„Augen Geradeaus!“ – Bayern beschließt ein bundesweit erstes „Bundeswehrförderungsgesetz“

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Bayern beschließt ein bundesweit erstes „Bundeswehrförderungsgesetz“ und verpflichtet Schulen und Hochschulen zu engerer Kooperation mit der Bundeswehr. Ein Vorbild für andere Bundesländer? Von Helmut Ortner.

Die Deutschen mögen Boris Pistorius. Seit Wochen verteidigt der Verteidigungsminister im SPIEGEL-»Regierungsmonitor« seinen Spitzenplatz als beliebtester Politiker der Republik. Keine Frage, der Mann hat einen Lauf. Er packt an, spricht Klartext. Kein Leisetreter und Zauderer. Keiner, der sich abduckt und vertröstet. Das kommt an im Land. In einer Umfrage im Januar 2024 wollten sogar fast zwei Drittel der Menschen in Deutschland einen Kanzlerwechsel von Olaf Scholz zu Boris Pistorius. Nach Ansicht von 64 Prozent der Befragten einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA solle Pistorius noch in der bis 2025 laufenden Legislaturperiode Scholz an der Spitze der Regierung ablösen.

Keine Bange. Der Mann bleibt erst einmal bei der Truppe. Hier fühlt er sich am rechten Ort – und die Truppe schätzt ihren Minister. Das war nicht immer so. Pistorius Vorgängerinnen – von der Leyen, Kramp-Karrenbauer, Lambrecht – galten für viele Militärs – freundliche formuliert – als eklatante Fehlbesetzung. Nun endlich ein Minister, einer der seinen Grundwehrdienst geleistet hat beim Flugabwehrregiment in der Steuben-Kaserne im niedersächsischen Achim, letzter Dienstgrad Obergefreiter. Ein Mann der aus eigener Erfahrung weiß, wie es um die Stimmung in den Kasernen bestellt ist – einer, der sich in der soldatischen Wirklichkeit auskennt. Der in einer Welt voller Kriege, Kri­sen und Kon­flik­ten mehr Verantwortung und »Führung« fordert, denn „unsere Bundeswehr steht vor einer gewaltigen Herausforderung“. Notwendig sei eine „hand­lungs­fä­hi­ge und reak­ti­ons­schnel­le Bun­des­wehr“. Sein Tagesbefehl, gültig über den Tag hinaus: „Deutschland muss kriegstüchtig werden“.  Es ist eine jener klaren Ansagen, für die Boris Pistorius bekannt ist. „Ohne Reserve keine Kriegstüchtigkeit“ steht über dem Artikel des Verteidigungsministers in der Zeitschrift Loyal des Reservistenverbands, erschienen im Juli. Darin schreibt er: „Wir brauchen viele kluge, motivierte Frauen und Männer, die sich in den Dienst der Bundeswehr und unseres Landes stellen wollen.“

Begriffs-Verschiebung von der Verteidigungs- zur »Kriegstüchtigkeit«

Der Bundeswehr fehlt der Nachwuchs. Stand Ende Februar 2024 meldet sie 181.811 Rekrutinnen und Rekruten. Der Trend: Es geht immer weiter abwärts, seitdem 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt wurde. Dabei sollten es nach dem Willen des Verteidigungsministers bis 2031 mindestens 203.000 Soldaten sein. Er lässt offenbar weiterhin Modelle einer Wehrpflicht prüfen und hat dabei die Praxis in skandinavischen Ländern in den Blick genommen. So werden in Schweden ganze Jahrgänge registriert und angeschrieben. Nun geht es hierzulande darum, die Bundeswehrreform voranzutreiben, inklusive einer Verschiebung der Rhetorik – von der Verteidigungs- zur Kriegstüchtigkeit.

Wohin die­se auf Kriegs­tüch­tig­keit aus­ge­rich­te­te Rei­se der Bun­des­wehr gehen soll, lässt sich in der Zeit­schrift für inne­re Füh­rung (IF 2/​24) der Bun­des­wehr erkun­den, wo es im Edi­to­ri­al heißt: „Kriegs­tüch­tig wer­de ich nur inner­halb einer Gesell­schaft, die mir das not­wen­di­ge Rüst­zeug und die Unter­stüt­zung gibt, um in der von Tod und Gewalt gepräg­ten Aus­ein­an­der­set­zung zu gewin­nen.” Ein Gene­ral­leut­nant geht weni­ge Sei­ten spä­ter noch einen Schritt wei­ter und schreibt: „Kriegs­tüch­tig­keit geht expli­zit auch die Fähig­keit ein­her, in einem mög­li­chen Krieg den Sieg errin­gen zu kön­nen.” Dafür sei ein »kriegs­taug­li­ches Mind­set« not­wen­dig, ergänzt ein schreibender Oberst­leut­nant. Fazit: Es brauche eine „wehr­haf­te Bevöl­ke­rung“, eine Gesellschaft, „die offen für Wehr­dienst“ sei und eine „per­sön­li­che Ver­tei­di­gungs­be­reit­schaft” beja­he.  Alles, ganz nach den Plänen Pistorius.

»Kriegs­taug­li­ches Mind­set« und Kooperationspflicht

In Bayern geht man damit voran.  Offensichtlich ganz im Sinne der bundesregierungsamtlich ausgerufenen militärischen »Zeitenwende« und des staatlichen Bemühens, die Bundeswehr umfassend „gesellschaftsfähig“ und „kriegstüchtig“ zu machen, wurde nun – bundesweit es Novum – ein Bundeswehrförderungsgesetz beschlossen, das Hochschulen und Schulen zu einer engeren Kooperation mit der Bundeswehr verpflichtet. Es sieht vor, dass von Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen eine „reibungslose Zusammenarbeit“ und ein „ungehinderter Zugang der Bundeswehr zu Forschung und Entwicklung an Hochschulen sichergestellt“ werden. Wörtlich heißt es im Gesetzestext: „Erzielte Forschungsergebnisse dürfen auch für militärische Zwecke der Bundesrepublik Deutschland oder der NATO-Bündnispartner genutzt werden“. Und: „Eine Beschränkung der Forschung auf zivile Nutzungen (Zivilklausel) ist unzulässig“. Denn Zivilklauseln seien „angesichts der bestehenden sicherheitspolitischen Herausforderungen nicht hinnehmbar“; schließlich gehe es darum „das Forschungs- und Wissenschaftspotential der bayerischen Hochschulen auch zugunsten militärischer Forschung und Entwicklung“ zu sichern. Kritiker sind alarmiert und melden sich zu Wort. Sie verweisen darauf, das Gesetz sei möglicherweise verfassungswidrig, es solle Universitäten und Hochschulen davon abhalten, eine militärische Nutzung ihrer Forschung zu verbieten – auch wenn es derartige sogenannte »Zivilklauseln«noch nirgendwo im Freistaat gibt. Stattdessen wird ein Kooperationsgebot von Hochschulen und Bundeswehr vorgeschrieben, in Fragen der nationalen Sicherheit sogar eine Kooperationspflicht.

Kritiker haben verfassungsrechtliche Bedenken

Nicht nur die Hochschulen, auch Schulen sind nach dem bayerischen Gesetz betroffen.  Sie sollen „im Rahmen der politischen Bildung“ und zu »Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik« enger mit „Jugendoffizieren“ und „Karriereberatern der Bundeswehr“ zusammenarbeiten, auch zur „beruflichen Orientierung über Berufs- und Einsatzmöglichkeiten“ bei der Bundeswehr. Bisher konnten Schulen und Lehrkräfte selbst entscheiden, ob sie die Bundeswehr in den Sozialkundeunterricht einbinden, jetzt wird es praktisch zum Zwang. Dies beeinträchtigt die Gewissensfreiheit der Schüler und Schülerinnen, die auf diese Weise einseitig beeinflusst werden, kritisiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bayern in einer Petition.  Sie verweist auf einen bedenklichen Trend: Die Bundeswehr hat in den letzten fünf Jahren bundesweit fast 8.000 Minderjährige rekrutiert und an Waffen ausgebildet (mit Einverständnis der Erziehungsberechtigten) – mit zuletzt steigender Tendenz. Und dies, obwohl der UN-Kinderrechtsauschuss ein Rekrutierungsalter von über 18 Jahren, also Volljährigkeit, fordert um die weltweite Rekrutierung von Kindersoldaten auszuschließen.

In der Gesetzesbegründung heißt es, „Aufgabe des Staates“ sei es, „unsere Gesellschaft auf die grundlegend veränderte sicherheitspolitische Lage vorzubereiten“, die Auswirkungen auf fast alle Lebensbereiche habe. Auch der Freistaat müsse „im Rahmen seiner (Regelungs-) Kompetenzen dazu beitragen, die Bundeswehr zu stärken, die Rahmenbedingungen für die Erfüllung der Aufgaben der Bundeswehr wie auch der Stationierungsstreitkräfte bestmöglich auszugestalten sowie den Rückhalt in der Bevölkerung für unsere Soldatinnen und Soldaten zu festigen“.  Und tatsächlich gibt es bereits Pläne des Bundesbildungsministeriums, das Militär in Schulen noch intensiver werben zu lassen und Hochschulen für Militär- und Rüstungsforschung stärker zu öffnen.

Für den Gesetzentwurf stimmten neben CSU und Freien Wählern.  Sie verteidigten die Neuerungen als „unbedingt notwendig“, auch um die Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit des Landes zu stärken. Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) warf Kritikern „ideologische Verblendung“ vor. Die SPD beklagte zwar, dass die Koalition viele Änderungswünsche nicht berücksichtigt habe und deshalb bei einer möglichen Klage die alleinige Verantwortung für juristische Versäumnisse oder Ungenauigkeiten trage – doch sie stimmte für das Gesetz. Anders die Grünen, die ebenfalls gravierende verfassungsrechtliche Bedenken anmeldeten – und deshalb gegen das Gesetz stimmten, die AfD enthielt sich.

Außerhalb des Landtags regt sich spürbarer Protest. Mehr als 1.500 Personen – darunter der Liedermacher Konstantin Wecker, die Theologin Dr. Margot Käßmann, der Arbeitsrechtler Prof. Dr. Wolfgang Däubler, der ehemalige IG Metall-Chef Jürgen Peters und der Bürgerrechtler, Jurist und Publizist Dr. Rolf Gössner – unterzeichneten eine Petition gegen das Gesetz. Sie befürchten unter anderem, mit der Umsetzung gehe eine „Militarisierung des Bildungs- und Forschungsbereichs“ einher. Das neue Bundeswehrförderungsgesetz greife „unverhältnismäßig in die Autonomie der Hochschulen und damit in die Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit ein“ und verstoße „gegen die Gewissensfreiheit an Schulen.“ Bayern Ministerpräsident Söder (CSU) hält das Gesetz dagegen für „unbedingt notwendig“. Wie Verteidigungsminister Pistorius sieht er darin einen ebenso sinnvollen wie notwendigen Beitrag zur geforderten »Kriegstüchtigkeit«. Die Militarisierung schreitet voran – nicht nur in Bayern.

 Quellen.

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Über Helmut Ortner 98 Artikel
Geboren 1950 in Gendorf/Oberbayern und aufgewachsen in Frankfurt am Main. Schriftsetzerlehre, anschließend Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main, Schwerpunkt Grafik-Design. Es folgt Wehrdienstverweigerung – und Zivildienst. Danach journalistische Lehrjahre: Redakteur, Chefredakteur (u.a. Journal Frankfurt, Prinz). Ab 1998 selbständiger Printmedien-Entwickler mit Büro in Frankfurt. Konzepte und Relaunchs für mehr als 100 nationale und internationale Zeitschriften und Zeitungen, darunter Magazine wie Focus, chrismon, The European und Cicero, sowie Tages- und Wochenzeitungen, u.a. Das Parlament, Jüdische Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Allgemeine Zeitung, Wiesbadener Kurier, Darmstädter Echo, De Lloyd Antwerpen, NT Rotterdam sowie Relaunchs in London, Wien, Sofia, Warschau und Dubai. Zahlreiche Auszeichnungen (u.a. European Newspaper Award, Hall of Fame, CP Award Gold). Daneben journalistische Beiträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen, veröffentlicht in div. Tageszeitungen und Magazinen. Erste Buchveröffentlichung 1975, seither mehr als vierzig Veröffentlichungen. Übersetzungen in bislang 14 Sprachen (2018). Zahlreiche Preise und Einladungen: Stadtschreiberpreis der Stadt Kelsterbach, Lesereise Goethe-Institut Südamerika, Teilnahme an Buchmessen in Havanna, Istanbul und Buenos Aires sowie Lit.Col. Köln 2017. Zuletzt Lesereisen nach Lissabon, Turin, Tokyo. Helmut Ortner lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und in Darmstadt. Er ist passionierter Radrennfahrer, Eintracht Frankfurt-Fan und Pat Metheny-Liebhaber.