Diskussion in den USA: Todesstrafe wieder durch Gas?

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Im US-Bundesstaat Arizona wird diskutiert, die Todesstrafe wieder mit Gas zu vollstrecken. Dabei handelt es sich um jenen Stoff, der während des nationalsozialistischen Terrorregimes unter dem Namen »Zyklon B« bekannt war und der in NS- Vernichtungslagern verwendet wurde, um Millionen Menschen zu töten. Eine Substanz, die als Mordwerkzeug untrennbar mit dem Holocaust in Verbindung steht. Von Helmut Ortner.

In vielen US-Bundesstaaten sind die tödlichen Substanzen für die Giftspritzen knapp, weil sich Pharmafirmen weigern, den US-Behörden Nachschub zu liefern. Deshalb wird fieberhaft nach alternativen Methoden zur Durchführung der Todesstrafe gesucht. In dem republikanisch regierten Arizona kommen auch Komplikationen bei vorherigen Hinrichtungen als weitere Gründe hinzu, weshalb der Bundesstaat jetzt auf andere Tötungstechniken setzt.

Laut Medienberichten ist die 1949 erbaute und seit 22 Jahren stillgelegte Gaskammer in Arizona erst 2019 renoviert und auf ihre Funktionstüchtigkeit hin untersucht worden. Die Gefängnisbehörde Arizonas soll nach Informationen von Amnesty International he Vorbereitungen getroffen haben, etwa chemische Stoffe gekauft haben, , die zur Herstellung des tödlichen Cyanwasserstoff-Gases benötigt werden. Für die Hinrichtung mit Gas werden die Verurteilten in einer luftdichten Kammer auf einem Stuhl gefesselt, dann wird das toxische Gas eingeleitet. Sobald der Tod eingetreten ist, wird das Giftgas mit Ammoniak neutralisiert, bis die Kammer sicher betreten werden kann.

Die letzte Person, die in Arizona durch Gas hingerichtet wurde, war der deutsche Staatsbürger Walter LaGrand im Jahr 1999. La Grand war wegen bewaffneten Raubüberfalls und Mordes zum Tode verurteilt worden. Menschen, die bei der Hinrichtung anwesend waren, sagten aus, dass seine Exekution in der Gaskammer qualvolle 18 Minuten gedauert habe.

Der Delinquent hat die Wahl zwischen Gas und Giftspritze

Sechs US-Bundesstaaten erlauben tödliches Gas für Hinrichtungen: Alabama, Kalifornien, Mississippi, Missouri, Oklahoma und Wyoming. Doch vollzogen wird die Exekution mit Gas auch dort nicht mehr. Nun aber wird in den Justizbehörden Arizonas darüber diskutiert,  die Todesstrafe wieder mit Gas zu vollstrecken. Wer sich im Todesstrakt befindet, soll zwischen der Todesspritze und dem Tod durch Vergasung wählen können. Der Bundesstaat beteuert, dass die Hinrichtungsmethode durch Giftgas ethisch vertretbar sei. Das sehen nicht alle so. Kritiker melden sich zu Wort. „Man muss sich fragen, was sich Arizona dabei gedacht hat, zu glauben, dass es akzeptabel ist, Menschen in einer Gaskammer mit Zyklongas hinzurichten“, wird Robert Dunham, Direktor des Death Penalty Information Centers, in einem Amnesty-Bericht zitiert.

Einst galt sie als Ausdruck einer neuen humanen Gesinnung. Verlässliche Technik, störungsfreier Ablauf, präventive Abschreckung. Juristen und Politiker waren davon überzeugt, eine Hinrichtungsmethode gefunden zu haben, die nicht nur »human«, sondern den Fortschrittwillen des Landes widerspiegelte. Den Anfang machte am 8. Februar 1924 der Bundesstaat Nevada. Dort wurde der gebürtige Chinese Gee John als erster Mensch mit einem Schädlingsbekämpfungsmittel in der Gaskammer von Carson City hingerichtet. Nach ihm musste am 2. Juli 1930, Robert H. White auf dem Stuhl der Gaskammer Platz nehmen. Es war die erste Hinrichtung, die protokolliert wurde.

White hatte ein ganzes Jahr lang auf die Vollstreckung des Urteils warten müssen. Jetzt war sein Tod in weniger als zwölf Minuten eingetreten. Durch die beiden dicken Glasfenster der Gaskammer hatten 53 Zuschauer sein langsames Sterben verfolgt. Unter ihnen auch ein Besucher aus Kalifornien, James B. Holohan. der Direktor des Staatsgefängnisses von San Quentin. Bevor die Gaskammer geschlossen wurde, fragte der Gefängnisdirektor den Verurteilten, ob er noch einen letzten Wunsch habe. Whites Antwort: „Bitte geben Sie mir eine Gasmaske, etwas anderes kann ich unter diesen Umständen nicht brauchen.“ Dieser Wunsch wurde ihm allerdings nicht erfüllt. Die Hinrichtung begann um 4.36 Uhr morgens, das Gas wurde um 4.37 Uhr in die Gaskammer gegeben … Im Namen des Rechts.

Die Gaskammer: Ausdruck »humanen« Gesinnung

In den darauf folgenden Jahren versuchte Holohan die Regierung von Kalifornien zu überzeugen, die Gaskammer auch dort einzuführen. Als er in Pension ging, wurde er in das Parlament von Kalifornien gewählt, wo er seinem Einfluss fortan Geltung verschaffte. Unter seiner Federführung trat schließlich am 27. August 1937 ein neues Gesetz in Kraft, das nun als einzige gesetzliche Hinrichtungsform den Tod durch Gas vorsah. Schon ein Jahr später wurde in das Staatsgefängnis San Quentin eine Gaskammer eingebaut.

Die Installation erwies sich als äußerst kompliziert. Eine Gruppe von Ingenieuren übernahm die schwierige Aufgabe, unterstützt von Mechanikern und einem Gefängnisinsassen. Als Holohan – nunmehr als kalifornischer Parlamentarier – das fertige Hinrichtungsgerät das erste Mal in Augenschein nahm, war er ein wenig stolz. Zwar war er nie ein Gegner der Todesstrafe gewesen, aber das Sterben am Galgen hatte er schon in seiner Zeit als Gefängnisdirektor immer als abstoßend und grausam empfunden. Dass nun in seinem Bundesstaat die neue Hinrichtungsmethode zum Einsatz kam, sah er auch als sein Verdienst. Sie galt ihm als Ausdruck einer neuen humanen Gesinnung – und er war stolz darauf, als Reformer daran mitgewirkt zu haben.

Was war an der neuen Technik so faszinierend? Wie sah er aus, der „Ort des Fortschritts“? Die Gaskammer von San Quentin befand sich in der Ecke eines kleinen, kahlen Raumes im sogenannten Todestrakt. Sie bestand aus einer achteckigen stählernen Kammer. Der Durchmesser betrug 2,70 Meter. Im Inneren der Kammer befanden sich zwei stählerne Stühle, unter welchen der Mechanismus für die Hinrichtung installiert war. Bei Beginn der Exekution stieg das Gas unter dem Sitz durch die zahlreichen Löcher im Stuhl nach oben. Der obere Teil der Gaskammer bestand aus Panzerglas, durch das die Zeugen der Hinrichtung beiwohnen konnten. Wegen dieser Scheiben wurde im Gefängnisjargon die Gaskammer das „Aquarium“ genannt.

Der Ablauf war streng festgelegt. Schon am Tag vor der Hinrichtung begannen die Vorbereitungen. Der Verurteilte wurde noch einmal ärztlich untersucht, danach musste er seine Kleidung ablegen und wurde neu eingekleidet. Gegen vier Uhr nachmittags brachten ihn die Beamten in die Todeszelle neben dem Vorraum der Gaskammer. Hier durfte der Todeskandidat seine letzte Mahlzeit wählen. Die ganze Nacht hielten die Wachbeamten Obst, Snacks, Getränke und auf Wunsch Zigaretten bereit. Dem Delinquenten sollte es an nichts fehlen.

Am Morgen des Hinrichtungstages empfing der leitende Exekutionsbeamte das Zyankali, insgesamt 16 Plastikpatronen, die an einem Haken unterhalb der Sitzflächen der beiden Metallstühle befestigt wurden. Wenn die Vorbereitungen abgeschlossen waren, wurde der Verurteilte aus dem Vorraum geholt und auf dem einen Stuhl festgeschnallt, die Gaskammer luftdicht verschlossen und versiegelt. Danach sorgte eine Sauganlage dafür, dass aus der Kammer möglichst viel Luft abgezogen wurde. Pünktlich zur festgesetzten Exekutionszeit ließ der Henker – auch bei diesem eher technischen Hinrichtungsvorgang hatte man sich auf die gewohnte Sprachregelung verständigt und nannte den verantwortlichen Beamten weiterhin „Henker“ – über einen von außen zu betätigenden Mechanismus die schwefelige Säure in eine Schale laufen, die sich unter dem Stuhl des Verurteilten befand. Sofort entwickelten sich Schwaden des todbringenden Blausäuregases, die als Dampf aufstiegen.

Ein Ende der Hinrichtungen ist nicht in Sicht

Tod in der Gaskammer: Wird die Hinrichtung mit Gas in Arizona und weiteren Bundesstatten wieder vollzogen? Zurück in die Vergangenheit, in die Barbarei?  Bis zum landesweiten Vollstreckungs-Moratorium in den USA, das im Sommer 1967 begann und beinahe zehn Jahre später, Anfang 1977, endete, war die Gaskammer in elf Bundesstaaten als Hinrichtungsmethode vorgesehen. Mittlerweile haben sechs davon (Colorado, Mississippi, Nevada, New Mexico, North Carolina, Oregon) zur Giftspritze als einzige Hinrichtungsmethode gewechselt. Einer der Gründe, warum die Exekution in der Gaskammer mittlerweile in vielen US-Bundesstaaten von der Giftspritze abgelöst wurde, war der finanzielle Aspekt. Der Bau einer Gaskammer kostete dem Staat mehr als 300 000 Dollar, da nahm man die Anregung des Anästhesisten Stanley Deutsch von der Universität Oklahoma gerne auf, der eine Hinrichtung durch Verabreichung einer todbringenden Medikamentenkombination vorschlug. Eine Technologie, die das Töten noch effizienter und hygienischer macht. Kein elektrischer Monsterstuhl aus Stahl, keine Gaskammer mit Bullaugen, sondern ein überschaubarer Raum, darin ein schlichter OP-Tisch – so sieht die Hinrichtungskammer von heute aus. In Arizona soll mit der Giftspritze weiterhin exekutiert werden. Doch die Diskussion über die »Re-Aktivierung« von Hinrichtungen durch Gas wird weiterhin geführt. Es ist ihnen wie immer ein „humanes Anliegen“.  Ein genereller Verzicht auf die Todesstrafe steht nicht nur Debatte.

 

Vom Autor erschienen:

Helmut Ortner, Ohne Gnade – Eine Geschichte der Todesstrafe, Nomen Verlag, 230 Seiten, 22 Euro

 

Über Helmut Ortner 96 Artikel
Geboren 1950 in Gendorf/Oberbayern und aufgewachsen in Frankfurt am Main. Schriftsetzerlehre, anschließend Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main, Schwerpunkt Grafik-Design. Es folgt Wehrdienstverweigerung – und Zivildienst. Danach journalistische Lehrjahre: Redakteur, Chefredakteur (u.a. Journal Frankfurt, Prinz). Ab 1998 selbständiger Printmedien-Entwickler mit Büro in Frankfurt. Konzepte und Relaunchs für mehr als 100 nationale und internationale Zeitschriften und Zeitungen, darunter Magazine wie Focus, chrismon, The European und Cicero, sowie Tages- und Wochenzeitungen, u.a. Das Parlament, Jüdische Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Allgemeine Zeitung, Wiesbadener Kurier, Darmstädter Echo, De Lloyd Antwerpen, NT Rotterdam sowie Relaunchs in London, Wien, Sofia, Warschau und Dubai. Zahlreiche Auszeichnungen (u.a. European Newspaper Award, Hall of Fame, CP Award Gold). Daneben journalistische Beiträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen, veröffentlicht in div. Tageszeitungen und Magazinen. Erste Buchveröffentlichung 1975, seither mehr als vierzig Veröffentlichungen. Übersetzungen in bislang 14 Sprachen (2018). Zahlreiche Preise und Einladungen: Stadtschreiberpreis der Stadt Kelsterbach, Lesereise Goethe-Institut Südamerika, Teilnahme an Buchmessen in Havanna, Istanbul und Buenos Aires sowie Lit.Col. Köln 2017. Zuletzt Lesereisen nach Lissabon, Turin, Tokyo. Helmut Ortner lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und in Darmstadt. Er ist passionierter Radrennfahrer, Eintracht Frankfurt-Fan und Pat Metheny-Liebhaber.