In den USA sind 2024 bereits drei Todesurteile vollstreckt worden. Neben der Giftspritze wurde erstmals auch mit Stickstoff getötet. Es ist die aktuelle „Innovation“ beim jahrhundertealten Bemühen, Exekutionen „humaner“ zu gestalten. Ein Paradox. Ist nicht jede Todesstrafe unmenschlich? Von Helmut Ortner.
Vor wenigen Wochen, am 20. März 2024, wurde im US-Bundesstaat Georgia Willie Pye wurde hingerichtet. Er hatte sich mehr als 25 Jahre lang im Todestrakt befunden. Der 58-Jährige war für einen 1992 im Alter von 27 Jahren begangenen Mord zum Tode verurteilt worden. Im Jahr 2021 hob ein Bundesgericht das Todesurteil auf, weil Pye’s Anwälte es versäumt hatten, Beweismaterial für dessen deutlich unterdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten und seine traumatische Kindheit zu recherchieren und vorzulegen. Seine Rechtsbeistände hatten zwar geltend gemacht, dass er geistig stark eingeschränkt sei, womit seine Hinrichtung verfassungswidrig wäre. Doch aufgrund der in Georgia geltenden Vorschrift, dies „zweifelsfrei“ beweisen zu müssen, wurde sein Todesurteil aufrechterhalten. Dies, obwohl sich drei der Geschworenen für eine Begnadigung aussprachen. Am 19. März wurden die letzten Rechtsmittel zurückgewiesen – danach die Todesstrafe vollstreckt. Es war die dritte Hinrichtung in den USA im Jahr 2024.
Schon zu Beginn des Jahres, am 26. Januar, war im US -Bundesstaat Alabama der Auftragsmörder Kenneth Eugene Smith durch Gerichtsbeschluss vom Leben in den Tod befördert worden. Erstmals war dabei eine Stickstoff-Methode zum Sauerstoffentzug zur Anwendung gekommen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft dauerte es 29 lange Minuten, bis Smith tot war. Er war der erste Mensch, der mit Stickstoff hingerichtet wurde. Der anwesende Pfarrer sprach danach von einer Tortur.
Bereits 2022 hatten die Strafbehörden versucht, Smith durch eine tödliche Injektion hinzurichten, doch dieser Versuch schlug fehl. Nun also wurde die neue Stickstoff-Methode gewählt – oder deutlicher: die Exekution durch Ersticken. Stickstoff – das chemische Element mit dem Symbol N – war bisher nicht zur Vollstreckung eines Todesurteils verwendet worden. Die Methode sieht vor, dass der Kandidat puren Stickstoff einatmet, was zunächst zur Bewusstlosigkeit führt. Der Tod tritt schließlich durch eine Unterversorgung mit Sauerstoff ein. Der Delinquent erstickt.
Exekutions-Methoden aus der Vergangenheit
Befürwortern zufolge ist diese „Stickstoffhypoxie“ genannte Variante schmerzfrei. Alabama hatte wie die beiden US-Bundesstaaten Mississippi und Oklahoma bereits im Jahr 2018 entschieden, Stickstoff für Hinrichtungen zuzulassen. Nun hatte der dortige Oberste Gerichtshof dies endgültig bestätigt, auch mit dem Hinweis, dass die Hinrichtung durch Stickstoff nicht gegen den Verfassungsgrundsatz verstößt. Die Entscheidung hatte in den USA zu heftigen „ethischen Debatten“ geführt – nicht nur über die Stickstoff-Hinrichtung, sondern – wieder einmal – über die Todesstrafe generell. Wie „human“ muss es zugehen, wenn der Staat „im Namen der Gerechtigkeit” tötet?
Auf der Suche nach alternativen Hinrichtungs-Methoden wurde selbst auf Exekutions-Praktiken der Vergangenheit zurückgegriffen, wie dem elektrischen Stuhl (2020 in Tennessee), ebenso wurde die mögliche Einsetzung der Gaskammer (zuletzt 1999 in Arizona), der Tod durch Erhängen (1996 in Delaware) oder das Erschießen (2010 in Utah) in Erwägung gezogen. Dies hatte zu juristischen Kontroversen geführt und geplante Vollstreckungen anfechtbar gemacht. Zuletzt wurde aufgrund der zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen landesweit de facto nur noch mit der Todesspritze getötet.
So auch am 28. Februar. An diesem Tag starb Ivan Cantu im US-Bundesstaat Texas – 21 Minuten nach Setzen der Giftspritze. Mehr als zwei Jahrzehnte lang befand sich der wegen Mordes verurteilte 50-jährige Latino im Todestrakt. Menschenrechtsgruppen kritisierten, weder im ursprünglichen Prozess noch im Berufungsverfahren sei er wirksam vertreten worden. Cantu hatte stets seine Unschuld beteuert, für die er zum Tode verurteilt worden war. Am 27. Februar 2024 wies das texanische Berufungsgericht schließlich eine letzte Eingabe der Rechtsbeistände von Cantu ab, mit der sie versuchten, die Hinrichtung zu verhindern und dem Gericht neue Beweise vorzulegen. In der Eingabe wurde geltend gemacht, dass die Staatsanwaltschaft vor Gericht „falsche und irreführende Aussagen“ gemacht habe und die Verteidigung ihren Mandanten im damaligen Gerichtsverfahren nicht wirksam vertreten habe. Das Gericht entschied nach Prüfung des Antrags, „dass der Antragsteller die Anforderungen des [texanischen Rechts] nicht erfüllt“ habe und es daher „den Antrag abweist, ohne die Begründetheit der Einwände zu prüfen“. Auch der Begnadigungsausschuss sprach sich einstimmig gegen eine Begnadigungsempfehlung aus und lehnte auch die von den Rechtsbeiständen beantragte Aussetzung der Hinrichtung für 120 Tage ab. Zu denjenigen, die an den Gouverneur appellierten, einen Aufschub zu gewähren, gehörte auch der Sprecher der Geschworenen aus der Verhandlung im Jahr 2001, in der das Todesurteil gefällt wurde. In einer Stellungnahme ließ er verlauten, dass er sich ebenfalls „getäuscht“ fühle, da sich nun herausgestellt habe, dass wichtige Zeugenaussagen damals falsch oder irreführend waren. Er forderte den Gouverneur auf, „mir das von mir unterzeichnete Dokument zurückzugeben, mit dem ich damals die Entscheidung der Jury bestätigte, und die Hinrichtung auszusetzen, damit die Sachlage näher geprüft werden kann“. Ivan Cantu wurde dennoch hingerichtet – mit einer Giftspritze..
»Sanfte« und »humane« Hinrichtungen
Texas ist Hinrichtungs-Spitzenreiter der USA. Seit 1976 wurden 586 Todestrafen vollstreckt. Der Tod durch eine Giftspritze gilt als „humane“, weil „sanfte“ Hinrichtungsart. Nicht allein in dem südlichen Bundesstaat. Doch es gibt ein Problem: viele Pharmakonzerne wollen nicht mehr, dass der Staat mit ihren Medikamente Menschen tötet. Die EU hatte bereits 2011 ein Exportverbot verhängt. Nach der Weigerung vieler europäischer und amerikanischer Pharmaunternehmen, Medikamente wie die Barbiturate Pentobarbital und Thiopental für Hinrichtungen herzustellen, suchen deshalb viele Bundesstaaten seit Jahren nach Alternativen.
Ob Giftspritze oder Stickstoff – die Suche nach der „humanen Hinrichtung“ ist paradox, denn immer geht es darum, Menschen das Leben zu nehmen. Sämtliche bekannten Argumente für die Todesstrafe sind durch die Praxis widerlegt: Weder wirkt die Drohung mit dem gewaltsamen Ende des eigenen Lebens besonders abschreckend noch befriedigt sie die Hinterbliebenen der Opfer nachhaltig. Bislang sind im Jahr 2024 in den USA drei Menschen hingerichtet worden. Die Gesamtzahl der Hinrichtungen in den USA seit der Wiederaufnahme von Hinrichtungen im Jahr 1976 steigt damit auf 1.588.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wendet sich – nicht nur in den USA – sondern weltweit und ausnahmslos gegen die Todesstrafe, ungeachtet der Schwere und der Umstände einer Tat, der Schuld, Unschuld oder besonderen Eigenschaften des Verurteilten, oder der vom Staat gewählten Hinrichtungsmethode. Die Todesstrafe verletzt das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebene Recht auf Leben und stellt die grausamste und unmenschlichste aller Strafen dar. Deshalb gehört geächtet und abgeschafft nicht nur in den USA, vor allem in den Ländern, die weltweit für die meisten Hinrichtungen verantwortlich sind: China, Iran, Saudi-Arabien, Nordkorea und Vietnam. Im Dezember 2022 unterstützte bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine noch nie dagewesene Anzahl von 125 UN- Mitgliedsstaaten eine Resolution, die die Einführung eines weltweiten Hinrichtungsmoratoriums mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung der Todesstrafe fordert.
Und in den USA? Laut einer Umfrage im Oktober 2023 (Veröffentlicht von Statista Research Department, 12.01.2024) waren 53 Prozent der befragten US-Amerikaner für die Todesstrafe für verurteilte Mörder. Allerdings ist die Zustimmung in den letzten Jahren tendenziell gesunken. Im Jahr 2007 sprachen sich noch 69 Prozent der Befragten für die Todesstrafe aus. Die Suche nach »humanen« Hinrichtungs-Methoden weiter.
Buch-Hinweis:
Helmut Ortner
OHNE GNADE – Eine Geschichte der Todesstrafe
Mit einem Nachwort von
Bundesrichter a. D., Prof. Dr. Thomas Fischer
Nomen Verlag, 240 Seiten, 22 Euro