Ökonomen nicht schuldlos sind, weil sie diese zu selten ausräumen.
In der Arbeitsmarktökonomik gibt es das Phänomen des „working poor“. Damit ist gemeint, dass bei sehr geringem Lohnsatz die Menschen so arm sind, dass sie noch mehr arbeiten müssen, weshalb das Arbeitsangebot steigt und der Lohnsatz weiter fällt. So ähnlich verhält es sich mit der Transformation. „Transforming poor“ bedeutet analog, dass Unternehmen, die in die Transformation investieren, eine geringere Rendite erwirtschaften, daraufhin ihre Produktion drosseln und weniger Gewinne haben, um die (renditearmen) Investitionen in die Transformation zu finanzieren. Es ist also nicht überraschend und kein Zufall, dass die Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft und ihr geringer Transformationsfortschritt koinzidente Befunde sind. Ökonomisch wohlverstanden ist Nachhaltigkeit keine Begrenzung von Wachstum, sondern die Bedingung für Wachstum.

Ohne unternehmerisches Risiko gibt es keine marktwirtschaftliche Transformation

Der zweite Grund, warum die deutsche Wirtschaft sich in einem „Transformationsparadox“ befindet, liegt in einer ökonomisch sehr relevanten, aber gleichwohl oft übersehenen, mindestens aber unterschätzten Größe: dem Risiko. Natürlich sollte das regulatorische und politische Risiko entlang von Transformationspfaden so gering wie möglich gehalten werden, um den Unternehmen Investitions- und Planungssicherheit zu geben. Davon zu unterscheiden ist jedoch das unternehmerische Risiko, das sehr wohl wichtig im Transformationsprozess ist, der eben immer auch ein Entdeckungsverfahren sein muss, in dem die ökonomisch bessere Lösung sich auf Märkten auch durchsetzen kann. Es ist ein politischer Irrtum, Transformation als einen rein technischen, regulatorisch kontrollierbaren Prozess zu verstehen, der in einer bloßen Umstellung auf nachhaltige Produktionsverfahren liegt. Nachhaltige Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten sind eben nicht genau so, wie die alten Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten – nur in grün –, sondern sie sind völlig andere, sie beinhalten risikobehaftete Geschäftsmodellinnovationen in Bezug auf Prozesse und Produkte. Sie beinhalten zudem erhebliche Risiken in Bezug auf unsichere Erwartungen und unterschiedliche Einschätzungen. Diese werden nicht durch nivellierende Regulierung, sondern am Kapitalmarkt effizient allokiert. Es ist nicht verwunderlich, dass die Politik Transformationsprozess als einen regulatorischen Prozess versteht – dies entspricht ihrem Denken und ihren Anreizen. Der Ökonom Frank Knight argumentierte in seinem Buch „Risk, Uncertainty, and Profit“ aus dem Jahr 1921 – einer Zeit großer politischer Unsicherheit und enormer technologischer Möglichkeiten –, dass der Profit die Belohnung für nicht-versicherbare Entscheidungen bei Unsicherheit sei. Transformation bedeutet also, dem Risiko und der Unsicherheit, die damit notwendig einhergehen, Profitmöglichkeiten gegenüberzustellen. Innovationen liegen im Risiko, denn sonst wären sie ja bereits verfügbar. Und das Risiko muss finanziert werden, denn sonst gelangt man nicht dorthin.
Der mangelnde Transformationsfortschritt der deutschen Wirtschaft bei gleichzeitiger Wachstumsschwäche liegt also zum zweiten auch darin begründet, dass Regulierung und Subventionen kaum noch unternehmerisches Risiko erlauben, sondern nur noch Renditen regulieren. Eine stagnierende Wirtschaft durch Subventionen transformieren zu wollen, gleicht einem wirtschaftspolitischen Himmelfahrtskommando. Wenn man sich die USA oder China anguckt, stellt man fest, dass dort im Gegensatz zu Deutschland und Europa Risiken noch eingegangen werden, wenngleich grundverschieden finanziert, im Falle der USA mit privatem Risikokapital, im Falle Chinas mit staatlichem Geld. Investitionen gehen nicht dorthin, wo kein Risiko ist, sondern dorthin, wo Risiken eingegangen werden. Fehlende Investitionstätigkeit ist daher keine Folge von zu hohen Investitionsrisiken, sondern von zu geringer Risikobereitschaft. Die wirtschaftspolitische Konsequenz daraus wäre, in der Transformation die Regulierung nicht noch enger und kleinteiliger zu machen, sondern beim Zusammenhang von Rendite und Risiko anzusetzen und den marktwirtschaftlichen Wettbewerb zu stärken. Durch eine höhere marktwirtschaftliche Risikobereitschaft kann auch wieder eine stärkere Risikoübertragung an die Unternehmen stattfinden, denn dort letztlich findet Transformation statt.

Die Transformation in Deutschland braucht einen neuen wirtschaftspolitischen Ansatz

Die fehlgeleiteten Annahmen der Politik bestehen also zusammenfassend darin, dass Transformation ein wachstums- und risikoloser Prozess sein könne. Das Gegenteil ist der Fall. Indem die Politik sie zu einem solchen macht, nimmt sie der Transformation jede unternehmerische und marktwirtschaftliche Dynamik. Die Wirtschaft befindet sich dann in einem Transformationsparadox. Wenn die Wirtschaftspolitik nicht anfängt, jetzt umzudenken, wird die deutsche Wirtschaft nicht so schnell aus ihrem Tief herauskommen. Wachstum und Risiko sind wichtige Voraussetzungen und Bedingungen für eine erfolgreiche Transformation. Die deutsche Wirtschaft braucht mehr von beidem.

 

Prof. Dr. Henning Vöpel

Vorstand Stiftung Ordnungspolitik

Direktor Centrum für Europäische Politik

Quelle: cep | Centrum für Europäische Politik