Roland Freisler: „Er war ein Mörder in Robe …“

Roland Freisler gilt als bekanntester Strafrichter des nationalsozialistischen Deutschlands, sein Name wurde zum Synonym für eine Unrechtsjustiz schlechthin. Kein nationalsozialistisches Gericht fällte mehr Todesurteile als der Volksgerichtshof, dessen Präsident Freisler war. Helmut  Ortner  hat über Hitlers gnadenlosen Juristen ein Buch geschrieben. Ein Gespräch mit dem Autor.

In Ihrem Buch beschreiben Sie Leben und Wirken des Nazi-Richters Roland Freisler, der Tausende von Menschen, vor allem Regimegegner und Oppositionelle in Schauprozessen zum Tode verurteilt hat. Was unterscheidet Freisler von anderen NS-Tätern?

Ortner: „Freisler schrie, tobte und erniedrigte Angeklagte mit Spott und Hohn. Er machte mit seiner Verhandlungsführung den Gerichtssaal zur persönlichen Bühne. Ein wahnhaft-fanatisches Justiztheater, doch für die Angeklagten war es blutiger Ernst. Freisler verurteilte Tausende zum Tode. Er war ein Massenmörder in Robe. ”

Freisler war nicht nur einer der fanatischsten Nazi-Richter, er war auch Präsident des Volksgerichtshofs. Er nannte das Gericht eine »Panzergruppe der Rechtspflege« …

„Ja, der Volksgerichtshof hatte nur eine Funktion: die Vernichtung jeglicher Opposition gegen den nationalsozialistischen Staat. 1934 wurde das Sondergericht als Instrument eingerichtet, um die Justiz stärker dem Willen Hitlers zu unterwerfen. Vor 1933 konnten in Deutschland lediglich drei Straftatbestände mit der Todesstrafe geahndet werden, 1944 waren es vierzig. Die Zahl der verhängten und vollstreckten Todesstrafen stieg vor 1939 spürbar und nach Kriegsbeginn steil an. Die Berufung Freislers zum Präsidenten des Volksgerichtshofes radikalisierte diese Entwicklung weiter. Allein dieses Sondergericht sprach über 5200 Todesurteile, rund 2600 davon verhängte Freislers Senat. Er verurteilte unter anderem die Geschwister, Mitglieder der Weißen Rose und des  Kreisauer Kreises, die Verschworenen des Attentats vom 20. Juli 1944 um Oberst Graf Stauffenberg, zahllose oppositionelle Gewerkschaftler, Kommunisten und Sozialdemokraten zum Tode, wegen »Defätismus«, »Verrat«, »Feind-begünstigung« und »Wehrkraftzersetzung«. Ein fanatischer, gnadenloser Nazi-Todesrichter in gnadenlosen Zeiten …”

Sie schildern in Ihrem Buch, dass beinahe alle NS-Richter und Staatsanwälte nach 1945 von einer Strafverfolgung verschont blieben, nur wenige wurden überhaupt angeklagt und ihnen der Prozess gemacht. Eine beschämende Tatsache …

„In der Tat. Es gehört zu den traurigsten Kapiteln der deutschen Nachkriegsgeschichte, dass viele Nazi-Juristen nach dem Krieg nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. In meinem Buch schildere ich die unterbliebenen oder auch gescheiterte Versuche, die Verbrechen der Nazi-Justiz als Teil der Mordmaschinerie des nationalsozialistischen Regimes durch die personell wenig veränderte Justiz der Bundesrepublik zu verfolgen. Es war die Zeit der »Integration der Täter«. Die meisten Ex-Nazi-Juristen – auch jene, die für Todesurteile verantwortlich waren –    konnten in der Adenauer-Republik ihre Karrieren fortsetzen und gingen später gut versorgt in Pension, während die Opfer um mickrige Rentenansprüche kämpfen mussten. Kein Volksgerichtshof-Richter wurde nach 1945 verurteilt. Eine unerträgliche Tatsache.“

Nicht nur die politische Elite, auch die Gesellschaft insgesamt hat damals mehrheitlich versagt. Die große Verdrängung, das große Verleugnen und Vergessen …

„Die meisten Deutschen wollten von Kriegsverbrechern, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, von den NS-Verstrickungen, von schuldhaften Täter-Biographien, von Nazi-Juristen, kurz: vom moralischen und zivilisatorischen Desaster Hitler-Deutschlands, nichts mehr wissen. Aus der Politik gab es keine zwingenden Gesetzesvorgaben. Unter diesem Eindruck zeigte vor allem die Justiz nur wenig Neigung, ehemalige NS-Täter zur Verantwortung zu ziehen, zumal dort bekanntlich eine besonders starke personelle Kontinuität zur NS-Zeit gegeben war. Die Bereitschaft, in NS-Strafsachen zu ermitteln und zu handeln, ging nahezu gegen null. Ein Volk auf der Flucht vor der eigenen Vergangenheit. ”

Hält diese Verdrängung bis heute  an?

„Die Aufarbeitung der Vergangenheit fiel lange schwer, sie erinnerte an eigene Versäumnisse und Mitschuld, an Feigheit und Mutlosigkeit. Daraus folgte eine kollektive Verdrängung. Das änderte sich erst ab den 70iger Jahren, als die junge Generation wissen wollte, was ihre Väter und Großväter gemacht oder unterlassen hatten. Ein schmerzhafter, aber notwendiger Prozess … Heute findet dieser Verleugnungs-Reflex vor allem im rechten Politik-Milieu statt. Die AFD nutzt die parlamentarische Bühne als öffentlichkeitswirksames Podium, um mit Tabu-Brüchen und gezielten Provokationen regelmäßig und absichtsvoll Stimmung zu machen. Denken wir nur an Björn Höckes beschämendes Gerede von einer »erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad«  oder Alexanders Gaulands »Vogelschiss«-Verharmlosung der Nazi-Diktatur …“.

Für die Mehrheit hierzulande aber gilt das Bekenntnis »Nie wieder«, ein Diktum, das die einfache moralische Botschaft vermittelt, die heutige Generation müsse die »Lehren« aus der NS-Diktatur ziehen und dafür sorgen, das sich diese Menschheits-Katstrophe nie wiederholt. Wir leben heute in einem gefestigten Rechtsstaat, den sollten wir schützen und verteidigen – gegen Feinde der Demokratie, gegen religiöse und politische Fanatiker und wirre Verschwörungstheoretiker …“ 

Es gibt also eine Verantwortung für die heutige Generation?

„Die Frage, die bleibt: Ist die heutige, die politisch und moralisch schuldlose Generation, nun endgültig entlassen aus der Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur und seinem Erbe? Oder: beginnt nicht die Verantwortung nachfolgender Generationen bei der Frage, ob sie sich erinnern will? An das, was ihr Eltern und Großeltern getan, zugelassen und bejubelt haben …

Mein Buch versteht sich als Aufklärungs-Lektüre, als ein Plädoyer gegen jede Verharmlosung und Relativierung der NS-Vergangenheit. Denn je weniger man von ihr weiß, desto mehr verstellt es den Blick auf die Gegenwart.“

Interview: Joachim Schäfer

ZITAT:

»Ein Plädoyer gegen jede Verharmlosung und Relativierung der NS-Vergangenheit. Denn je weniger man von ihr weiß, desto mehr verstellt es den Blick auf die Gegenwart.“

BUCHHINWEIS:

Helmut Ortner

DER HINRICHTER

Roland Freisler – Mörder im Dienste Hitlers

Nomen Verlag, 

356 Seiten, 20 Euro

Eine überarbeitete, aktualisierte Neu-Ausgabe ist gerade erschienen.

Der Autor Helmut Ortner

 

Finanzen

Über Helmut Ortner 94 Artikel
Geboren 1950 in Gendorf/Oberbayern und aufgewachsen in Frankfurt am Main. Schriftsetzerlehre, anschließend Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main, Schwerpunkt Grafik-Design. Es folgt Wehrdienstverweigerung – und Zivildienst. Danach journalistische Lehrjahre: Redakteur, Chefredakteur (u.a. Journal Frankfurt, Prinz). Ab 1998 selbständiger Printmedien-Entwickler mit Büro in Frankfurt. Konzepte und Relaunchs für mehr als 100 nationale und internationale Zeitschriften und Zeitungen, darunter Magazine wie Focus, chrismon, The European und Cicero, sowie Tages- und Wochenzeitungen, u.a. Das Parlament, Jüdische Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Allgemeine Zeitung, Wiesbadener Kurier, Darmstädter Echo, De Lloyd Antwerpen, NT Rotterdam sowie Relaunchs in London, Wien, Sofia, Warschau und Dubai. Zahlreiche Auszeichnungen (u.a. European Newspaper Award, Hall of Fame, CP Award Gold). Daneben journalistische Beiträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen, veröffentlicht in div. Tageszeitungen und Magazinen. Erste Buchveröffentlichung 1975, seither mehr als vierzig Veröffentlichungen. Übersetzungen in bislang 14 Sprachen (2018). Zahlreiche Preise und Einladungen: Stadtschreiberpreis der Stadt Kelsterbach, Lesereise Goethe-Institut Südamerika, Teilnahme an Buchmessen in Havanna, Istanbul und Buenos Aires sowie Lit.Col. Köln 2017. Zuletzt Lesereisen nach Lissabon, Turin, Tokyo. Helmut Ortner lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und in Darmstadt. Er ist passionierter Radrennfahrer, Eintracht Frankfurt-Fan und Pat Metheny-Liebhaber.